Taxi-Geschichten

Gut aufgetankt: Wenn die Stadt zum Labyrinth wird

Wien
06.08.2022 09:00

Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Besondere Zustände der Volltrunkenheit lösen für gemeinhin auch sonderbare Aktionen aus. Mehr als nur ein Lied davon singen kann Taxler Altay, der mich zum Sonnenuntergang von Meidling nach Maria Enzersdorf fährt und noch gar nicht lange im Dienst ist. Der gebürtige Türke fährt nämlich nicht nur am liebsten, sondern fast ausschließlich nachts. Wenn man erst einmal warm wird und mit ihm ins Gespräch kommt, dann weiß man auch warum. Der Mittdreißiger ist übernatürlich gut gelaunt, erzählt ohne Unterlass und in sympathisch-gebrochenem Deutsch zahllose Geschichten aus seinem Job und hat dabei immer ein Schmunzeln auf Lager. Ein Typ zum Pferdestehlen, so hätte man ihn früher wahrscheinlich klassifiziert, und auf jeden Fall jemand, der in seiner Fahrerkarriere so gut wie alles gesehen hat.

„Du darfst die Leute nicht allzu ernst nehmen, das ist die wichtigste Regel“ erzählt er mir am Anfang seines Abenddienstes, wo nach alles relativ ruhig und gesittet ist, „wenn jemand besoffen oder nicht mehr Herr seiner Sinne ist, dann kannst du ihn nicht für voll nehmen. Warum also soll ich dann selbst so ernst sein? Es macht keinen Sinn.“ Ein charmantes Lächeln und ein harmloser Witz zum richtigen Zeitpunkt würden wahre Wunder wirken, ist er überzeugt, man könne damit viele strittige und ungute Situationen lösen. „Es gibt viele Arten der Betrunkenen. Die meisten sind einfach nur am Ende und schlafen auf der Rückbank ein. Andere hatten Stress mit der Freundin oder fühlten sich von Securitys schlecht behandelt. Die bringen oft noch viel Frust mit, aber davon darf man sich nie beirren lassen.“

Zwischen frisch verliebtem Rummachen, dem fahlen Gestank von spontan Erbrochenem und umgeworfenen Biergläsern hat Altay aber auch Verwirrungen erlebt, die ihm noch Jahre später nicht begreiflich sind. „Einmal stieg bei mir einer ins Auto, der wollte einfach losfahren. Ich fragte ihn wohin und er meinte, ich solle einfach fahren. Zuerst ging es in die Neubaugasse, dort hat er einfach nur Geld abgehoben. Dann sollte ich wieder fahren. Als ich mehrmals nachfragte, wo er denn hinmöchte, hat er irgendwann von Ottakring gesprochen. Also bin ich dorthin gefahren und habe ihn direkt nach der U3-Station abgesetzt. Er hat ganz normal bezahlt, sich bedankt, stieg aus und hatte plötzlich absolut keine Ahnung mehr, wo er sei. Es war ihm aber egal und er ging einfach die Straße entlang. So etwas habe ich nie wieder erlebt.“

Altay hat sich nach seiner Ankunft in Österreich vor etwas mehr als vier Jahren hinters Steuer gesetzt. Anfangs noch als fixer Mietwagenfahrer bei Uber, mittlerweile ist er auf allen Apps und Kanälen abrufbar. Dass er von vornherein die Nacht als präferierte Arbeitszeit wählte, hatte anfangs pragmatische Gründe. „Man verdient viel mehr Geld. Schon allein durch den fehlenden Stau und Berufsverkehr schaffe ich in derselben Zeit ungefähr doppelt so viele Fahrten. Außerdem ist das Börserl bei den Leuten lockerer, wenn sie schon schläfrig sind“, lacht er, „auch wenn es natürlich die andere Seite gibt und mir einige ohne zu zahlen davongelaufen sind.“ Am Nervigsten sei die immer wiederkehrende Diskussion ob des Mülls. „Die Gäste glauben immer, sie können ihren Abfall einfach liegenlassen, aber ich bin nicht die MA 48. Da kann ich dann richtig auch wütend werden.“

Wut traut man dem sympathischen Fahrer gar nicht zu, aber im harten Nachtgeschäft hat jede Freundlichkeit irgendwann ihren Zenit erreicht. Bei Altay dauert es aber lange, bis die Zündschnur abgebrannt ist. „Mich macht Müll in meinem Auto tatsächlich wütender, als wenn mich jemand einfach nur anbrüllt, weil er nicht mehr Herr seiner Sinne ist.“ Sein Auto ist sein Tempel, er reinigt es auch innen fünfmal die Woche. Mit knapp fünf Jahren Erfahrung kann ihn längst nichts mehr erschüttern. „Man muss sich in Wien wirklich gut auskennen. Seit ich den offiziellen Taxischein machten musste, finde ich mich wirklich überall zurecht.“ Bis zur nächsten ziellosen Irrfahrt…

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