„Krone“-Interview

John Scofield: „Die Karten spielen, die man hat“

Musik
16.10.2023 09:00

Mit seinen langjährigen Weggefährten Bill Stewart und Vicente Archer hat die US-Jazzgitarrenlegende John Scofield das brandneue Album „Uncle John‘s Band“ eingespielt. Eine musikalisch extrovertierte Mischung aus Covers, Eigenproduktionen und Jazz-Standards darstellt. Der 71-jährige Top-Gitarrist, gern gesehener Stammgast im Wiener Porgy & bess erzählt uns im Interview von seiner unbändigen Leidenschaft zur Musik, der Liebe zu dieser Trio-Band und warum ein Grammy im Leben auch nicht glücklich macht.

kmm

„Krone“: John, du warst und bist gern gesehener Gast im Wiener Porgy & Bess und glücklicherweise immer wieder hier zu sehen. Macht es dir noch immer Spaß, so viel unterwegs zu sein?
John Scofield:
 Ich liebe es zu spielen und mag Europa wirklich gern. Es wird mit den Jahren natürlich schwieriger, aber noch ist es okay und ich halte es aus.

Du bist in letzter Zeit vermehrt solo unterwegs, aber auch immer wieder mit Band da. Was ist dir lieber?
Alleine unterwegs zu sein, ist gewöhnungsbedürftig. Ich habe ein paar Jahre gebraucht, aber mittlerweile genieße ich die Ruhe und den Frieden. Meine große Liebe gilt aber der Zusammenarbeit. Mit anderen zu spielen, Ideen auszutauschen und kreativ zu sein. Ich liebe es, in einer Gruppe zu sein.

Dabei geht es auch viel um Spontanität und Improvisation. Fühlst du dich durch die Zusammenarbeit mit anderen anders herausgefordert?
Improvisation ist alles. Das macht den Jazz so anders als jede andere Form von Musik. Die Herausforderung kommt da automatisch dazu. Ich habe auch gerne einen Plan und einen Faden, an dem ich mich entlang hanteln kann. Über die Jahre habe ich aber gelernt, dass man sich die Freiheit erlauben muss, anderen Musikern zu folgen. Ihnen zuzuhören und instinktiv darauf zu reagieren. Daraus entsteht meist etwas Besseres, als würde man es planen. Ich versuche immer offenzubleiben. Viele Musiker üben und üben und üben und verlieren dabei den Zugang zu freiem Raum und Spontanität. Das ist gefährlich.

Du hast im Laufe deines Lebens mit Größen wie Miles Davis, Chet Baker oder Billy Cobham gespielt. Ist es für dich, als einen starken musikalischen Charakter, manchmal schwierig, sich gegen musikalisch starke Charaktere durchzusetzen?
Das kommt immer darauf, wer die andere Person ist. (lacht) Man muss sich an andere anpassen, sich adaptieren können. Ich mag diese Zugangsweise, sie fördert die Musik. Man muss sich im Leben allgemein oft anpassen. Manchmal ist die Chemie gut und es läuft großartig. Wenn nicht, dann muss man eben durch und arbeitet nicht mehr zusammen. Kein Job macht immer Spaß. (lacht)

Du greifst live auch immer wieder auf Cover-Versionen von Rock- oder Blues-Rock-Stücken zurück. Nach welchen Kriterien wählst du sie?
Es sind immer sehr stimmenstarke Songs. Ich spiele zuerst die Gitarre dazu und erkenne schnell, ob der Song für mein Spiel funktioniert oder nicht. Habe ich eine Band mit Rhythmussektion, dann geht es darum, ob man damit improvisieren und sich spielen kann. Manchmal spielen wir eine klassische Pop-Version an und blasen sie auf. Es ist alles möglich, aber ein Song muss es grundsätzlich zulassen. Ich liebe sehr viele Songs, die ich aus verschiedenen Gründen nicht vernünftig spielen kann. Die fallen automatisch weg.

Sind moderne Popsongs von jüngeren Künstlerinnen auch ein Thema zur Überarbeitung?
(lacht) Ich spiele nur die Klassiker, denn sie sind die einzige Popmusik, die ich kenne. Ich bin nicht sonderlich fleißig dabei, moderner Musik zu folgen und es macht live auch mehr Sinn jene Songs zu covern, die jeder kennt. Ich habe überhaupt nichts gegen moderne Musik, aber ich denke nie daran.

