„Krone“-Interview

Freud: Mit Brit-Punk gegen die Erfolgsgesellschaft

Wien
09.08.2022 06:01

Für ihr drittes Album „Talking Phrases“ ließen sich die Wiener sehr lange Zeit, ab 12. August steht es nun aber endlich in ausgewählten Plattenläden. Oliver Damms und Co. haben wieder tief in der britischen Musikhistorie gewühlt und dabei die Verwerfungen des modernen Kapitalismus angeprangert. Doch nicht nur, schließlich geht Haltung mit Unterhaltung einher. Wir sprachen mit Damms über das Album, die Sex Pistols, Joseph-Brot und die Magie der Tubeway Army.

Was tun, wenn ein Album eigentlich fertig ist, sich die Produktion aber so gar nicht gut anhört und man sich um die Früchte der Arbeit genommen fühlt? Kurzerhand abbrechen und alles wieder auf null stehen. Wenn man keine großen Businesspläne und kommerziellen Marketingstrategien zu erfüllen hat, dann ist Zeit relativ. So auch bei den Wienern von Freud, die ihr Drittwerk „Talking Phrases“ schon 2017 zu schreiben begannen und nach dem bösen Produktionserwachen noch einmal neu umgegraben haben. „Das Album klingt jetzt nach End-70er-Powerpop mit einer Punk- und Wave-Attitüde“, erklärt uns das musikalische Mastermind Oliver Damms beim Gespräch im Wiener Plattenladen Recordbag, „die alte Produktion entglitt uns völlig und klang nach Neuer Deutscher Welle, aber das sind wir nicht.“ Als die technischen Belange erledigt waren, kam auch noch die Pandemie und man wartete ab. Zum Glück, denn jetzt kann man das Werk auch live präsentieren.

Nostalgie in der Gegenwart
„Talking Phrases“ schreit förmlich nach einem Liveeinsatz, denn das Wiener Quartett mit der untrüglichen Vorliebe für englische Musik von den Beatles über The Clash bis hin zu Oasis schreibt Hymnen, die viel zu wenig beachtet werden. Da hätte man den flotten Opener „Teenage Angst“, der sich kritisch mit der Smartphone-süchtigen Jugendkultur befasst, das humoristisch gegen Schnösel der Gegenwart auftretende New-Wave-Verbeugungsstück „Überideal“ oder das famose Tubeway-Army-Cover „Are Friends Electric?“, das Damms in seinen Jugendjahren noch als Rausschmeißer im Wiener U4 erlebte und das er mit Freud schon immer gerne ins Liveset einbaute. „Früher haben sich elektronische Bands gerne Klassiker in ihre Welt geholt. Wir haben hier den Spieß einfach umgedreht und einen elektronischen Song in die Gitarrenwelt transferiert.“ Mission gelungen!

Wenn man Punk in seiner Urdefinition versteht, dann hat ausgerechnet das mit Streichern und einem finalen Crescendo versehene „Smiling High“ am Ende wohl den größten Punk-Faktor, denn mit einem so ausladenden und opulenten Track war bei Freud definitiv nicht zu rechnen. „Der Song hat einen Small-Faces-Touch und ich wollte unbedingt, dass sich am Ende der Platte noch etwas regt und man überrascht wird.“ Die Entwicklung der Band, die 2007 aus der Punkband O5 hervorging, sei jedenfalls kongruent, versichert Damms. „Unser erstes Album ,Best Most Beautiful‘ war sehr Britpop-lastig, das zweite ,Yesterday Today Tomorrow‘ hatte eine klare 60s-Attitüde und jetzt sind wir eben von Ende der 70er- bis Anfang der 80er-Jahre der englischen Musik gegangen. Wir haben uns über die Jahre unseren Sound erspielt, aber mit ,Smiling High‘ sind wir doch auch einmal wieder ausgebrochen.“

Bewusste Gesellschaftskritik
Wie es sich für eine Mod-/Punk-Band gehört, steckt „Talking Phrases“ voller Konsum- und Gesellschaftskritik. Thematiken, denen man sich heute nicht mehr erwehren kann, weil sie teilweise unumkehrbar scheinen. „Das Joseph-Brot kostet mittlerweile 7,80 Euro. Überleg einmal, wie lange ein Arbeiter dafür in seinen Job gehen muss, um sich das leisten zu können. Natürlich regelt die Nachfrage den Markt, aber da stimmt etwas nicht und das finde ich ganz schlecht.“ Während die Greißler sterben boomen hippe Bioläden, andererseits kann sich kaum noch jemand Eigentum leisten. „Wir sind keine Leistungs-, sondern eine Erfolgsgesellschaft. Wir werden nach unseren Erfolgen gemessen und wie wir sie erreichen, ist allen völlig egal. Diese Strategie ist nicht auf die Masse der Menschen ausgerichtet. Wie und wo bleiben die also über?“

Freud, natürlich nach Sigmund Freud benannt, sehen sich nicht als politische Band, verknüpfen in ihre Unterhaltung aber Haltung, was allen Mitgliedern von besonders hoher Wichtigkeit ist. Alle fünf Musiker sind mit fünf verschiedenen Musikgeschmäckern ausgestattet, doch der kleinste gemeinsame Nenner sind die Allergrößten: die Beatles. „Ich liebe auch Oasis, aber in Wirklichkeit sind die einfach modernere Beatles und geben das ja auch offen zu. Wir sind sicher eine sehr Beatles-eske Band und können uns alle darauf einigen. Bei einer Beatles-Ausstellung im Wiener Q19 haben wir einmal ein ganzes Set mit ihren Nummern gespielt.“ Bei den eklektischen Hörgewohnheiten obliegt es Damms, als Songwriter den roten Faden durch die Songs zu ziehen.

Der Kreis schließt sich
Der Titel „Talking Phrases“ befasst sich mit dem vielfach leeren Gewäsch der heutigen Gesellschaft und der Unwilligkeit, richtige von unrichtigen Informationen zu unterscheiden. Dass die Optik dem mittlerweile 45 Jahre alten Sex-Pistols-Klassiker „Never Mind The Bollock’s…“ ähnelt, ist kein Zufall. „Das war totale Absicht und ist eine Verneigung vor ihnen. Ich komme aus der Mod-Schiene und begann die Liebe zur Musik mit den Beatles, den Yardbirds, den Animals, den Small Faces und The Who. Das machten aber meine Eltern auch. Dann hörte ich die Pistols und davon waren sie richtig geschockt. Sie meinten, ich soll das sofort abdrehen, weil sich das keiner anhören kann. Genau diese Reaktion willst du als Teenager provozieren.“ Der Kreis schließt sich heute bei Damms eigenem Sohn. „Er sagt auch, das sei keine Musik, aber er hört sehr viel britischen Hip-Hop, der nichts anderes als Hardcore-Punk ist.“

Live beim Gürtel-Nightwalk
Die offizielle Album-Release-Party von Freuds „Talking Phrases“ findet am 27. August beim Gürtel Nightwalk im Chelsea statt. Unter www.guertelnightwalk.at gibt es das komplette Line-Up des Abends und alle weiteren Infos.

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