Taxi-Geschichten

Einmal quer durch die Hölle und wieder zurück

Wien
16.07.2022 11:00

Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Die Vorbereitungen für die Geburtstagsfeierlichkeiten waren bereits weit gediehen. Die Verwandtschaft wurde benachrichtigt, Location und Zeitplan aufgestellt und auch das leibliche Wohl hat man sich gut überlegt. Man wird schließlich nicht alle Tage 60 und so ein runder Geburtstag darf ruhig gebührend gefeiert werden. Die Realität hatte dann aber anderes im Sinn und mein Fahrer Patrick wurde brutal und ohne Vorbereitung aus dem Alltag gerissen. Es war April 2020, Corona wütete bereits auf dem ganzen Globus, eine schützende Impfung war noch weit entfernt und die Menschen hatten den nötigen Respekt vor dem gefährlichen Virus. Als Patrick sich eines Abends daheim ins Bett legt, merkt er, dass ihm das Atmen immer schwerer fällt. „Ich habe geröchelt, es klang ganz eigenartig“, erklärt er mir aufgebracht, „meine Frau hat gleich den Notarzt gerufen, als ich in kurzer Zeit immer schwerwiegendere Atemprobleme bekam.“

In der Klinik Landstraße, ehemals Rudolfspital, dann die schnelle Diagnose: Corona. Von dort geht es sofort in die Klinik Favoriten (damals Franz-Josef-Spital), wo sich der Zustand von Patrick rapide verschlechtert. Er erinnert sich daran, für ein Test-Medikament unterschrieben zu haben. In der Hoffnung, dass es seine Probleme lindern würde, sagt er zu, doch die gewünschte Behandlung schlägt nicht an. Patrick kommt in die Intensivstation und hängt einige Wochen am Beatmungsschlauch. In seinem Alter ist er zwar noch nicht Hochrisikopatient, aber auch nicht allzu weit davon entfernt. In der Realität helfen ihm all diese Kategorisierungen und Schubladisierungen aber ohnehin nicht, denn dort ringt er um sein Leben. „Ich hatte unheimliches Glück“, bricht seine Stimme zitternd, „auch die Ärzte sagten mir später, sie hätten nicht mehr allzu viel Hoffnung gehabt.“

Ein Lungenflügel ist fast komplett zerstört, der andere stark beschädigt. Die Sauerstoff- und Blutzirkulation arg in Mitleidenschaft gezogen. Wie durch ein Wunder schafft Patrick nach einigen Monaten eine Genesung und tastet sich mithilfe von Rehabilitationsmaßnahmen langsam wieder an sein altes Leben heran. „Ich hatte anfangs so wenig Kraft, dass ich beim Stehen gestützt werden musste. Wir haben ganz langsam mit den ersten Schritten begonnen, an ein normales Gehen war länger nicht zu denken. Wir alle brauchten sehr viel Geduld, erst ein ganzes Jahr später fühlte ich mich wieder halbwegs gut.“ Zwei Jahre nach dem tragischen Vorfall merkt man Patrick nichts mehr davon an. Er ist topfit, trägt aber auch Maske, wenn es nicht sein muss. „Die Politik hat uns ganz im Stich gelassen. In der U-Bahn müssen alle Maske tragen, bei mir im Taxi nicht. Ich kann es von den Gästen nicht verlangen, aber ich setze meine immer auf.“

Angst habe Patrick nach seinen furchtbaren Erlebnissen keine, doch er lebt lieber nach dem Prinzip „Vorsicht ist besser als Nachsicht“. Die hohen Coronazahlen in diesem Sommer bleiben ihm natürlich nicht verborgen. „Wir haben Glück, dass die neue Variante ziemlich mild zu sein scheint, denn sonst würde man wohl strengere Maßnahmen einsetzen, um die neuerliche Ausbreitung des Virus zu dämmen.“ Patrick sorgt sich nach drei Impfungen - Stich vier steht unmittelbar bevor - nicht nur um sich, sondern auch um seine Familie. „Die Menschen lassen sich kaum noch testen, niemand will auf seinen Urlaub oder seine Freizeit verzichten. Dann läuft man lieber mit Symptomen herum und riskiert, andere anzustecken, bevor man selbst verzichtet.“ Patrick will nicht die Moralkeule schwingen, aber „wenn man das Virus so erlebt hat wie ich, dann sieht man es sicher anders“.

Die Feierlichkeiten zum 60. Geburtstag konnten ein paar Monate nach den schlimmsten Problemen während seiner Reha nachgeholt werden. Familienmitglieder wurde der Besuch erlaubt und es gab ein gemütliches Zusammensitzen, mit der schieren Freude, dass alle halbwegs glimpflich aus dem Albtraum herausgekommen sind. „Ich bin so dankbar für die Impfung, denn als ich an Corona erkrankte, gab es gar nichts. Ich war dem Schicksal völlig ausgeliefert und hatte einfach nur großes Glück.“ Infektionen seien so gut wie unvermeidbar, das ist Patrick bewusst, doch der heute 62-Jährige will das Schicksal nicht noch einmal herausfordern. „Das einmal in dieser Intensität erlebt zu haben, das reicht mir für mein restliches Leben. Ich würde meinen 70er gerne in aller Ruhe feiern und mir möglichst wenig Sorgen machen müssen. Vielleicht haben wir das Schlimmste der Pandemie bis dahin ja überstanden.“

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