Pandemie-Schicksale

„Generation Z“: Die großen Ängste und hohen Ziele

Österreich
03.07.2022 07:02

Depressionen, Panikattacken, Zwangshandlungen. Die Pandemie hat bei vielen jungen Menschen seelische Spuren hinterlassen. Psychotherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger erklärt in ihrem neuen Buch, wie für unsere Kinder diese Krise zu einer Chance werden kann.

Es war an einem Tag im Frühjahr 2021, der Himmel strahlend blau, die Temperatur angenehm warm. Um die Mittagszeit ging Martina Leibovici-Mühlberger damals aus ihrer Ordination in Wien-Neubau zu einem nahe gelegenen Park, um dort ein wenig zu entspannen und die Sonne zu genießen. Und gleich sah sie zwei Buben in einer Sandkiste sitzen, die gerade einen „Kampf“ darüber ausfochten, wer von ihnen der „Lenker“ eines Plastik-Lkw, der zwischen ihnen stand, sein solle.

Sozialphobien – nach Kontaktbeschränkungen
„Eine völlig normale Szene“, erinnert sich die bekannte Ärztin und Psychotherapeutin. Eine Szene, die – wie sie in ihrem neuen Buch „Wie wir unsere Kinder retten“ schreibt – „aber bald eskalierte“. Als sich die Mutter eines der Kinder in das Geschehen einzumischen und die des anderen zu beschimpfen begann.

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Die Pandemie, die dadurch bedingten Vorschriften, die Angst vor dem Virus - das hat bei vielen von uns einiges verändert. Bei jungen Menschen wahrscheinlich am meisten.

Martina Leibovici-Mühlberger

Abstand zu halten sei Pflicht, die Gefahr einer Corona-Ansteckung schließlich allgegenwärtig – so ihre Vorwürfe, während sie auf ihren Kleinen zueilte und ihn dann schnell in die Arme nahm, um ihn vor einem weiteren Kontakt mit seinem Spielkameraden zu bewahren. „Eine Szene“, resümiert Leibovici-Mühlberger, „die seit dem Ausbruch der Pandemie wahrscheinlich auf ähnliche Weise unzählige Male passiert ist auf der Welt.“

Ausgelöst durch damit verbundene – freilich notwendige – Vorgaben, „die allerdings einen immensen Schaden an unseren Kindern und Jugendlichen angerichtet haben“. Was Fakten belegen: Die Zahl der Minderjährigen, die jetzt – vorwiegend wegen Depressionen und Panikattacken – psychologisch und zum Teil sogar medikamentös betreut werden müssen, ist so hoch wie nie zuvor, und auch die Suizidrate hat in dieser Altersgruppe stark zugenommen.

„Möglicherweise Ängste ausgelöst“
Zurück zu den zwei Buben, die im Frühjahr 2021 in der Sandkiste in einem Park – beinahe gewaltsam – voneinander getrennt wurden. Welche Auswirkungen hatte dieses Erlebnis, Leibovici-Mühlbergers Einschätzung zufolge, auf die beiden? „Ihnen wurde gezeigt, dass – für sie doch so wichtige – Interaktionen mit ,Fremden‘ zu vermeiden sind. Möglicherweise wurden bei ihnen dadurch Ängste ausgelöst.“ Die sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung hemmen und letztlich sogar Sozialphobien auslösen könnten.

„Immer öfter“, erzählt die Psychotherapeutin, „bin ich in meiner Praxis mit Kindern konfrontiert, die sich mittlerweile bewusst von der Außenwelt zurückziehen und etwa an Waschzwang leiden – in ihrer enormen Furcht, sich mit dem Virus zu infizieren, es später vielleicht auf ältere Verwandte zu übertragen und so, im schlimmsten Fall, deren Tod zu verursachen.“ Verhaltensweisen, Panikgefühle, die bei den Jungen durch die Regierung, die Medien, die Gesellschaft, ihre Eltern ausgelöst wurden: „Denn es hieß ja ständig, sie seien die großen Treiber der Seuche.“

