„Krone“-Interview

Jayda G: „Versuche meine Ängste zu überwinden“

Musik
09.06.2023 09:00

Smoothe Beats, sommerliche Atmosphäre und ernste Texte - die in Kanada geborene und in London wohnhafte Musikerin Jayda G wagt sich auf ihrem zweiten Album „Guy“ in sehr persönliche Gefilde. Im Interview erklärt sie uns, welche Rolle ihr verstorbener Vater für ihr Weltbild spielte, warum sie in Berlin nicht glücklich wurde und weshalb sie Musik und Natur über alles schätzt.

Als House-Produzentin und DJ hat sich Jayda Guy aka Jayda G schon vor geraumer Zeit einen Namen gemacht. Vom 4000-Einwohner-Kaff Grand Forks an der kanadisch/amerikanischen Grenze in British Columbia zog sie 2016 zuerst nach Berlin und dann kurz vor der Pandemie nach London. In Europa hat die Dance-Musik einen ganz anderen Stellenwert als in den USA, mit ihrem 2019 veröffentlichten Debütalbum „Significant Changes“ verarbeitete Jayda ihre drastischen Lebenswandel. Während der Pandemie hat sie akribisch am Zweitwerk „Guy“ gearbeitet, das von ihrem Vater, Rassenunruhen und Geschichtswiederholung erzählt. Schwere und persönliche Texte verquickt sie mit leichtfüßigen, fast sommerlichen Beats.

Zwischen House, Disco, R&B und Soul changieren die Songs, die mithilfe von Gaststars und tollen Produzenten ein kritisches und persönliches Auge auf die afroamerikanischen Gesellschaftsentwicklungen der letzten 80 Jahre wirft. Nebenbei arbeitet die Vollblutkünstlerin und Aktivistin noch aktiv an der im Herbst erscheinenden Dokumentation „Blue Carbon“, die das Augenmerk auf ein in ihrer alten Heimat befindliches Ökosystem richtet, das eine wichtige, aber noch sehr unbekannte Rolle im grassierenden Klimawandel einnimmt. Unlängst legte Jayda auch an der Neuen Donau in Wien auf. „Guy“ ist jedenfalls eines der spannendsten und wichtigsten Elektronik-Alben dieses Jahres.

„Krone“: Jayda, wann hast du begonnen, an deinem zweiten Album „Guy“ zu arbeiten und was waren die ersten Schritte, die dich zum Ziel geführt haben?
Jayda G:
 Gute Frage. Als die Pandemie begann, habe ich aktiv daran zu arbeiten begonnen, aber die Grundidee hatte ich schon vor Jahren. Erst Corona und die Lockdowns gaben mir die Zeit, zu reflektieren, mir die nötige Zeit zu nehmen und alles richtig zu ordnen. Die Themen sind teilweise ziemlich heftig und es verlangte eine andere Vorgehensweise als üblich, wo ich mit meinem Synthesizer am Laptop sitze und ein Album fertige. Es war ein langer Prozess, der mich über die gesamte Pandemie eingespannt hat. Mitte 2022 war ich dann fertig.

Das Album dreht sich um dich, deine Familie und vor allem deinen Vater. Wie es ihm als schwarze Person früher in Kanada ging und wie sich die Dinge politisch und gesellschaftlich verknüpften und schlussendlich zur Gegenwart und zu dir führten. Was es schwierig, dafür eine Ordnung zu finden?
Das Album hängt sehr stark mit den Geschichten meines Vaters zusammen. Er war lange sehr krank und starb, als ich zehn Jahre alt war. Da er von seiner Krankheit und dem drohenden Ende wusste, hat er seine Geschichten auf elf Stunden Videomaterial aufgenommen. Die meiste Zeit redet er über sein Leben und hält eine Rückschau darauf. Ich habe dann seine Geschichten und Erfahrungen in Relation zu meiner Gegenwart als junge Erwachsene gesetzt. 1968 war er in Washington D.C. und er war in seinem Apartment eingesperrt, als plötzlich die Rassenunruhen ausbrachen, die nach der Ermordung von Martin Luther King losgingen. Als ich daran arbeitete, war gerade Frühling 2020 und die „Black Lives Matter“-Bewegung hat diese Zeit dominiert. Es gibt also viele Parallelen und auch Erkenntnisse, wie wenig sich in gewissen Bereichen verändert hat. Wie hart es noch immer ist, für die Rechte von People Of Colour zu kämpfen, wenn das System nicht dafür ausgerichtet ist. Ich habe viel zugehört, transkribiert, gelernt und umgesetzt.

