Heute live in Wien

Dagobert: „Hatte nie Angst, nicht cool zu sein“

Wien
29.10.2022 06:01

Der Schweizer Dagobert ist der etwas andere Künstler. Der 40-Jährige hat keine Angst davor Pop mit Chansons und Schlager zu verkreuzen, hat mit „Bonn Park“ gerade ein Album voller Liebeslieder veröffentlicht und entzieht sich erfolgreich der Konsumgesellschaft in den Schweizer Bergen. Heute Abend spielt er im Wiener B72, im Gespräch lässt er uns tief in seine durchaus interessante Gedankenwelt eintauchen.

„Krone“: Dagobert, du hast im September 2021 eine Show im Wiener Chelsea gespielt, musstest aber auch einiges zurückstellen, als Corona wütete …
Dagobert:
Ich habe die Pandemie gar nicht so mitgekriegt, weil ich die meiste Zeit in den Schweizer Bergen war. Ich toure normal sowieso meist nur einmal pro Jahr, insofern war das nicht so schlimm.

Wohnst du eigentlich noch in Berlin, oder bist du in die Schweiz zurückgezogen?
Die meiste Zeit verbringe ich in den Bergen in der Schweiz. Da gibt es ein Haus, das sehr abgelegen ist und das ich vorübergehend nutzen kann. Nach zehn Jahren Stadtleben in Berlin war so eine Auszeit wichtig. In den Bergen herrscht absolute Ruhe und es gibt viel Natur, trotzdem ist die Gegend erschlossen und ich kriege viel Besuch von anderen Musikern.

Du bist also einst ausgezogen, um das Großstadtleben auszukosten, hast aber mittlerweile längst genug davon? Normalerweise passiert das bei Künstlern umgekehrt.
Berlin war eine tolle Zeit. Ich habe mir ein Riesennetzwerk aufgebaut, von dem ich heute noch zehre. Die Musiker lernt man ja nicht am Berg kennen. Aber wenn man lange in der Stadt ist, wiederholt sich vieles. Man wird ständig wo eingeladen und das berühmte „Socialisen“ wird ein extrem großer Teil des Lebens. Da kam die Musik in meinem Fall zu kurz, aber darum geht’s mir eigentlich. Deshalb war es wichtig, die Gewichte wieder zu verlagern.

Entsteht Kunst bei dir, wenn du introvertiert agierst?
Ich muss richtig abgekapselt dafür sein, am besten für längere Zeit. Ich brauche sicher 48 Stunden, bis ich in meiner Welt bin und dann kann es losgehen. Ich funktioniere entweder kommunizierend mit der Außenwelt oder ich arbeite für mich alleine an Musik. Aber vermischen kann ich das nicht, da sind viel zu große Distanzen dazwischen.

Ist die Natur für dich hilfreich in deiner Kreativität? Macht das was aus oder ist die Umgebung an sich egal?
Es ist sogar ein Riesenunterschied. In der Stadt ist alles so aufgeheizt und kleinteilig. Es passiert einfach total viel. Wenn man viel Zeit in der Natur verbringt, wird man eins mit seiner Umgebung und empfindet bzw. sieht Dinge anders. Ich will nicht sagen, dass das Eine besser ist als das Andere, aber weil ich ländlich aufgewachsen bin, gibt mir die Natur mehr. Ich könnte mir derzeit gut vorstellen, nie wieder in der Stadt zu leben.

Die Städte siehst du ohnehin, wenn du wieder auf Tour bist.
Ja. Ich könnte mir aber sogar vorstellen, nie wieder auf Tour zu gehen. (lacht) Natürlich macht es Spaß und ist schön, aber ich habe mein erstes Album erst mit 30 veröffentlicht. Vorher war ich noch viel eigenbrötlerischer und habe die Musik nur für mich gemacht. Das ist eher meine Natur, ich trage Dinge nicht so gerne nach außen.

Musik ist auch etwas zutiefst persönliches und Texte kommen aus deinem Inneren. Fällt es dir schwer, deine Musik mit anderen zu teilen?
Wie man meine Songs interpretiert ist mir völlig egal. Ich schreibe Songs, lasse sie lange liegen und wenn ich sie mir selbst 100 Mal vorgespielt habe, dann kann ich sie mit einem Produzenten aufnehmen.

Dennoch hattest du vor deinem dritten Album „Welt ohne Zeit“ aus 2019 eine Phase, in der du dich und deine Musik missverstanden fühltest.
Das stimmt natürlich. Die Art wie ich schreibe ist zwar sehr persönlich und konkret, was meine Erlebnisse und Gefühle anbelangt, aber ich schreibe trotzdem humoristisch. Die Absurdität von diversen Situationen ist witzig und oft wird es so aufgenommen, dass der Witz nicht die Grundidee der Songs war. Bei „Welt ohne Zeit“ habe ich dann den Witz bewusst weggelassen und nur auf die Gefühle gesetzt. Das Album war nicht unbedingt erfolgreich, aber die Wahrnehmung mir gegenüber hat sich ein bisschen verändert. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich jetzt schon länger dabei bin und dadurch anders akzeptiert werde. Ich werde sicher noch lange Musik machen, das steht außer Frage.