Beispielhaft berichtet Martina Leibovici-Mühlberger in ihrem Buch auch über eine Oberstufen-Gymnasiastin, die sich im Zuge der Covid-Maßnahmen – Home-Schooling; kaum Optionen, Freunde zu treffen – „unfreiwillig freiwillig“ in einen „Kokon der Einsamkeit“ begeben hatte, und diesen irgendwann einfach nicht mehr verlassen wollte. In der scheinbaren Geborgenheit ihres Zimmers hatte sie sich mehr und mehr ein Parallel-Universum aufgebaut, weit weg vom „echten Leben“.

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Irgendwann wollte das Mädchen gar nicht mehr nach draußen und Freunde treffen. Weil es sich nur noch daheim beschützt fühlte.

Die Psychotherapeutin über eine ihrer Klientinnen

Keine Kamera mehr, keine Treffen
„In ihrer Fadesse aß sie mehr, nahm daraufhin an Gewicht zu. Gleichzeitig sah sie auf sozialen Medien - über die sie nun hauptsächlich mit ihren Klassenkolleginnen kommunizierte - Fotos von ihnen und von diversen Influencerinnen.“ Allesamt hübsch und schlank: „Dass die Bilder gefiltert, also geschönt sein könnten - der Gedanke daran ist für meine Klientin nebensächlich gewesen.“ Weil ihre Unsicherheit, ihre Komplexe längst überbordend geworden waren: „Weswegen sie sich letztlich beim Unterricht per Computer weigerte, die Kamera einzuschalten; weswegen sie sich persönlichen Treffen total verweigerte.“

Das Verhalten, die Distanzierungswünsche der Schülerin - kein Einzelphänomen: „Die Pandemie, die dadurch bedingten Vorschriften, die Angst vor dem Virus - das hat bei vielen von uns einiges verändert. Bei jungen Menschen wahrscheinlich am meisten.“ Zum Negativen. Plötzlich aus der „Normalität“ gerissen worden zu sein; nicht unbeschwert mit anderen verkehren zu dürfen, „in Phasen, in denen das zur Ausbildung des Ichs von besonderer Bedeutung ist“, das sei eben nicht ohne Folgen geblieben.

„Häusliche Schwierigkeiten offenkundiger geworden“
„Hinzu kommt, dass Probleme, die bereits davor bestanden haben, quasi einen Turbo bekamen.“ Der „Trend“, eher zu chatten und seltener face-to-face zu kommunizieren, habe sich verstärkt; außerdem seien häusliche Schwierigkeiten offenkundiger, spürbarer geworden. „Kinder und Jugendliche aus Brennpunktfamilien waren natürlich - teils in extremem Ausmaß - betroffen.“ Weil sie in der Isolation noch massiver als zuvor Streitigkeiten der Eltern mitbekamen; weil manche Mütter und Väter nicht dazu in der Lage waren, zumindest ansatzweise die Arbeit der Lehrer zu übernehmen.

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Hinzu kommt, dass Probleme, die bereits davor bestanden haben, quasi einen Turbo bekamen.

Die Psychotherapeutin

Wie den Buben und Mädchen helfen? „Indem ihnen nahegebracht wird, dass jede Krise eine Chance bedeutet.“ Selbst „besser“ zu werden, für die Allgemeinheit Positives zu bewirken. Corona habe nämlich unserer - von einem ständig größer werdenden Narzissmus geprägten - Gesellschaft vor Augen geführt, wie verwundbar wir in Wahrheit sind: „Nicht nur durch eine Krankheit, sondern auch durch Naturkatastrophen - und, aktuell, den Krieg in der Ukraine.“

Die „Generation Z“ - sie zeige sich sensibel; den Klimawandel betreffend, „und darin, Ausbeutungsmechanismen zu stoppen und Ungleichheiten aufzulösen. Die Jungen von heute könnten also die Retter unserer Erde werden“.

