„Krone“-Autor Robert Schneider kommt bei einem aufziehenden Sommergewitter ins Sinnieren. Im Gegensatz zu vielen anderen sieht er unsere Gesellschaft jedoch nicht dem Untergang geweiht.
Ein heißer Sommertag geht zu Ende. Die Luft, die am Nachmittag noch in der Hitze flirrte, kühlt sich allmählich ab. Am Nachmittag war es so heiß, dass sich kein Wanderer, kein E- oder Mountainbiker im Dorf blicken ließ, wo sie doch sonst im Minutentakt noch schnell den Berg hinaufradeln, sich den Frust des Tages, ja des Lebens überhaupt, aus den Füßen strampeln. Es war wie früher. Eine Juliglut, die alles still und träge gemacht hat. Eine große, wunderbare Einsamkeit lag über meinem Dorf. Ruhe, weite Ruhe.
Meine Frau und ich sitzen auf dem Balkon. Die Kinder an ihren Computern. Ein paar Augenblicke innehalten. Reden. Hinter den Schweizer Bergen flackern Lichtblitze auf. Ein Hitzegewitter steht über dem Säntis. Obwohl ich das Schauspiel schon so oft gesehen habe, kann ich nicht genug davon bekommen. Ja, ich bin süchtig nach meinem Heimatland. Wir verfallen ins Betrachten und Philosophieren.
Wo ist der Krieg? Wo sind die leeren Regale? Wo die Pandemie? Was ist aus den ganzen Horrorszenarien geworden, die man uns jeden Morgen in den Medien auftischt? Ich habe das Gefühl, dass irgendeine Kraft, eine Art Ungeist, es nicht ertragen kann, dass wir immer noch in Frieden zusammenleben. Die Welt darf nicht schön sein, flüstert mir dieser Ungeist ins Ohr. Alles wird den Bach runtergehen, du wirst es bald sehen.
Ich sehe nichts den Bach runtergehen. Vielleicht, weil er momentan zu wenig Wasser führt. Aber ich ahne, dass wir, ich, meine Frau, jeder von uns, etwas gegen diese allgemeine Lethargie unternehmen muss. „Das wird ein verheerendes Gewitter“, sagt mein Frau und zeigt mir auf einer App in ihrem Handy die Gewitterzelle, die sich gerade über dem Säntis aufbaut. Ich halte dagegen. „Mal abwarten, was dann wirklich draus wird.“
Unsere Gesellschaft ist so überhitzt wie der Sommernachmittag. Überall wittert sie Untergang. Am anderen Morgen beginnen wir doch wieder unser Tagwerk. Wie immer. Wo ist der Krieg, wo sind die leeren Regale? Wo werden im Herbst die leeren Gastanks stehen? Wer wird alles erfrieren? Ich ahne, nein, ich weiß, dass ich im Kleinen etwas gegen diese Untergangsstimmung tun muss. Es ist einfach: Zuversicht stiften auf den ausgetretenen Pfaden meines Gegenübers. Die bedrohliche Gewitterzelle über dem Säntis geht in ein kurzes Sommergewitter über. Die Verheerung bleibt aus.
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