Livekonzert im Flex

Sam Ryder: Song-Contest-Star feiert Wien-Debüt

Wien
04.11.2022 23:32

Freitagabend gab der britische Song-Contest-Zweite und Pop-Durchstarter Sam Ryder vor erschreckend hagerer Kulisse im Wiener Flex sein Österreich-Debüt. In seinem sehr kurzen Set zeigte sich der 33-Jährige talentiert und ambitioniert, ließ aber noch einige offensichtliche Schwächen erkennen. Um einen hierzulande bekannten Regierungsspruch zu zitieren: die nächsten Monate werden entscheidend sein.

Wien ist anders, das ist bekannt. Doch nicht immer zum Guten. Während Sam Ryder, definitiv der britische Aufsteiger des Jahres, quasi in ganz Europa restlos ausverkaufte Konzerte zum Besten gibt, füllt sich das Flex noch nicht einmal mit der Abendkassa. Der Vorteil daran - die geschätzt etwa 200 Anwesenden erleben somit einen intimen Moment, den man in der Form wohl als einzigartig bezeichnen kann. Dafür war das Jahr des 33-Jährigen einfach viel zu gut. Mit dem Song „Space Man“ belegte er beim Song Contest hinter dem programmatischen Sieger Ukraine Platz zwei, eroberte mit der Single die Charts in ganz Europa, sang wenig später für die Queen vor deren Ableben und stand beim Tribute-Konzert für den verstorbenen Foo-Fighters-Drummer Taylor Hawkins in London dann mit der Band Queen auf der Bühne, um „Somebody To Love“ zu performen.

Langer Weg zum Erfolg
Für den deklarierten Freddie-Mercury-Fan ein Ritterschlag, der in puncto Höhepunkte wohl sogar noch über der unfassbaren Song-Contest-Erfahrung liegt. „Ein besonderes Highlight aus diesem Jahr herauszupicken, das ist absolut unmöglich“, lacht er ein paar Stunden vor seinem Auftritt im Gespräch mit der „Krone“, „es würde allen Erlebnissen auch überhaupt nicht gerecht werden, wenn ich hier ein Ranking erstellen würde.“ Ryder wurde als Kind bei einem Sum-41-Konzert von der musikalischen Muse geküsst und spielte jahrelang in Metalcore-Bands zwischen England und den USA. Mit The Morning After und Close Your Eyes einst sogar völlig unbekannt im Viper Room beim Rochusmarkt. 2016 nahm er ein nie veröffentlichtes Album in Nashville auf und verdingte sich dann jahrelang als Hochzeitssänger. „Dort habe ich die Leidenschaft am meisten gespürt“, erzählt er mit leuchtenden Augen, „es war so, als hätte ich mich dabei selbst gefunden.“

Während der Pandemie lädt er Cover-Versionen von Elton John, Justin Bieber oder (mutig!) Sia hoch und wird zu einem TikTok-Star, von dort geht’s weiter zum Plattenvertrag mit Parlophone Records und der Song-Contest-Sensation mit „Space Man“. „The Rest Is History“, wie man so schön zu sagen pflegt. In zwei Wochen erscheint sein Debütalbum „There’s Nothing But Space, Man!“ und das Abschneiden dessen wird mitentscheiden, ob der sympathische Blondschopf das Zeug zur Langlebigkeit hat. Nach seinem bislang turbulenten Karriereverlauf kann ihn jedenfalls nichts mehr aus den Socken reißen. „Ich mache das lange genug, um zu wissen, dass es um die Leidenschaft geht. Ich hatte unzählige Misserfolge und genieße die Zeit. Auch wenn es nicht immer so weitergehen sollte.“

Auf Tuchfühlung
Dagegen spricht zumindest international wenig, auch wenn er im luftigen Flex wahrscheinlich nicht den besten Abend seiner Europarutsche erwischt. Dass gerade die beiden Opener „Tiny Riot“ und das sanfte „Whirlwind“ noch dünn klingen, ist dem schwach kalibrierten Sound geschuldet, doch Ryder hat sein Publikum schnell in der Hand. Im mit Planeten bestückten Einteiler spricht der „Spaceman“ von einem Dialog, einem Austausch und einer Konversation mit dem Publikum und lässt dem auch Taten folgen. Vor „All The Way Over“ fragt er sorgsam, wer Liebe benötigt, um dann mit der Zuhörerschaft mittels herzhafter Umarmungen auf Tuchfühlung zu gehen und den Song gleich inmitten der Leute zu zelebrieren. Eine Mischung aus Sektengehabe und ehrlicher Sorge, jedenfalls sehr kurios zu beobachten.

Die Freude über die Tour und seine gegenwärtige Situation ist trotz der hageren Kulisse ehrlich und wirkt zu keiner Sekunde aufgesetzt. Die treuen Fans in den vorderen Reihen setzen sich offenkundig aus Deutschen, Briten, Österreichern und sogar Mexikanern zusammen und unterstützen Ryder bei mehr („Somebody“) oder weniger guten Songs („Deep Blue Doubt“) nach Kräften. Beim John-Farnham-Cover „You’re The Voice“ zeigt sich aber sehr eine der noch sichtbaren Schwächen des Briten. Wissend ob seines mächtigen Stimmvolumens neigt er zum Übertreiben und zieht diesen Klassiker damit in Eunuchen-artige Klangsphären. Unterstützt wird er nur von einem Gitarristen, der Rest des Sounds kommt aus der Konserve, was dem Gesamtvergnügen auch nicht unbedingt zuträglich ist. Dazu tänzelt ein Tourmitglied ständig quer über die Bühne, um Fotos zu schießen - auch das wird von anderen Künstlern durchaus subtiler gelöst.

Abzüge in der B-Note
Wer sich an solchen Kinderkrankheiten nicht stört, bekommt die volle Packung Glitzer geliefert. Das erst spät ins Set gebaute „Put A Light On Me“ ist mit seinen 80er-Electro-Beats ein echtes Highlight und lässt den Wunsch nach mehr flotten und poppigen Songs in der Luft schweben. Zu stark überwiegt im Gesamtkanon noch das Balladeske und Faserschmeichlerische. Unzulänglich auch sein in Rekordtempo heruntergeratschtes TikTok-Medley mit Cover-Songs wie „Everybody Wants To Rule The World“, „I Want To Break Free“ oder „The Way You Make Me Feel“. Erst der Song-Contest-Knaller „Space Man“ leitet nach nur einer guten Stunde ein sehr frühes Ende ein. Sam Ryder kann beeindruckend alles singen, aber zum Weltklasse-Performer und zur authentischen Bühnenfigur fehlt doch noch einiges. Liebesbekundungen für die Fans und ständig gute Laune reichen für die Champions League noch nicht aus. Die nächsten Monate werden zeigen, ob er sein zweifellos vorhandenes Potenzial nützt, oder es langsam verpufft.

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