Live im Wiener Flex

Lauren Mayberry mit Potenzial und Ambivalenzen

Musik
20.10.2023 00:42

Donnerstagabend gab Chvrches-Frontfrau Lauren Mayberry im Wiener Flex ihre Österreich-Solopremiere. Auf Songs ihrer Hauptband verzichtete sie ganz, die eigenen hat noch kaum jemand gehört. Von einem Abend mit viel Potenzial und einer gewissen Unausgegorenheit.

(Bild: kmm)

Wie das nach außen hin so wirkt, wenn man sich von einer erfolgreichen Band emanzipiert und solo durchstarten will, das ist Lauren Mayberry schon im Vorfeld ihres Auftritts klar. „Die Leute fragen sich erst einmal, was man damit bezwecken will und sind skeptisch. Ich kann das bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, aber es war notwendig.“ Mit Chvrches stürmte die 36-jährige Schottin mehr als zehn Jahre lang die Charts und größte Hallen. Ihre Sopranstimme vermischt mit melancholischen Gitarren und träumerischer Elektronik prägte den 2010er-Indie-Gestus nachhaltig. Ideen für eine Abspaltung in Richtung Soloprojekt kamen schon 2015 auf und wurden in den letzten Jahren intensiviert. Der Start verlief dann aber doch holpriger als es wahrscheinlich geplant war.

Platz zur Entfaltung
Als die UK- und Europa-Tour im Sommer angekündigt wurde, gab es noch gar keinen Song zu hören. Mittlerweile sind zumindest zwei Solo-Tracks veröffentlicht, der Rest des Livematerials war vor der Österreich-Solopremiere im Wiener Flex nur von bereits gespielten Shows via YouTube zu ertrüffeln. Dass die Venue sich dann nur zu einem guten Drittel füllt, überrascht angesichts der gegebenen Voraussetzungen nicht sonderlich. Ohne vorher veröffentlichtes Material ist es selbst im Streaming-Zeitalter und mit prominentem Namen nicht so leicht, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das Angenehme daran ist, dass das sonst so volle Flex genug Platz bietet und man den durchaus druckvollen Sound ohne Gedränge genießen kann.

Abseits ihrer Hauptband öffnet sich Mayberry nicht nur stärker in ihren Texten, sondern präsentiert sich auch visuell anders. Das Make-Up ist intensiver, Blumengestecke sind auf der Bühne drapiert und die dreiköpfige Band ist durchwegs weiblich und sehr gut aufeinander eingespielt. Die handgemachten Instrumente bleiben aber auch im Solo-Kosmos meist rhythmusunterstützendes Beiwerk, denn ohne Synthies und elektronische Beimengungen geht bei der Schottin nichts. Nach dem klassischen Liza-Minnelli-Cover „Maybe This Time“ als zartem Intro geht es mit „Bird“ bereits in die Vollen. „Chance Shapes“ erinnert an eine hedonistische 80er-Disco und feuert die Party erstmals richtig an. Das darauffolgende „Mantra“ ist eher episch-getragen, während „Under The Knife“ ihrer Hauptband Chvrches noch am nächsten gerät. „Es ist eine langsamere, traurigere Art eines Chvrches-Songs“, wie die Künstlerin selbst betont.

Vielseitiges Songmaterial
Wer auf die eine oder andere Coverversion wartet, und das sind hier so einige, wird aber enttäuscht. Es ist der Künstlerin freilich nicht vorzuwerfen, dass sie sich streng von ihrem Hauptkulturleben abkapselt, doch für den Mitsing- und Partyfaktor wären ein oder zwei Schlenker in die Vergangenheit dienlich gewesen. Neben gesampelten Interludes, die dann auf dem voraussichtlich in der ersten Jahreshälfte 2024 erscheinenden Debütalbum richtig Sinn ergeben werden, dehnen auch Coverversionen die Spielzeit aus. Beim Madonna-Banger „Like A Prayer“, den Mayberry mit Band gen Ende hin in eine clubbige Elektronik-Atmosphäre geleitet, spürt man doch den Unterschied zwischen echten Hits und dem noch sehr bemühten Neuanfang der Eigenkompositionen. Die selbstverfassten Songs überzeugen dafür mit Vielseitigkeit.

Die erste veröffentlichte Single „Shame“ zeigt Mayberry von einer kantigen Seite, bei der ruhigen und intimen Piano-Ballade „Are You Awake?“ besinnt sie sich auf die Fragilität des Moments - was in diesem Rahmen und dieser Location leider nicht voll erblühen will. Dafür treiben die „Crocodile Tears“ wieder Taylor-Swift-poppig nach vorne. Mayberry selbst tänzelt in einem goldenen Paillettenkleid über die Bühne. Ihre Soloperformance ist theatralischer und dramatischer und man spürt, dass die gesamte Idee des Projekts für größere Locations geplant ist. Doch all das Visionäre und Wohlüberlegte helfen erst einmal nichts, wenn man sich das Budget dafür nicht durch erfolgreiche Touren im niedrigeren Live-Bereich erarbeitet. So sehr der Weg nun auch langsam geebnet wird, er ist noch steinig und voller Hürden.

Personal Jesus statt Maschin
Von der ursprünglich angedachten Idee, jedem Land einen passenden Cover-Song zu widmen, rückt Mayberry in Wien leider ab. Während die Deutschen noch zu Nenas „99 Luftballons“ tanzten, huldigt die Sängerin hierzulande Depeche Mode mit dem totgenudelten „Personal Jesus“. Eine Hommage an eine schöne Tour zu den frühen Chvrches-Zeiten, die Mayberry in bester Erinnerung hat. Aber kein Falco, kein „Maschin“ zum Zehnjährigen und kein „Tirolerzeit“ von den Zellberg Buam. Humorig merkt sie zwischendurch an, dass sie mit ihrer Band in den frühen Tagen oft nur sieben Songs pro Abend spielte und sich darum sorgte, ob es das Eintrittsgeld der Fans überhaupt wert war. Nun zur Solopremiere sind es heute zehn, die sich mit all den Interludes, Samples und der sympathischen Publikumsinteraktion dann mühsam auf gute 50 Minuten Spielzeit erstrecken. Die Songs haben Potenzial, die Stimme ist großartig und die Bühnenidee ausgelegt für mehr - aktuell wirkt das Ganze aber noch reichlich unausgegoren. Konzertabendanalyse in einem Wort? Ambivalent.

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