Aus ein paar Funken von Ideen und Anfängen entstand dann das Gesamtwerk „Guy“? Hast du deinen Vater in den letzten Jahren neu kennengelernt?
Ich habe ihn total neu kennenlernt. Es beginnt ja schon damit, dass man als Kind immer glaubt, die Eltern würden absolut alles wissen, aber je älter man wird, umso mehr merkt man, dass sie auch Fehler machen, sich irren oder Dinge nicht wissen. Wenn du eine gute Beziehung zu deinen Eltern hast, dann entwickelt sie sich bestenfalls zu einer Freundschaft. Diese Chance hatte ich durch den frühen Tod meines Vaters nicht, also habe ich ihn über die Tapes kennengelernt. Es gab auch Geschichten, die ich schon kannte, doch als Erwachsene sehe ich sie anders. Ich habe jetzt erst realisiert, wie hart sein Leben gewesen sein muss.

Du trägst diese durchaus persönlichen Geschichten nun in die Öffentlichkeit und teilst sie mit allen Menschen. War dir das ein Anliegen?
Ich weiß, dass ich sehr begünstigt bin durch Geschichten von anderen Menschen, die viel durchgemacht haben und ihre Erlebnisse teilten. So fühle ich mich weniger allein und kann mit anderen Blickwinkeln die Dinge betrachten. Ein wichtiger Grund für dieses Projekt war für mich, dass ich etwas mache, wodurch auch andere sich verstanden oder gesehen fühlen.

Songs wie „Scars“ oder „Blue Lights“ sind direkter an deinen Vater gerichtet als andere. Was hat er dir auf deinen Lebensweg als Kind noch mitgegeben? Was hast du von ihm gelernt?
Ich bewunderte vor allem sein Ausdauervermögen. Er kam als Schwarzer in den 40er-Jahren in den USA auf die Welt und das war alles andere als leicht. Er wuchs in einer Welt auf, in der er sich nach Zielen streckte, die ihm von der Gesellschaft gar nicht aufgezeigt wurden. Das ist kaum vorstellbar, weil uns heute eingetrichtert wird, dass alles verfügbar und erreichbar ist. Am Ende bin ich ein Produkt seines Lebens und seiner Ansichten und das zu verstehen, hat mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet.

Es ist manchmal auch für dich ernüchternd, eine politische und gesellschaftskritische Person zu sein in einer Welt, die voller Brandherde und Konflikte ist? Wo die Menschen aus der Geschichte oft nichts lernen?
Ich bin eine sehr hoffnungsvolle Person. Die „BLM“-Bewegung müsste nicht sein, wenn wir das System schon vor vielen Jahrzehnten geändert oder adaptiert hätten. Am Ende des Tages machen wir Menschen aber immer weiter und versuchen Dinge zu verbessern. Das liegt in unserer DNA als Spezies. Es passieren zwar viele furchtbare Dinge, aber wir Menschen geben nicht auf, sondern machen weiter. Wir zeigen Ausdauer und versuchen, Veränderungen einzuleiten. Ich finde immer Hoffnung in allem - auch wenn sie noch so klein erscheint. Wir haben immer die Wahl, wie wir durch die Welt gehen. Mein Vater war mir ein großes Vorbild dafür. Auch wenn du in eine Gegend und Gesellschaft geboren wirst, die nicht viel hat und dir nicht viel bietet, kannst du immer mehr erreichen. Du kannst es versuchen und erreichen.

Das „Interlude“ nennt sich „I Got Tired Of Running“. Hast du in deinem Leben auch schon einmal die Nase voll davon gehabt, vor Problemen oder inneren Dämonen wegzulaufen?
(lacht) Wer nicht? Dieses Gefühl kennen wir alle und deshalb war mir auch wichtig, dieses Thema auf dem Album zu verarbeiten. Veränderungen verunsichern uns. Ob du jetzt den Job wechselst, den Partner oder den Wohnort - all das erfordert Überwindung und ist eine psychische Herausforderung. Manchmal ist es aber wichtig, sich nicht dem Status Quo hinzugeben, sondern sich den Ängsten zu stellen. Ich habe in vielen Situationen des Lebens Angst, aber ich öffne trotzdem die Tür und lasse mich auf etwas ein. Dinge, die einen ängstigen, können auch Möglichkeiten sein. Möglichkeiten, um zu wachsen, zu reifen oder Neues zu entdecken. Wenn du so durchs Leben gehst, ist es vielleicht manchmal weniger schmerzhaft.

