Mit Attentäter gebetet

Terror-Prozess: 19 Monate Haft für IS-Prediger

Gericht
11.10.2022 13:42

Es ist der Urteilstag im Terror-Prozess rund um die St. Pöltner Wohnung. Dort soll der Wiener Attentäter, der am 2. November 2020 vier Menschen getötet und 23 weitere schwer verletzt hatte, gebetet und seine radikal-islamistische Gesinnung gestärkt haben. Angeklagt ist nun der Mieter der Wohnung, der außerdem eine „ideologische Führungsposition“ in der dschihadistischen Szene eingenommen haben soll. Er wurde zu 19 Monaten Haft verurteilt, aber noch im Gericht enthaftet!

Sie soll eine zentrale Rolle in der Radikalisierung des Wiener Attentäters gespielt haben: Die kleine Wohnung in St. Pölten war laut Anklage der Mittelpunkt der dschihadistischen Szene von Niederösterreich und auch Wien. Der 24-Jährige im Wiener Landesgericht: der Mieter. Das sei aber nicht seine einzige Rolle gewesen. Neben Arabisch soll er auch Islam in der Wohnung unterrichtet haben - und dadurch versucht haben, junge Menschen zu rekrutieren. Für seine „Brüder“ soll er eine „ideologische Führungsposition“ eingenommen haben. Auch für den Attentäter in der Wiener Innenstadt.

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Aus Sicht des Verfassungsschutzes ist die Crème de la Crème der salafistischen Dschihadismus-Szene aus Wien nach St. Pölten gereist.

Vertreter des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorbekämpfung

Einen Tag nach dem Blutbad in Wien am 2. November wurde die Wohnung von der WEGA gestürmt. Eine umfangreiche dschihadistische Bibliothek bot sich den Einsatzkräften. Das bestätigte ein Islam-Experte am zweiten Prozesstag. Für ihn gebe es keinen Zweifel, dass der Angeklagte und die anderen Männer, die sich in der Wohnung getroffen hatten, radikal-islamistisch denken. Auch ein Vertreter des Landesamtes Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung sagte vor Gericht: „Aus Sicht des Verfassungsschutzes ist die Crème de la Crème der salafistischen Dschihadismus-Szene aus Wien nach St. Pölten gereist.“

Tee getrunken und Alltagsthemen besprochen
Am letzten Verhandlungstag am Dienstag kommen Zeugen zu Wort, die bei den Treffen in der St. Pöltner Wohnung dabei waren. Ein 25-Jähriger wird von den Justizwachen vorgeführt. Er sitzt bereits in Haft wegen des Vorwurfs der terroristischen Vereinigung. Auf die meisten Fragen des Richters und der Staatsanwältin zu dem Islamunterricht oder dem IS antwortet er: „Nicht wirklich“ oder „Ich weiß es nicht mehr“. Arabisch habe er aber bei dem Angeklagten gelernt. „Sonst haben wir Tee getrunken oder über Alltagsthemen geredet. Über die Arbeit und so“, sagt der Inhaftierte im Zeugenstand.

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Wir haben nichts zu verheimlichen. Wir haben nur Arabisch gelernt!

Ein Zeuge im Wiener Landesgericht

Dschihadistische Bücher „ganz normal“
Auch der zweite geladene Zeuge hat sich in der Wohnung aufgehalten. Er hat sogar bei der Miete mitgezahlt. „Wir haben nichts zu verheimlichen. Wir haben nur Arabisch gelernt“, gibt der ebenfalls 25-Jährige an. Die Bücher seien ihm aber sehr wohl aufgefallen. Die finde er aber nicht schlimm: „Sie werden in islamischen Ländern ganz normal unterrichtet und sind nicht verboten.“

Siegelring des Attentäters Zeugen aufgefallen
Auch den Siegelring mit dem IS-Symbol, den der Wien-Attentäter bei dem Anschlag getragen hat, habe er an der Hand des Schützen bei einem Treffen gesehen. Auch der Zeuge ist der Meinung, man dürfe den Ring nicht tragen. Aber aus einem anderen Grund: „Das ist ein Zeichen des Propheten!“, sagt er - sehr zum Erstaunen des Richters: „Nein, deswegen ist er nicht verboten. Das ist ein Siegel, das der IS verwendet!“ Das will der Zeuge nicht gewusst haben … Selbiges gilt auch für einen dritten jungen Mann im Zeugenstand.