Du scheinst irgendwie auch in einer Welt ohne Zeit zu leben. Meist im Moment, der Gegenwart, ohne sich groß nach hinten oder vorne zu strecken.
Das Meditative ist schon mein Ding. Der Titel dieses Albums kam von der 25. Ausgabe des „Lustigen Taschenbuchs“. Da geht Micky Maus in den Erdkern, wo viele Völker ohne Sonne leben und es keine Zeit gibt. Das hat mich als Kind fasziniert und tut es heute noch. Die Stimmung der Songs haben auch sehr gut dazu gepasst. Ich hatte früher auch alle Taschenbücher, aber meine ca. 350 Ausgaben habe ich meinen Nichten und Neffen vererbt, ohne zu sterben. (lacht) Ich habe sieben davon und sie verteilen das untereinander. Die neuen Bücher mit den neuen Zeichnern und der veränderten Sprache holen mich nicht mehr so ab. Vielleicht bin ich jetzt auch zu alt.

Letztes Jahr warst du auf der „Nie wieder arbeiten“-Tour. Eine interessante Beschreibung für etwas, bei dem du eigentlich zur Arbeit gehst.
(lacht) Das ist natürlich mit Spaß zu verstehen. Es ist ein Abenteuer mit ein paar Freunden, so fühlt sich das immer an. Ich habe in meinem Leben noch nie gearbeitet, hatte nie einen Job. Wenn mir das Musikmachen keinen Spaß mehr machen würde, würde ich es auch sofort lassen.

Wie kommt man denn solange über die Runden, wenn man niemals einen Job angenommen hat?
Ich lebe unglaublich bescheiden. Für europäische Verhältnisse sehr extrem. Ich habe in meinem Leben auch noch nie Miete bezahlt und bin immer darauf angewiesen, dass ich wo unterkomme. Ich besitze nicht viel und kann schnell wohin. Ich habe überhaupt keine Konsumansprüche und habe nach dem Abitur zwei Jahre in einem Keller gewohnt. Das war mir alles egal. Ich wollte immer nur das tun, was sich richtig anfühlt und nicht etwas, damit ich irgendwie durchkomme. Das bedeutet natürlich auch, dass man viele Entbehrungen erlebt, aber dessen war ich mir immer bewusst. Ich wollte Musikmachen und das hat immer irgendwie funktioniert. Ich war früher unkommunikativer, verschrobener und asozialer. Heute habe ich den Umgang mit Menschen erlernt.

Mit Statussymbolen fängst du also nichts an. Welche Dinge sind dir im Leben wichtig?
Wenn ich hin und wieder auf mein bisheriges Leben zurückblicke, dann bleibt eigentlich nur Musik übrig. Das finde ich aber schön. Ich möchte nichts anhäufen und brauche keinen Besitz. Frauen würden an meinem Lebensstil verzweifeln, den kann man nicht teilen. Ich habe letztes Jahr auch monatelang nur Reis gegessen, weil die GEMA lange nichts mehr überwiesen hat. Aber es geht.

Würdest du dich als Fatalist bezeichnen?
Ich finde das gar nicht so extrem, sondern eher konsequent. Vielleicht auch diszipliniert. Mein Lebensstil hat auch viele Vorteile. Aus meinem Freundeskreis sind extrem viele Menschen während Corona depressiv geworden, weil sie nicht mehr arbeiten konnten oder nicht mehr wussten, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Diese Gefahr stellte sich mir nie. Die Entwicklung meines Lebens ist schon so weit fortgeschritten, da kann man nicht mehr genau zurückverfolgen, wie es soweit kam. Für mich fühlt sich aber alles sehr gesund an.

Ich glaube, dass viele Menschen gerne deinem Beispiel folgen würden, aber so leicht kann man sich dem kapitalistischen System gar nicht entziehen …
Wichtig ist zu wissen, dass man eigentlich gar nichts braucht. Ansonsten kriegt man unweigerlich Ängste, dass man etwas verliert oder es einem weggenommen wird und man danach nichts mehr hat. Fast jeder Mensch könnte sehr viel bescheidener leben. Wir werden viel zu sehr von Sicherheitsdenken und von der Konsumgesellschaft geprägt, das ist rundum verbreitet. Ich wusste nach der Schule nicht was ich machen sollte und war total verzweifelt, aber das hat sich irgendwann geändert.