Bei großen Veränderungen bist du ganz vorne dabei. Vor sieben Jahren bist du von Kanada nach Berlin gezogen, kurz vor der Pandemie dann schließlich nach London. Springst du gerne ins kalte Wasser?
Ich weiß nicht, ob ich es gerne mache, aber ich mache es jedenfalls. Aber eher mit geschlossenen Augen und leicht vorantastend. (lacht) Das fällt mir nicht leicht, aber auch da baue ich auf das Ethos meiner Familie. Man erreicht im Leben nichts, wenn man es nicht probiert. Natürlich kann man hinfallen, aber man muss auch immer wieder aufstehen und weitermachen. In meiner ganzen Familie wurde immer alles probiert, um mehr zu erreichen und dabei ein guter Mensch zu bleiben. Zumindest versuchen wir das. Am Ende des Lebens geht es vor allem darum, es so gut wie möglich gelebt und schöne Erinnerungen daran zu haben.

Kanada ist ein wunderschönes Land - bist du wegen deiner Karriere nach Europa gekommen?
Ich vermisse Kanada sehr und versuche, zumindest zweimal pro Jahr heimzufliegen. Es holt mich auf den Boden zurück und ich komme immer ganz bei mir selbst an. Die Musikindustrie ist in Kanada aber ganz anders als in Europa und Großbritannien im Speziellen. Dance-Music ist in Europa Mainstream und beliebt. Hier gibt es Leute, die sich in ihren 60ern befinden und mit Raves aufgewachsen sind. Das ist grandios, aber in Nordamerika ist das nicht der Fall. Die Musik ist dort populär, dafür hat auch Beyoncé gesorgt, aber sie ist nicht mit Europa vergleichbar. Für meinen Sound ist Europa der „place to be“. Berlin war sehr gut für meine Anfänge, aber in London fühle ich mich einfach besser aufgehoben. In Berlin lebt aber immer noch ein Teil meiner Familie und so wie es im Klischeebuch steht, hat da quasi jeder was mit DJing oder Auflegen zu tun. (lacht) Mein Management, mein Label und auch mein Mode-Management sind in London. Außerdem hatte ich einen einjährigen Deal mit BBC Radio 1. Kanada ist weit weg, aber ganz ohne geht es nicht.

Wo fühlst du dich denn zu Hause und was brauchst du für dieses Gefühl?
Da gibt es ein paar Dinge. In Kanada fühle mich immer daheim, weil dort alles ein bisschen seltsam ist. Nur Menschen, die sehr weit von ihrem ursprünglichen Zuhause weggezogen sind, können nachvollziehen, dass man in der alten Heimat immer etwas leichter atmen kann. Ich wuchs in der 4000-Einwohner-Stadt Grand Forks auf und diesen Ort vermisse ich immer. Ich brauche meine Familie, meinen Ehemann und meine zwei kleinen Katzen, um mich zu Hause zu fühlen. Mein Mann wuchs mit mir im gleichen Dorf auf und wir haben eine Verbindung, die in London sonst natürlich niemand versteht.

In Europa war Wien vor allem in den 90ern ein zentraler Knotenpunkt für die elektronische Musikszene. Etwa mit G-Stone Recordings oder Kruder & Dorfmeister. Hast du etwas davon in Kanada mitbekommen?
Ich kenne mich leider zu wenig aus, um dir hier im Gespräch was Kluges dazu zu sagen. (lacht) Ich habe schon sehr oft in Wien aufgelegt und diese Stadt war bei den allerersten, die ich in Europa besuchte. Das bleibt einem in Erinnerung. Wien war schon bei meiner ersten Tour dabei und die Stadt hat seitdem immer einen besonderen Platz in meinen Herzen. Ich war auch schon oft bei euch in den Bergen und das erinnert mich immer an meine Heimat. Menschen, die irgendwo bei Bergen oder Gebirgen aufgewachsen sind, wissen, dass man sich dort automatisch besser und geschützt fühlt. (lacht)

