„Memento Mori“

Depeche Mode: Dunkler Abgesang einer großen Ära

Musik
23.03.2023 10:40

Nach dem tragischen Verlust von Keyboarder und Freund Andrew Fletcher gingen Depeche Mode letzten Sommer in die Offensive und fertigten das 15. Studioalbum „Memento Mori“. Ein Werk voller Trauer, Sterblichkeit und Düsternis, das nur rudimentär mit dem tragischen Ereignis zu tun hat. Am 21. Juli kommt die Band live ins Klagenfurter Wörthersee Stadion.

(Bild: kmm)

Geschmacklosigkeit oder Tribut? Am Backcover des brandneuen Depeche Mode-Albums „Memento Mori“ steht ein Tisch mit einem Totenschädel, flankiert von zwei leeren Stühlen, auf denen Gahan und Gore hätten sitzen sollen. Nach dem überraschenden Tod ihres Keyboarders und Ruhepols Andrew Fletcher vor zehn Monaten ist bei den britischen Synthiepop-Pionieren nichts mehr so, wie es einmal war. Plötzlich bekommen Albumtitel, Bildsprache, Ikonografie und Musik eine ganz andere Bedeutung. Wie die beiden Kreativköpfe in zahllosen Interviews ausschweifend erklärten, hat die Grundthematik nichts mit dem tragischen Verlust zu tun. Nach den eher politisch angehauchten Songs auf dem 2017 veröffentlichten „Spirit“ und einer üppigen Tour, war erst einmal Funkstille. Als dann auch noch die Pandemie hereinbrach und sich die Musiker auf ihre Nebenprojekte konzentrierten, war sich Gahan nicht mehr sicher, ob es überhaupt noch neue Musik von Depeche Mode geben werde.

Immer noch viel zu sagen
Erst als ihm Gore erste Demos mit tiefsinnigen und melancholischen Songs über Trauer und das unweigerliche Ende des Lebens schickte, kam die Maschinerie wieder ins Rollen. Fletch selbst trug, wie gewohnt, nichts zum kreativen Prozess des Albums bei, dass er aber sechs Wochen vor den geplanten Aufnahmen der ungemein düsteren Songs aus dem Leben schied, brachte das verbliebene Duo zum Nachdenken. Das Kapitel schließen und die angefertigten Songs und Ideen versperren, oder in die Offensive gehen und weitermachen? „Wir wussten, dass alles ohne Andy ein bisschen seltsam werden würde“, erzählt uns Gore im „Krone“-Gespräch, „aber was wäre die andere Option gewesen? Den Rest unserer Tage herumzusitzen und nichts zu tun, das sind nicht wir. Zumal wir immer noch das Gefühl verspüren, dass wir noch viel zu sagen haben.“ Gore schrieb viele Songs mit Psychedelic Furs-Frontmann Richard Butler und sogar einen mit Gahan. Das flotte „Wagging Tongue“ ist tatsächlich erst die zweite direkte Zusammenarbeit der beiden in knapp viereinhalb Dekaden Bandgeschichte.

Gahan steuerte zwei weitere Tracks bei und arbeite nicht nur mit seinem „partner in crime“, dem österreichischen Drummer Christian Eigner, sondern auch mit Hauptproduzent James Ford zusammen. Im Heimstudio von Gore merkten die beiden Frontmänner schnell, dass sich ohne Fletchers Anwesenheit eine neue Art der Beziehung herauskristallisierte. „Fletch und Martin waren mehr als 50 Jahre eng befreundet. Schon lange, bevor es die Band überhaupt gab“, erinnert sich Gahan zurück, „ihre Beziehung geht weit tiefer und das war bei jedem Treffen spürbar. Wenn die beiden zusammenhingen, war ich immer außen vor.“ Als Gahan Ende der 90er-Jahre mehrmals am Tor des Todes klopfte, hielt Fletcher die Band mit seiner stoischen und unaufgeregten Art zusammen. Er war der Filter zwischen den beiden großen Diven im Rampenlicht. Wenn es kreative Differenzen zwischen Gahan und Gore gab, fungierte er bewusst und auch oft unbewusst als stiller Puffer.