Welche Art von Rezept wendest du für dich an, wenn du einen Pop- oder Rocksong in deine Jazzwelt entführst und dir zu eigen machst?
Es gibt immer um eine gute Melodie. Sie ist das um und auf. Wenn wir Glück haben, finden wir als Musiker dann ein paar Möglichkeiten, um zu improvisieren. Jazz-Musiker lieben Harmonien und Akkordwechsel. Wenn uns ein Song das gibt, sind wir happy.

Du hast Anfang der 1970er-Jahre am renommierten Bostoner Berklee College Of Music drei Jahre lang Jazz studiert. Viele Musiker würden behaupten, diesen geschulten Unterboden bräuchte man nicht, weil es vielmehr um das Gefühl und die Magie geht und nicht um Technik und Wissen …
Dem würde ich zustimmen. (lacht) Ich bin ein Student der Musik und als solcher ist man immer daran interessiert, herauszufinden, wie etwas funktioniert und wie man etwas vorwärtsbringen kann. Die Musiktheorie und ihre Strukturen waren mir nie hilfreich, um mein Spiel zu verfeinern. Ich sehe viele junge Musiker, die von all der theoretischen Lehre und der präzisen Harmonie- oder Akkordlehre völlig überfordert sind. Die größten Jazzmusiker haben ihr theoretisches Wissen praktisch so lange umgesetzt, bis sie die Songs verinnerlicht haben. Das machen Kids heute mit Rocksongs auch nicht anders und dorthin habe ich mich orientiert. Es gibt Musiker, die können komplexen Jazz rein nach dem Gehör spielen - etwa Chet Baker. Gut ist immer eine Mischung. Wenn du die Noten lesen und nachspielen kannst, aber auch rein nach Gehör weiß, wohin du greifen musst. Das kann dir ein Studium nicht wirklich vermitteln.

Ist es am Ende mehr harte Arbeit und Disziplin als Talent und Magie?
Ohne eine gewisse Form von Magie geht in der Musik überhaupt nichts. Ich glaube fest daran, dass wir Musiker immer darauf hoffen, dass uns die Musik eine ganz spezielle Stimmung gibt. Einen besonderen Moment. Darauf arbeiten wir hin und darauf warten wir. Den Rest der Zeit spielen wir einfach.

Wird es auch immer schwierig, dass du dich nach all den Jahren und Alben noch selbst überraschen kannst?
Ich weiß nicht. Ich liebe die Musik noch immer und das ist das wichtigste. Ich weiß noch nicht einmal, was passiert, wenn wir hier nicht mehr zusammensitzen. Man muss offen sein und die Antennen ausfahren. In dieser Welt der Musik ist Offenheit das allerwichtigste und würden Dinge nicht immer wieder einmal anders laufen als geplant, würde ich auch gar nicht mehr so viel unterwegs sein. Ich brauche diesen Aspekt der Ungewissheit.

Muss man als Jazzmusiker nicht generell ein offener Typ sein? Also auch das Leben als einen Strang voller Ungewissheiten annehmen?
Ich glaube, dass man diese Offenheit mit den Jahren lernt. Es geht gar nicht anders. Wir alle müssen immer wieder dagegen ankämpfen zu glauben, wir wüssten, wie es geht. Das wird mit zunehmendem Alter nicht leichter. Umso wichtiger ist es, etwas dagegen zu tun.

John Scofield im gemütlichen Talk mit der „Krone“
John Scofield im gemütlichen Talk mit der „Krone“(Bild: Robert Fröwein)

Dafür sucht man immer nach einer Perfektion, die es eigentlich nicht gibt.
Niemals wird etwas perfekt sein, das ist absolut unmöglich - leider. Es gibt aber gute Konzerte, wo man danach glaubt, man habe ein absolut neues Level erreicht. Eine Nacht später kommt es dir dann wieder vor, als wärst du blutiger Anfänger. (lacht) Aber gut, so bleibt es spannend.

