Interview & Album

Coach Party: Rock‘n‘Roll mit adoleszenter Wut

Musik
22.10.2023 09:00

Wie kanalisiert man Wut so, dass man möglichst wenig beschädigt? Das britische Rock-Quartett Coach Party hat dafür das richtige Rezept. In die Saiten dreschen, ehrliche und sarkastische Texte schreiben und so viel Energie wie möglich bei Konzerten absondern. Im „Krone“-Talk erzählte das zukunftsträchtige Quartett auch vom kurzweilig-spannenden Debütalbum „Killjoy“.

(Bild: kmm)

Harte Arbeit alleine ist noch immer kein Garant für große Erfolge. Aber sie führt einen näher heran. Davon können die vier BritInnen von Coach Party längst mehrere Lieder singen. 2019 fand sich das Quartett im Süden Englands auf der malerischen Isle Of Wight zusammen. Bei nur rund 140.000 Einwohnern auch kein Wunder. Wenn man sich als Musikinteressierter ständig bei denselben Events begegnet und auch noch denselben Geschmack hat, dann führt das eine unweigerlich zum anderen. Die Jazz-Funk-Legenden Level 42 und die seit Covid hochgehypten Wet Leg beweisen eindrucksvoll, dass in der beschaulichen Peripherie sehr wohl Kunst und Klang mit Weltformatcharakter gedeihen kann. Die Welteroberung würden sich auch Coach Party wünschen, denn mit dem unaufhaltbaren Selbstvertrauen von vier Mittzwanzigern lassen sich schon mal Bäume aus- und Bühnen einreißen.

Mit viel Einsatz und Schweiß
Ihre Österreich-Premiere feierten sie vergangenen Juni bei der ersten Ausgabe des Lido Sounds in Linz. Auf der Zeltbühne auch mit dem Glück des Unwetters, denn dadurch strömten die Massen heran und lieferten dem sympathischen Viergespann einen etwas überraschenden Auftakt nach Maß. Musikalisch mäandert man irgendwo zwischen der Fuck-It-Attitüde der Sex Pistols, dem Indie-Gestus von Sonic Youth, der Gitarrenseligkeit von Nirvana und der Rock’n’Roll-Liebe von Starcrawler. Erlaubt ist, was kracht und trotzdem ins Ohr geht. Das Debütalbum „Killjoy“ vereint dabei alles, was sich die fleißige Band auf den drei EPs in ebensovielen Jahren davor aufgebaut hat. Dass man im ersten Post-Corona-Jahr 2022 mehr als 100 Konzerte in aller Herren Länder spielte, beweist, wie sehr Veranstalter und Publikum nach handgemachter, schwitziger und durch und durch authentischer Musik lechzen.

„Die Musik gibt uns die Möglichkeit, unsere Wut so zu kanalisieren, dass wir niemanden damit verletzen müssen“, lacht Sängerin Jess Eastwood im „Krone“-Talk. Einigkeit und Gemeinschaft ist den vier Freunden auch bei Medienterminen wichtig. So gut es geht, sind immer alle dabei. Im demokratischen Verständnis der vier Youngsters ist essenziell, alle Meinungen und Stimmungen gleichberechtigt abzubilden. Was alle vier eint, ist eine durchaus verständliche Wut auf das gesellschaftliche Steckenbleiben in verkrusteten Strukturen, auf die regressive Politik ihrer Heimat und das Kopfübereintauchen in den drohenden Weltuntergang. Daraus entstehen Songs wie „Everybody Hates Me“ oder „All I Wanna Do Is Hate“ (auch gut als T-Shirt-Motiv erprobt), mit denen Coach Party ihren Ärger freien Lauf lassen.

Bedeutung ist essenziell
„Der Albumtitel ,Killjoy‘ fasst unsere Emotionen ganz gut zusammen“, erläutert die Sängerin, „es geht um Menschen und Beziehungen. Um das Gute und das Böse. Um die vielen Hürden des Alltags und die seltenen schönen Momente, in denen man gebraucht wird und sich wohlfühlt.“ Wie bei englischen Acts üblich bekommt die in Musik geleitete Wut der Interpreten schnell eine schmarzhumorig-ironische Note. „Ich genieße es, wenn uns beim Texten der Sarkasmus austreibt“, grinst Drummer Guy Page, „so kann man immer klar sagen, was man sich denkt oder wovon man was hält, ohne dabei zu bösartig zu sein. Wir haben in der Band ein ungeschriebenes Gesetz, dass jeder einzelne Song eine Bedeutung haben muss. Wir haben keine Lust auf leere Phrasen, dafür ist momentan nicht die richtige Zeit.“ So mancher Song entsteht bei Coach Party aus vier verschiedenen Standpunkten. „Man kann dann trotzdem alles verbinden, denn die Grundausrichtung unserer Meinungen und Gedanken ist ähnlich. Bei den Nuancen flicken wir dann zusammen.“

Die Band thematisiert in ihren Liedern den Neid der Menschen, misogynes Verhalten, Selbstzweifel und Zukunftsängste. All das, was einem in der realen Welt tagtäglich des Öfteren über den Weg läuft. „Wir merken anhand des Feedbacks gut, dass sich viele Menschen mit unserer Musik identifizieren können. Wenn wir einen Song schreiben, denken wir zwar in erster Linie nur an uns, aber es geht auf dieser Welt ja vielen gleich. Das ist dann im Umkehrschluss für uns ein kleiner Trost, denn wir merken, es gibt ein Verständnis und ein Verstehen für die Dinge, die uns bewegen.“ Die Einflüsse im Coach-Party-Kosmos stammen aus den unterschiedlichsten Ecken. Page schwört auf die ungefilterte Aggression von Rage Against The Machine und das magische Gitarrenspiel von Jimi Hendrix. Eastwood verfiel früh dem Bombay Bicycle Club und wird live magisch von Phoenix angezogen. Gitarrist Joe Perry (nein, nicht der!) flüchtet sich am liebsten zu den Beatles und Gitarristin Steph Norris fühlt sich von Alvvays und den Strokes am besten verstanden.

Rock schmackhaft machen
Was aber alle Beteiligten eint, ist die Liebe und auch ein bisschen der Stolz zur Musikgeschichte des eigenen Landes. „Wir machen in diesem Land so viel falsch, aber die Musik ist das eine Ding, für das wir uns nicht schämen muss“, lacht Perry, „dass wir wahrscheinlich seit Jahrzehnten besser hinkriegen als viele andere.“ Mit „Killjoy“ geben Coach Party ihren Fans nicht nur eine gitarrenlastige Schulter zum Anlehnen. Sie versuchen auch mit Vehemenz, jungen Hörern die so brachliegende Rockmusik schmackhaft zu machen. „Das Radio brauchst du in England nicht einschalten, da wirst du keine coole Indie-Musik finden“, ärgert sich Eastwood, „es liegt an uns und an unseren Konzerten. Wir müssen dafür sorgen, dass die Kids wieder zum Rock’n’Roll finden.“ Ein hehres Vorhaben, doch Motivation und Fleiß stimmen. Von einer abendfüllenden Liveshow können wir uns derzeit leider nicht überzeugen - Österreich geht vorerst wieder einmal leer aus …

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