Live in der Stadthalle

Avril Lavigne: Für immer im Teen-Korsett gefangen

Wien
28.04.2023 01:09

Rund 13.000 Fans waren Donnerstagabend in der Wiener Stadthalle mit dabei, als die kanadische Pop-Punk-Legende Avril Lavigne nach 18 Jahren ihr Live-Comeback in der Bundeshauptstadt gab. Die nostalgische Hit-Revue war emotional, in vielerlei Hinsicht aber auch leidenschaftslos und verbesserungswürdig.

Nichts gegen den Hauptplatz im steirischen Leoben, aber der „place to be“ ist er nicht unbedingt, wenn es um internationale Weltstars geht. Genau dort hatte die kanadische Pop-Punk-Ikone Avril Lavigne im Sommer 2008 ihr letztes Österreich-Konzert gegeben - Wien war gar 18 Jahre lang nicht mehr am Plan. Als ob die Warterei nicht schon reichen würde, kam den treuen Fans dann auch noch eine Pandemie in die Quere. Manche haben ihre Konzerttickets seit knapp vier Jahren daheim herumliegen. Ursprünglich wollte Avril bei ihrer Comeback-Tournee das emotionale Album „Head Above Water“ (2019) vorstellen, das die Zeit mit ihrer fast letal geendeten Borreliose abhandelte, doch mittlerweile hat sie mit „Love Sux“ schon das nächste Album im Gepäck, das sich - exakt 20 Jahre nach ihrem welterfolgreichen Debüt „Let Go“ - auf die Punkrock-Wurzeln der Teenager-Jahre bezog.

Im Alter schüchterner
Nicht weniger als 13.000 Fans finden sich in Wien ein, um ihrer mittlerweile 38-jährigen Göttin zu huldigen, die kurz nach dem Millennium in mehrfacher Hinsicht omnipräsent war. Sie diente als Sprachrohr und Ventil der damaligen Teenage-Girls, Burschen konnten der Blondine mit den eindringlichen Kajal-Augen und dem scharfkantigen Lächeln nur dann widerstehen, wenn sie homo- oder asexuell waren und ihre Songs durchbrachen die jahrelang vorherrschende, durchaus toxische Männlichkeit des Nu Metals von Limp Bizkit und Co. Anno 2023 steht Avril wieder vor uns. Schwarzes Lederkorsett, totenkopfbedruckte Kapuzenjacke, wuchtige Metal-Boots, die obligatorischen Netzstrümpfe und ein in Würde gealtertes, 38-jähriges Gesicht, das sie aber lieber versteckt. Fotografen müssen von ganz hinten knipsen und selbst die eigenen Kameraleute bilden sie auf den zwei die Bühne flankierenden Video-Walls nie in Nahaufnahme ab.

Das Altern ist per se nicht leicht, noch weniger, wenn man seine Karriere in einen Pfad des ewigen Teenager-Daseins gefräst hat und partout nicht mehr aus der Grube herausfindet. Wie bei männlichen Genre-Kollegen der Marke Blink-182 oder Sum 41 sind performative Abnützungserscheinungen zu erkennen. Das mitten im Set geschlagene Rad täuscht nicht darüber hinweg, dass Avril eben nicht mehr so agil und motiviert ist wie zu Frühzeiten. Unentwegt laufen Nostalgie-Videos und verstärken die Hit-Parade von damals. Große Gefühle bei „Complicated“, eine wabernde Akustik-Gitarre bei „Wish You Were Here“, dann aber auch mal Vollgas bei „Girlfriend“ oder „My Happy Ending“. Schwarze und orange Luftballons segeln durchs Publikum, Springschlangen und Konfetti dürfen nicht fehlen, die Pyrotechnik brennt nur auf dem Screen - die Inflation trifft uns schließlich alle, echtes Feuer geht sich nicht aus.

Wenig ruhmreiches Vorprogramm
Das Publikum ist mit ihrer Heldin mitgealtert und erfreut sich an den Hits, auch wenn sie zwischendurch zäh klingen. Avrils Stimme kommt gerne mal vom Band, die instrumentalen Interludes „It Was In Me“ und das mit Dubstep-Teilen durchzogene „Hello Kitty“ zerstören eher den Fluss und bei der durchaus leidenschaftlichen Cover-Version des Spice-Girls-Evergreens „Wannabe“ holt sich Avril eine Handvoll Fans und ihre Freundin Phem auf die Bühne. Die 27-jährige Kalifornierin turnte im Vorprogramm mehr schlecht als recht bei nervig grünem Licht über die Bühne und bediente sich während ihres 25-minütigen Auftritts mitunter beim Voll-Playback. Im Gespräch mit der „Krone“ vor dem Gig sprach sie über ihre Beziehung zu Avril. „Ich kann nicht behaupten, dass ich in meiner Teen-Zeit ein großer Fan war, aber sie ist eine Ikone. Die Leute kennen alle Songs und Texte, unglaublich. Sie hat allgemein viel geleistet, aber momentan schätze ich ihr Songwriting besonders.“

Mit ihren genderfluiden Texten, die sich auch nicht davor scheuen, Offenheit und Verletzbarkeit zu zeigen, hat Phem schon Kooperationen mit Machine Gun Kelly, Tom Morello, G-Eazy oder Steve Aoki eingesackt. In den USA ist sie mit ihrer Mischung aus Pop-Punk, Rap, Emo und Rock eine kleine Underground-Ikone mit solider Fanbase, hierzulande bräuchte es aber ein bisschen mehr, als sich nur auf die Technik im Hintergrund zu verlassen. „Jeden Abend vor 10.000 Avril-Fans aufzutreten, ist nicht einfach. Die Leute sind für sie da und ich muss sie immer davon überzeugen, dass ich ihre Aufmerksamkeit verdiene. Damit geht großer Druck einher, aber ich wachse mit den Herausforderungen und komme immer besser mit der Öffentlichkeit klar. Die Verbindung zu meinen Fans ist mir am wichtigsten. Sie zeigen mir, dass ich nicht alleine bin und sind für mich wie eine Familie.“ Live muss jedenfalls viel mehr kommen.

Schaler Nachgeschmack
Zurück zu Avril. Auch hier werden schon früh Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Die Kulthymne „Sk8er Boi“ hat zwar auch nach 20 Jahren nichts von ihrer Dringlichkeit verloren, im Zugabenteil verzichtet sie auf das in Resteuropa gespielt „Avalanche“ und schließt den Abend nach nur 83 handgestoppten Minuten mit der eindringlichen Ballade „I’m With You“. Die zehn Stück starke Verstärkerwand, die wuchtigen Videowalls und ihre profunde Band können auch nichts daran ändern, dass hier abseits der verklärten Nostalgieromantik sehr viel Dienst nach Vorschrift und etwas zu wenig Leidenschaft zu sehen ist. Vielleicht ist Lavigne aber auch nur auf ewig in ihrem 18-jährigen Selbst gefangen und findet keinen Weg, das Früher mit dem Jetzt und dem Morgen zu verbinden? Das Wien-Comeback nach 18 Jahren Abwesenheit hat jedenfalls einen schalen Nachgeschmack.

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