Hast du beim Komponieren manchmal Momente, in denen du dich zumindest nahe der Perfektion wähnst?
Ich denke gar nie an die Perfektion. Es gibt gute Momente und es gibt beschissene Momente. Und dann gibt es beschissene Abende, an denen plötzlich etwas Gutes gelingt. Am besten, man lässt einfach immer alles auf sich zukommen.

Versuchst du dein Instrument, die Gitarre, so gut wie möglich zu verstehen, um das meiste aus ihr herausholen zu können?
Die Gitarre ist für mich etwas ganz Spezielles. Im Vergleich zu anderen Musikern bin ich kein Superprofi. Ich muss immer viel üben, mich jeden Tag reinhängen, ansonsten komme ich nicht weiter. Man darf sich der Gitarre nicht zu stark hingeben, denn am Ende kommen die Ideen aus dir selbst raus, auf magische Art und Weise. Wenn ich diese Inspirationen dann zu verkrampft auf das Instrument überlege, dann wird es schnell zu technisch. Man muss jahrelang üben, um ein Instrument halbwegs zu verstehen. Ich liebe das.

Hast du manchmal auch Motivationsprobleme, oder sprühst du immer über vor Energie, wenn es ums Musikmachen geht?
Nein, ich kann schon auch mal schwere Hänger haben. (lacht) Jeden Tag muss ich mich erst einmal hinsetzen, aber dann vergehen zwei Stunden wie im Flug und der Hund vermittelt mir, dass er hinausmuss. Unser Job unterscheidet sich gar nicht so sehr von allen anderen, nur dass wir keine fixen Arbeitszeiten haben. Aber ich muss mich oft genug dazu überwinden, mit der Gitarre endlich in die Gänge zu kommen.

Neben Mike Stern, Pat Metheny und Bill Frisell bist du sicher der bekannteste und markanteste Jazz-Gitarrist der 80er-Jahre. Wie siehst du deine Rolle in der Szene? Gibt es Rivalitäten?
Auf freundschaftliche Art und Weise. Ich liebe sie alle und sie inspirieren mich sehr, aber natürlich versucht jeder so gut wie möglich zu sein. Wir alle haben angefangen zu spielen, als die Zeiten für Musik gerade sehr gut waren. Rock’n’Roll hatte längst seinen Siegeszug angetreten und war gerade an der Spitze. Wir waren jung und wollten Jazz spielen, was damals selten war. Das wollen heute wieder viel mehr junge Musiker. Aber in den frühen 1980er-Jahren passierten viele Innovationen. Der Musik wurde die Chance gegeben, sich zu verändern und zu wachsen und wir durften mitmischen. Heute ist Wachstum in der Musikszene woanders verortet, aber nicht mehr bei der E-Gitarre. Früher war die Gitarre omnipräsent.

Würdest du als junger Erwachsener heute auch noch mal alles in die Waagschale legen und Gitarrist werden oder eher einen vernünftigeren Weg einschlagen?
Ich habe überhaupt keine Ahnung und weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Du musst mit den Karten spielen, die du in der Hand hast. Heute würde ich als 20-Jähriger wahrscheinlich andere halten als damals, deshalb ist diese Frage sehr hypothetisch. Ich sehe aber noch immer so viele junge Musiker, die eine Gitarre in die Hand nehmen und so gut sind, dass sie es schaffen. Es ist immer möglich.

Hattest du jemals einen Plan B oder immer alles nur auf eine Karte gesetzt?
(lacht) Ich war bereit, in einem Musikladen zu arbeiten oder Kids Gitarrenunterricht zu geben, die mich nicht ausstehen konnten.

Deine Frau Carole ist immer mit dir auf Tour. Ist das in diesem Alter unerlässlich, wenn man so viel unterwegs ist?
Sie macht die ganze Arbeit. Ich weiß nicht, ob ihr diese Konstellation so gefällt. (lacht) Sie kümmert sich um all das Geschäftliche und ich kann mich nur glücklich schätzen, dass sie in diesem Bereich so sehr auf mich schaut. Wer kümmert sich besser um dich als ein Familienmitglied? Auf der anderen Seite kriegt sie den höchsten Prozentsatz der Einnahmen von allen Managern im Jazz - ganze 100 Prozent. (lacht) Wenn ich Glück habe, gibt sie mir auch mal was davon ab.