Neues Kennenlernen
Bei Fletchers Beerdigung brach Gahan fast zusammen. In diesem Moment wurde ihm endgültig klar, dass die Ära des Trios unwiederbringlich vorüber war und nichts mehr so sein würde, wie zuvor. „Ich habe mich früher oft über Fletch geärgert“, gibt Gahan mit wässrigen Augen zu, „habe ihn aufgefordert, sich einzubringen und Ideen zu liefern. Aber das war nicht seine Rolle in der Band und das habe ich erst später bemerkt. Er hat vor allem Martin gestützt und war immer verlässlich. Martin hat Andys Verlust extrem gespürt und ich habe gemerkt, dass ich Martin dadurch helfen und ihn stützen musste. In diesem Moment habe ich erkannt, dass auch ich Hilfe brauchte. Aus dem Zustand heraus haben wir ,Memento Mori‘ fertiggestellt. Martin und ich haben seit jeher eine sehr eigenartige Beziehung zueinander, aber der Verlust unseres gemeinsamen Freundes hat alles verändert. Wir mussten uns auf anderen Wegen neu kennenlernen.“

„Memento Mori“ lebt zu einem Großteil von düsteren, aber auch episch angehauchten Momenten. Das Album wirkt in fast jeder Phase seiner Ausformung wie ein Abgesang auf den zentralen Baustein der Band, hat aber weder inhaltlich noch musikalisch Farben, die sich auf Fletcher beziehen. Die zuletzt veröffentlichte Single „My Cosmos Is Mine“ leitet mit an Nine Inch Nails gemahnenden Industrial-Klängen in die akustische Reise und trumpft mit repetitiven Songstrukturen und einem atmosphärischen Outro auf. Die vorab ausgekoppelten bzw. live gespielten Songs „Ghosts Again“, „Wagging Tongue“ und „My Favourite Stranger“ weisen den zugänglichsten Hit-Faktor auf und mäandern zwischen New Order-Nostalgie, 80er-Synthie-Reminiszenzen und einer düsteren Grundhaltung, die - wie bei Depeche Mode gewohnt -auch von einer gewissen Romantik durchzogen ist. Doch gerade im Mittelteil offenbaren sich viele Schwächen. „Soul With Me“, „Before We Drown“ oder das ironische betitelte „People Are Good“ mäandern zwischen Zynismus und Schlager und machen in der prestigeträchtigen Diskografie der Briten keinen schlanken Fuß.

Endlich wieder ein Ziel
„Es war gar nicht möglich, nicht von dieser dunklen Zeit beeinflusst gewesen zu sein“, beschreibt Gahan den Entwicklungsprozess, „es herrschte eine ganz besondere Form der Einsamkeit und eine drohende Unsicherheit bezüglich der Zukunft. Themen wie das Ende oder Sterblichkeit im Allgemeinen sind stark ausgeprägt, begleiten uns aber seit jeher.“ Während der Pandemie konzentrierte sich Gahan auf das Album „Imposter“ mit seinen Soul Savers und entwickelte Unsicherheiten ob seiner selbst. „Manchmal fühle ich mich wie ein Hochstapler. Ich hatte Angst, ob ich noch so gut performen kann wie früher. Ich erkenne die Person im Spiegel immer, aber manchmal höre ich die kleine Stimme, die den Entertainer aus mir herauskratzen will. Heute bin ich sicherer in meiner Person als ich es früher war - das ist ein unglaublicher Fortschritt. Die Zukunft liegt jetzt wieder vor uns und alles wirkt so, als hätte ich wieder einen Zweck und ein Ziel. Dieses Gefühl hatte ich während der Pandemie nicht immer.“

„Memento Mori“ ist kein Meisterwerk und wird in der Band-Diskografie auch keinen Podestplatz ergattern, doch im Angesicht der dramatischen Ereignisse und der damit verbundenen Veränderungen in der Band, kann man sich diesem vielseitigen, zumeist aber zurückgelehnten Werk von einer anderen Warte aus annähern. Die zähen Momente im Mittelteil werden gut von den Rahmentracks aufgewertet. Einerseits durch den erwähnten Opener „My Cosmos Is Mine“, andererseits durch das abschließende „Speak To Me“, das sich von einer fast schon sakral anmutenden Ballade in ein instrumentales, Streicher-besetztes Crescendo steigert, das an einen Horrorfilm-Soundtrack erinnert. Wenn die Band bald auch in Europa auf große Stadiontour geht, werden die Handykameras von Tausenden Fans doch wieder bei den großen Klassikern von früher gezückt werden. „Memento Mori“ ist im Endeffekt aber vielmehr ein Statement für die Band selbst - und wird durch die dunklen Ereignisse für immer einen besonderen Stellenwert besitzen.

„Krone“-Konzert in Klagenfurt
Am 21. Juli sind Depeche Mode beim „Krone“-Konzert im Klagenfurter Wörthersee Stadion zu sehen. Natürlich mit allen großen Hits, aber sicher auch mit so manch neuer Nummer. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten für das Open-Air-Highlight dieses Sommers.

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