Kommen wir noch einmal zurück zu „Guy“. Das Album strahlt eine wundervolle Wärme aus und wirkt sehr umarmend. Obwohl die Themen darauf sehr schwer und ernst sind, ist die musikalische Atmosphäre ziemlich gelöst. Hast du das bewusst so austariert?
Es war kein bewusstes Ziel, weil sich Visionen nie so umsetzen lassen, wie ich sie mir ausmale, aber ich wollte zumindest in diese Richtung. Es gibt viele Elemente von mir zu finden und die sind manchmal etwas atmosphärischer. Andererseits liebe ich auch schwerere Inhalte, die mit leichteren Melodien verknüpft sind. So kann man sich dem Song besser hingeben und alles fällt etwas introspektiver aus.

Gab es einen besonders herausfordernden Moment, der sich beim Erstellen des Albums für dich aufgetan hat?
Einen Moment? (lacht) Jedes Album hat so seine Herausforderungen. Mein erstes Album „Significant Changes“ habe ich ganz alleine gemacht und davon hatte ich genug. Ich habe bewusst nach Menschen gesucht, mit denen ich meine Ideen und Visionen teilen kann. Ich wollte mich verletzlich zeigen, indem ich die Geschichten von mir und meinen Vater offen zeige. Jeder, der an diesem Album beteiligt war, hat mich in diesem Zustand getroffen. Das war nicht einfach für mich, denn dadurch musste ich mich öffnen und bloßstellen. In der Musikindustrie gehst du oft in ein Studio und triffst dort Leute, mit denen du noch nie einen Satz gewechselt hast. Das habe ich total für mich ausgeschlossen, also habe ich alle Menschen, die daran beteiligt waren, persönlich ausgewählt. Viele davon habe ich sogar interviewt und nachgefragt, ob das für sie wohl auch alles so okay sei. (lacht)

Du bist auch ein essenzieller Bestandteil einer Dokumentation namens „Blue Carbon“, die später in diesem Jahr noch erscheinen wird. Kannst du uns dieses Projekt etwas genauer erläutern?
Der Begriff „Blue Carbon“ beschreibt bestimmte Ökosysteme in Küstengegend, die aus Seegraswiesen, Mangroven und Gezeitensümpfen bestehen. Sie kämpfen auf natürliche Weise sehr gut gegen den Klimawandel an und der Film soll den Leuten nicht nur die Augen dafür öffnen, sondern auch dazu animieren, diese wertvollen Ökosysteme zu schützen und zu unterstützen. Wir müssen sie kultivieren und sie müssen dringend überleben. Die Geschichte hat sich aber zu viel mehr aufgebläht und es geht jetzt auch um die Menschen, die drumherum leben. Am Ende des Tages ist die Dokumentation ein Statement zu einer sozialen Schieflage, was sie gar nicht so sehr von meinem Album unterscheidet, das das Thema BLM aufgreift.

Wir emittieren sehr viel Karbon und all jene, die nicht direkt davon betroffen sind, haben keine Ahnung von den Effekten und ignorieren das Problem. Andere leiden aktiv darunter. Wir müssen viel mehr darüber reden und Dinge aktiv ändern. Der Klimawandel befeuert zwar die Umweltdiskussion, aber dafür bleibt die soziale Gerechtigkeit oft auf der Strecke. Der Film wird am Ende des Jahres herauskommen und auf CNN ausgestrahlt. Mit dabei sind der „Emmy“-prämierte Regisseur Nicolas Brown und RZA vom Wu-Tang-Clan ist für den Soundtrack verantwortlich. Und natürlich noch viele mehr, wie mich, die diese Kunde auf der Welt verbreitet. Ich bin sehr stolz auf dieses Projekt.

Sind dir deine Tätigkeiten als Aktivistin heute noch wichtiger als je zuvor?
Aktivismus hat immer so einen bösen Ruf, weil der Begriff belehrend wirkt und den Leuten auf die Nerven geht. Aber so sehe ich das nicht. Alle Künstler haben Leidenschaften und Passionen und ich will, dass jeder offen damit umgeht. Bei mir ist es die Natur. Ich liebe das Leben im Freien und habe auch einen Abschluss in Biologie. Die zwei Dinge, die mich im Leben glücklich machen, sind die Musik und die Natur. Ich versuche immer so gut wie möglich diese beiden Dinge in meinem Leben zu verbinden.

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