Live in der Stadthalle

Bryan Adams: Rock-Wurlitzer ohne Ecken und Kanten

Wien
04.12.2022 05:00

Rund 11.000 Fans waren Samstagabend in der Wiener Stadthalle zu Gast, als Bryan Adams sein ursprünglich im Februar geplantes Top-Konzert endlich nachholte. Mehr als zwei Stunden lang reihte sich Hit an Hit und den begeisterten Fans wurden auch rare Songwünsche erfüllt. Am Ende fehlt der klinisch perfekten Vorstellung aber ein bisschen Emotion und Imperfektion.

Irgendwie ist der kanadische Radio-Rocker Bryan Adams bei uns omnipräsent, aber seine letzte Wien-Show lag nun doch mehr als sechs Jahre zurück. Seit diesem Auftritt brach ein Krieg in Europa aus, wir wurden in ein globales Virus-Chaos getunkt und Bryan selbst geht mittlerweile langsam auf die 70 zu, auch wenn man das dem topfitten Veganer an keiner Faser seines Körpers ansieht. Im Zuge seiner „So Happy That It Hurts“-Tour lässt er freilich auch einige Songs seines gleichnamigen neuen Albums vom Stapel, setzt aber in gewohnter Art und Weise auf sein schier unfassbares Oeuvre an kultigen Hits. Das Intro startet etwas verspätet mit humoristisch-biblischen Zitaten, während uns Adams im gleißenden Rotlicht und zu überdreht gesteuerten Schrammelriffs des Openers „Kick Ass“ ins Gedächtnis ruft: „Let there be guitar, drums, bass, piano.“

Kein Revue-Gefühl
Mit dem rockigen Beginn spielt sich der Entertainer selbst in die Karten. Wer schon so früh am Abend auf „Can’t Stop This Thing We Started“, „Somebody“ und „Shine A Light“ setzt, der hat nicht nur die Herzen der Fans gewonnen, sondern sie auch konditionell schnell warmgespielt. Wien, ein traditionell guter Boden für den Hobbyfotografen aus Ontario, erwidert seine musikalisch angebotene Liebe mit rauschendem Jubel und viel Applaus. Seine vierköpfige Stammband rund um den fantastischen Gitarristen Keith Scott kennt jeden Griff in- und auswendig und kommt locker mit dem hohen Tempo ihres Chefs mit. Adams scherzt immer wieder lose mit dem Publikum, aber in solch raren Dosen, dass man immer weiß, hier ist man bei einem Rockkonzert und nicht etwa bei einer großen Showrevue.

Bryan Adams kommt dem Wesen und Erfolg eines Bon Jovi am nächsten: ein kreativer Rock-Wurlitzer mit dem untrüglichen Gespür für breitenwirksame Gassenhauer, dem es aber rundum an Ecken und Kanten fehlt. Spielerisch wandelt er zwischen den musikalischen Sub-Genres und wechselt die Rollen im Mehrminutentakt. Einmal ist er der pomadige Rockabilly-Crooner, dann der sanfte Faserschmeichler, dann wieder der straighte Rockstar und zwischendrin darf das breitbeinige Gehabe auch einmal zugunsten sanfter Pop-Anleihen zurückrücken. Adams spielt sich durchs Set, ohne Zeit zu verlieren. Nichts ist dem Zufall überlassen. Auch die Einblendungen auf der massiven Videowall sind perfekt gesetzt. Eine regennasse Gasse in Schwarzweiß bei der Herzschmerz-Ballade „Heaven“, Strandspaziergänge mit dem Hund bei „These Are The Moments That Make Up My Life“ oder wild tanzende Fans, die vom hauseigenen Kameramann Marco in Szene gesetzt werden.

Tadellos geölt
Beim an die 50er angelehnten Rockabilly-Klassiker „You Belong To Me“ packt die Band einen Kontrabass aus und Adams baut den Klassiker „Blue Suede Shoes“ ein, das live überraschend harte „The Only Thing That Looks Good On Me Is You“ begeistert mit Stroboskop-Lichteffekten und AC/DC-Riffing und im zärtlichen, nur vom Piano und einer Akustikgitarre begleiteten Soloteil mit „Here I Am“ und „When You’re Gone“ dreht er das Tempo von 180 auf 0. Natürlich treffen all die Songs ins Schwarze und reißen mit, doch mit Fortdauer des Sets hofft man zunehmend auf eine Überraschung. Einen kurzen Ausritt aus der tadellos geschmierten Maschinerie des Erfolgs. Et voila - auch das hat der Perfektionist für uns im Köcher. Im zweiten Drittel, direkt nach dem leidlich totgespielten „Summer Of ‘69“, dürfen sich die Fans in Form von Wunschzetteln eine Zeit lang außerhalb der Formatradioschiene bewegen.

Das Resultat tut dem nach Schema F abgespulten Set sehr gut. Christina wünscht sich das brandneue „Always Have, Always Will“, Nico bekommt mit dem 1984 eingespielten „Kids Wanna Rock“ einen richtig unbedarften Moment aus der musikalischen Jugend des Interpreten serviert und als sich Philipp „In The Heat Of The Night“ wünscht, erzählt Adams beschwingt, dass ihn die Stadt Wien und vor allem „Der dritte Mann“ zu diesem Song inspiriert hätten. Nachdem bereits eindreiviertel Stunden voller Gassenhauer vergangen sind, schickt der Kanadier einen aufblasbaren weißen Cadillac durch die Halle, um neben dem Titeltrack zum neuen Album den famos gelungenen Klassiker „Run To You“ zu exerzieren. Das Las-Vegas-artige Frankie Valli-Cover „Can’t Take My Eyes Off You“ ist in puncto Drive bei dieser Show leider ein logistischer Reinfall, doch Adams‘ vielleicht stärkster Song, das zärtliche „Straight From The Heart“, macht den Fauxpas als melancholische Soloversion mit Tausenden auf die Bühnen gerichteten Handylichtern wieder wett.

Haarspaltereien
Adams‘ raues Timbre funktioniert nach wie vor tadellos, das Changieren zwischen bedrückenden Balladen und lebensfrohen Rock-Hadern hat der Wahl-Londoner so gut drauf wie kaum ein zweiter Künstler und sein treues Publikum dirigiert er mit viel Sympathie und Stilsicherheit. Trotz all der großen Songs und wuchtigen Klänge fehlt der Show am Ende aber ein bisschen die Emotion und das gewisse Etwas. Zeitweise wirkt der Frontmann zu routiniert und abgeklärt, kann nicht ganz das Feuer vermitteln, das man von ihm aus den letzten Jahren gewohnt war. Wer aber mehr als zwei Stunden dermaßen viele Top-Songs abspulen kann, ohne dabei auch nur einen Füller verwenden zu müssen, der ist über viele Formen der Kritik erhaben. Am Ende bleibt aber doch noch eine wesentliche Frage: haben Adams, Bruce Springsteen und Andreas Gabalier mittlerweile denselben Frisör?

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