Worauf bist du in deiner Karriere am meisten stolz? Auf einen Grammy? Darauf, mit Miles Davis gespielt zu haben?
Ein Grammy ist etwas für meine Nachbarn, die das irgendwie mitkriegen und dann staunend sagen „oh, er hat einen Grammy gewonnen“. Sie kennen Eric Clapton, aber haben von mir noch nie was gehört und verstehen erst dadurch, was ich eigentlich mache. (lacht) Ich weiß noch nicht einmal, nach welchen Kriterien Grammys verliehen werden. In allererste Linie bin ich ein großer Fan von Musik und hatte das Riesenglück, mit den Allerbesten ihrer Zukunft zusammenspielen zu dürfen. Darauf bin ich stolz. Manche davon waren berühmt, manche weniger, aber mit ihnen allen habe ich eine ganz besondere musikalische Erfahrung gemacht. Sie haben mich in ihre Welt gelassen.

Jüngere Musiker werden genauso über dich denken.
Das hoffe ich sehr, denn wir reichen den Kelch weiter. Das ist die Aufgabe von uns Menschen in diesem Leben. Man lernt von den Älteren und gibt dann an die Jüngeren weiter.

Bist du gerne ein Vorbild für junge Musiker?
Durchaus. Früher waren die Zeiten anders. Als junger Musiker musstest du dir deinen Weg mühsam freiboxen, weil die älteren Etablierten dich entweder gar nicht beachtet haben oder dir Steine in den Weg legten. Zumindest einige davon. Heute ist das ganz anders. Junge Leute sind sehr respektvoll und die heute älteren sind nicht mehr so ruppig. Man muss dann in meiner Position vorsichtig sein, dass die Kids einen nicht links und rechts überholen. (lacht)

Mit welchem musikalischen Partner hattest du über all die Jahre gesehen die beste Chemie?
Das ist schwer zu beantworten. Ich spielte etwa mehr als 30 Jahre lang mit dem Drummer Bill Stewart zusammen. Ein unglaublich songdienlicher Musiker, der genau weiß, was eine Nummer verlangt. Brauchst du auf Knopfdruck rhythmischen Jazz, er ist dein Mann. Es waren zu viele, um mich daran zu erinnern, aber es sind vor allem jene, mit denen ich Nacht für Nacht über viele Jahre zusammenspielte. Daraus entsteht eine ganz besondere Chemie und musikalische Liebe, die mit nichts zu vergleichen ist. Die großen und berühmten Typen wie Miles Davis oder Herbie Hancock sind wieder andere Kaliber. Da kann ich nur hoffen, dass wir eine für alle passende, gute Chemie zueinander hatten.

2022 entstand unter der Regie von Jörg Steineck die Dokumentation „Inside Scofield“, die dein Leben und Wirken beleuchtet.
Es ist schön, dass er sich so viel Mühe gemacht hat, aber ich will weder meine eigene Stimme hören, noch mein Gesicht sehen. Das ist für mich immer sehr seltsam. (lacht) Ich habe gelernt, mir genauer zuzuhören. Damit meine ich aber meine Gitarre und nicht mich selbst. Viele Leute mögen den Film, was mich sehr freut. Jörg hat tolle Arbeit geleistet. Er war mit uns lange auf Tour und hat viel davon eingefangen, wie die Realität ist. Er hat das toll umgesetzt.

Und wenn Hollywood irgendwann einmal anklopft? Wer soll John Scofield personifizieren?
Eine gute Frage. Ich denke wirklich oft darüber nach, weil es mich selbst interessiert. Ich würde sagen, Sylvester Stallone. (lacht) Nein, ich habe absolut keine Ahnung. Eine Glatze ist wichtig, alles andere kann ich dir nicht sagen.

Wie geht es bei dir weiter?
Jetzt gibt es einmal das neue Doppelalbum mit Vicente Archer und Bill Stewart, an dem wir lange geschraubt haben. Dann gehe ich wieder auf Tour und im Sommer 2024 werde ich mit Dave Holland auftreten. Viel weiter habe ich derzeit noch nicht vorgeplant.

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