Verteidiger sieht keine Beweise für Schuld
Dennoch bestätigte keiner der Zeugen die Vorwürfe der Anklage. Das griff Sascha Flatz in seinem Schlussplädoyer auf: „Wie viele Beweise soll ich noch bringen, als 18 Zeugen, die alle sagen, ,Nein, da war nichts‘?“ Er betonte wieder, dass sein Mandant die Bücher nicht übersetzt habe, sondern lediglich Korrektur gelesen. Auch habe der Angeklagte nie eine „dschihadistische Bibliothek“ geführt.

„Bei meinem Mandanten wurden laut Sachverständigem ungefähr 240 Bücher gefunden und zwei davon waren eventuell irgendwie dschihadistisch“, so Flatz. „Der Akt hat neun Bände. Und in diesen neun Bänden wurde so wenig gefunden. Es gibt de facto keine Beweise“, versuchte er die Anklage zu entkräften. Sollte es jedoch trotzdem zu einem Schuldspruch kommen, fordert er: „Ich bitte um ein mildes Urteil, eine zweite Chance. Das ist ein junger Mensch.“

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Ich will ganz klarstellen, dass ich das, was passiert ist, bedauere. Ich glaube an Gott, aber nicht an einen Gott, der will, dass man durch die Straßen geht und Menschen tötet.

Der 24-jährige Angeklagter zu dem Wiener Terroranschlag

Letzte Worte durch den Angeklagten
Doch das letzte Wort hatte noch immer der Angeklagte und er hatte einiges zu sagen. Mit einem händisch beschriebenen A4-Zettel setzte er sich zurück in die Mitte des Saales. Er habe die ganze letzte Nacht darüber nachgedacht, was er am Ende seines Prozesses dem Gericht noch mitteilen wolle.

Zuerst sprach er den Terroranschlag von 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt an: „Ich will ganz klarstellen, dass ich das, was passiert ist, bedauere. Ich glaube an Gott, aber nicht an einen Gott, der will, dass man durch die Straßen geht und Menschen tötet. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sich die Familien der Opfer fühlen und auch die Menschen, die da Todesangst hatten. Mein Gott will so etwas nicht.“ Hätte er von dem Anschlag gewusst, hätte er ihn sofort gemeldet, erklärte er vor dem Richter.

Auch gab er seine finale Verantwortung zu den restlichen Anklagepunkten ab: „Ich hoffe, Sie sehen das auch so, dass ich mich nicht in einer terroristischen Organisation, dem IS, beteiligt habe. Und ich hoffe, dass ich heute mit einem Freispruch nach Hause gehe.“

Schuldig gesprochen 
Das Gericht kam seiner Bitte jedoch nicht nach. Kurze Beratungszeit später wird der 24-Jährige zu den meisten Anklagepunkten verurteilt. Er fasst 19 Monate Haft aus. Von der radikalen Bibliothek wurde er freigesprochen. Nur zwei der Bücher seien dschihadistisch und die seien noch in Plastik eingeschweißt gewesen - und der bloße Besitz sei nicht strafbar. Er ist außerdem schuldig, Treffen abgehalten zu haben: „Wir haben Sie verurteilt, dass Sie in der Wohnung als Befürworter für verschiedene Leute und den IS Veranstaltungen und Predigten veranstaltet haben“, erklärt der Richter den Anklagepunkt zur St. Pöltner Wohnung. Von den restlichen Vorwürfen wurde er teilweise freigesprochen.

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Wir sind der Überzeugung, dass Sie, wie Sie selbst sagen, nicht "nur" ein Salafist sind. Sie sind von der Einstellung her ein Dschihadist, ein IS-Mann.

Der Richter bei seiner Urteilsbegründung

Noch im Gerichtssaal enthaftet
Der Richter und die Geschworenen waren sich aber sicher: „Wir sind der Überzeugung, dass Sie, wie Sie selbst sagen, nicht ,nur‘ ein Salafist sind. Sie sind von der Einstellung her ein Dschihadist, ein IS-Mann.“ Eine bereits verhängte bedingte Freiheitsstrafe von fünf Monaten des Landesgericht St. Pölten wurde mit diesem Urteil widerrufen. Mit den 19 Monaten bedeutet das nun zwei Jahre Haft. Da er bereits diese Dauer in U-Haft verbracht hat, wurde der 24-Jährige noch im Gerichtssaal enthaftet!

Sein Verteidiger Sascha Flatz sagt dazu: „Ich bin glücklich, dass mein Mandant gehen kann. Das Ziel ist einmal erreicht. Ich hätte mir nur gewünscht, dass er von allen Anklagepunkten freigesprochen wird.“ Der Angeklagte nimmt das Urteil an, die Staatsanwaltschaft nützt die Bedenkzeit aus. Deswegen kann der 24-Jährige, wenn auch nicht mit einem Freispruch, nach Hause gehen ...

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