Die Dramen der Kleinsten
„Ich mag Kinder sehr, von Jugend an war daher mein Wunsch, Kindergartenpädagoge zu werden“, erzählt Maximilian H. (Name geändert). Und „natürlich“ habe er später die Ausbildung dazu gemacht. „Bei meiner ersten Stelle, in einem privaten Betrieb, war alles wunderbar. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen betreute ich 15 Buben und Mädchen. Wir hatten demnach genügend Ressourcen, um sie optimal zu versorgen.“

Doch dann wurden Förderungen eingestellt, „und ich wechselte in einen öffentlichen Betrieb“. Wo die Arbeit von Beginn an - „weil meist völlig alleine zuständig für 25 Kinder unterschiedlichsten Alters“ - kaum bewältigbar gewesen sei.

„Wenig Zeit, mich mit den Kleinen ernsthaft zu befassen“
Eine Situation, die sich - so der 28-Jährige - mit Ausbruch der Pandemie verschlimmert habe: „Schließlich hatte ich meine Schützlinge voneinander, so gut es ging, abzuschotten. Und ich musste dauernd Spielzeug desinfizieren. Da blieb freilich wenig Zeit, mich mit den Kleinen ernsthaft zu befassen. Obwohl sie von mir eigentlich extreme Aufmerksamkeit gebraucht hätten. Viele von ihnen waren nämlich daheim Stresssituationen ausgesetzt, durch ihre von Jobverlust und folglich von Existenzängsten geplagten Eltern.“

Im Februar 2022 merkte Maximilian H., dass er den Belastungen in seinem Traumberuf laufend weniger gewachsen war, „dass ich vor einem Burn-out stand. Also zog ich die Reißleine“. Er kündigte - und nahm einen Job im Handel an: „Der - trotz weniger Verantwortung und Dienststunden - besser bezahlt ist als mein erlernter. Was ich völlig absurd finde.“

Schwierige Personalsuche
Theresa Plöchl, Leiterin des „Hairdreams-Couture-Salons Wien“, war lange daran gewöhnt, „schnell Lehrlinge zu finden, wenn wir welche brauchten. Mehr noch: Wir bekamen sogar ständig unzählige Blind-Bewerbungen.“ Weil die Ausbildungsmöglichkeiten in dem Betrieb umfassend sind, dort neben Färben, Schneiden, Föhnen auch die Kunst der Haarverlängerung erlernt wird. Nun ist die Personalsuche schwierig geworden.

Auf eine Stellenanzeige vor Kurzem hätten „nicht wie einst 200, sondern bloß einige wenige Kandidaten geantwortet. Es scheint“, so Plöchl, „als hätten junge Menschen in der Pandemie ihre Motivation verloren.“

„Meine Tochter bekam Depressionen“
Maria K.s Tochter Melanie (beide Namen geändert) war 15, als die Pandemie ausbrach. „So seltsam es klingen mag, aber zunächst war ich über die damit verbundenen Auflagen sogar froh“, erinnert sich die Mutter. Weil das Mädchen damals gerade in eine „Sturm- und Drangphase“ gekommen „und damit für mich ziemlich unsteuerbar geworden war“. Jedenfalls: Home-Schooling und Kontaktbeschränkungen hätten Melanie rasch zugänglicher gemacht, „doch je länger die Distanzierungsmaßnahmen anhielten, desto unglücklicher wurde sie“.

Die Gymnasiastin aß plötzlich - heimlich - sehr viel, nahm beinahe zehn Kilo zu, wollte schließlich mit Gleichaltrigen nur noch per Chat verkehren. Und sie begann, an Panikattacken und Depressionen zu leiden.„Mein Mann und ich sorgten dann dafür, dass sie in psychotherapeutische Betreuung kam - und wir überredeten sie zu Treffen mit ihren zwei besten Freundinnen“, so die 42-Jährige. Mittlerweile scheint ihre Tochter ihr seelisches Tief - fast - überwunden zu haben: „Und darüber bin ich sehr froh.“

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