Nimmst du das Leben so, wie es kommt?
(lacht) Das könnte jetzt von meinem Papa sein. Man kann im System auch mitspielen und dabei Spaß haben, aber für mich hat das überhaupt nicht funkioniert.

Hast du eigentlich vor irgendetwas Angst oder befreit so ein Lebensstil einen davon?
Angst würde ich nicht sagen. Ich habe ziemlich alte Eltern und sie machen es wahrscheinlich nicht mehr so lange. Da bin ich sehr besorgt und wünsche mir, dass es noch lange gutgeht. Das ist vielleicht eine kleine Schwäche. Aber egal was passiert, man kann immer darauf reagieren und ist dann in einer neuen Situation.

Was ist für dich Luxus?
Wenn ich für mich alleine bin, dann kann ich die Einsamkeit richtig genießen. Selbst wenn ich alleine bin, habe ich meist Aufgaben, die ich erledigen muss und es sind immer Leute da, die in meinem Umkreis herumschwirren. Es gibt aber seltene Momente, wo alles wie weggewischt ist. Ich liege im Wald im Moos, schaue in den Himmel und bin völlig bei mir. Mehr als das kann man vom Leben eigentlich gar nicht wollen. Das ist für mich purer Luxus. Ich muss nicht in den Urlaub fahren und auch keine Dinge kaufen.

Du hast früher auch einmal einen Ausflug in die Majorlabel-Gefilde gemacht und bei der großen Industrie mitgespielt. Hast du relativ schnell gemerkt, dass das für dich nichts ist?
Seit ich die ersten Demos verschickt habe, bin ich ständig in Kontakt mit Majorlabels. Da gibt’s immer neue Generationen, neue Subfirmen und neue Strategien. Ich konnte mich kaum bei irgendjemandem einleben, weil die Fluktuation immer so hoch war. Ich hatte immer das Gefühl, dass ohnehin wer Neues kommt und dann meine Visionen nicht mehr so teilt wie die Person, die gerade da ist. Ich kann mir eine Zusammenarbeit mit einem Majorlabel auch künftig vorstellen. Mir geht es immer darum, mit welchen Menschen ich zu tun habe und wem ich Verantwortungen übergeben kann. Deppen gibt es zu viele. Es gab einen coolen Typ bei Universal, der mich damals unter Vertrag genommen hat, aber als der weg war, habe ich sofort die Freude verloren. Es wird viel zu viel ausgewechselt.

Arbeiten in der Musikindustrie immer weniger Menschen, die wirkliche Liebe zur Musik haben und immer mehr Menschen, die nur mehr PR- und Marketing-getrieben sind?
Das weiß ich nicht, dazu bin ich zu wenig in der Welt drinnen. Ich bin auch kein Romantiker, der sagt, dass früher alles besser war.

Einerseits durchzieht deine Musik eine unglaubliche Stilvielfalt, andererseits hast du einen untrüglichen Drang zu großen Melodien. Wo andere Angst haben, dass sie mit Zugänglichkeit zu kitschig werden, dann scheints du förmlich danach zu greifen …
Das mit den großen Melodien kommt aus meiner musikalischen Prägung. Ich habe die ganzen 90er-Jahre fast nur die Scorpions gehört. Mittlerweile herrscht da ein ganz komisches Durcheinander, aber ich habe mich noch nie davor gescheut, etwas nicht zu machen, weil es vielleicht nicht cool sein könnte. Wenn es so etwas wie eine anerkannte Coolness gibt, dann bin ich damit sicher nicht einverstanden.

Du hast mit unterschiedlichen Musikern und Menschen wie Mille Petrozza von Kreator, Rapper Casper oder Konstantin Gropper aka Get Well Soon zusammengearbeitet. Auch da gibt es keine Grenzen und Scheuklappen.
Mit Konstantin und Mille habe ich direkte Berührungspunkte, mit Casper nicht. Das ist aber schon okay. Mir sind immer die Menschen wichtiger als die Musikstile, die dahinterstehen. Ein Musikstil ist wie eine Sprache. Französisch ist auch nicht schlechter als Polnisch. Wenn mich irgendetwas begeistert, dann muss ich über die jeweilige Person gleich alles wissen. Mille ist ein guter Freund geworden, aber ich habe nicht nur Musikerfreunde in meinem Umkreis. Ich ziehe Menschen irgendwie an und verstehe mich oft schnell mit ihnen.

Live im Wiener B72
Heute Abend, 29. Oktober, kann man Dagobert und seine Mischung aus Schlager, Pop, Herzschmerz und Landromantik im Wiener B72 erleben. Unter www.oeticket.com und auch an der Abendkassa wird es noch Tickets für das Konzerthighlight geben.

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