Die Studiengebühren für österreichische Staatsbürger und EU-Gleichgestellte wurden vor der Wahl 2008 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion vom Nationalrat (SPÖ, FPÖ und Grüne) abgeschafft. Das heißt, nur teilweise: Wer zu lange studiert, sollte weiterhin zahlen, nämlich wenn die "vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um mehr als zwei Semester überschritten wird".
Die für diese Regelung herangezogenen Studienabschnitte sind bzw. waren aber schon damals ein "Auslaufmodell", da es diese nur mehr bei den auslaufenden Diplomstudien gibt. Laut VfGH war damit von vornherein unklar, wie nun die Studienzeit, die für die Befreiung von den Studienbeiträgen maßgeblich ist, zu bestimmen sei.
Unis beklagen massive Umsetzungsprobleme
Die Universitäten hatten in der Vergangenheit wiederholt massive Schwierigkeiten beim praktischen Vollzug der Bestimmungen beklagt. Ausgelöst hat das Verfahren aber letztendlich die Beschwerde eines Studenten aus Graz, dem die Studienbetragsstelle einen negativen Bescheid zur Gebührenfreistellung übermittelte.
Aufgrund der Ausnahmeregelung müssen derzeit nur rund 15 Prozent der etwa 280.000 Studenten den Beitrag in Höhe von 363,36 Euro pro Semester zahlen. Die 2001 eingeführten Studiengebühren haben anfangs rund 160 Millionen Euro pro Jahr eingebracht, zuletzt waren es aufgrund der umfangreichen Ausnahmeregelungen aber nur noch 30 bis 35 Millionen pro Jahr.
Der Nationalrat hat gepfuscht
Dass die Abschaffung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit jeweils einer Portion Husch und Pfusch geschah, wird im VfGH-Enscheid mehrmals deutlich. Die meisten Studien wurden zum Zeitpunkt der Abschaffung nämlich bereits auf die sogenannte Bologna-Struktur mit Bachelor bzw. Bakkalaureat und Master bzw. Magister umgestellt, in der es keine Unterteilung in Studienabschnitte gibt. Im Universitätsgesetz ist für Bachelor- und Master-Studien auch keine bestimmte Studienzeit vorgesehen, die man zur Berechnung heranziehen hätte können. Mittlerweile liegt die Umstellungsquote sogar schon bei 80 Prozent.
Weil nicht davon auszugehen sei, dass die Regierung mit dem Gesetz beabsichtigt habe, alle Bachelor- und Master-Studien von den Beitragsregelungen auzuschließen (denn bei korrekter Umsetzung hätte man für Bachelor und Master praktisch nie zahlen müssen, und nach der vollzogenen Abschaffung der Diplomstudien wären die Studiengebühren mitabgeschafft), habe man die gesetzlichen Bestimmungen über die Studienbeiträge sowie eine dazu beschlossene Verordnung des Wissenschaftsministeriums als verfassungswidrig bzw. gesetzwidrig aufgehoben, so der VfGH.
Regelung gilt trotz Aufhebung weiter
Der Regierung wird im VfGH-Urteil eine Reparaturfrist bis zum 29. Februar 2012 eingeräumt. Auf die Frage, ob bis zum Auslaufen der Reparaturfrist Studenten, die nicht innerhalb der (quasi) vorgegebenen Fristen studieren, weiterhin ihre Beiträge entrichten müssen, erklärte Holzinger, dies sei "verfassungsrechtlich außer Streit gestellt". Bis 2012 gilt also die derzeitige Regelung weiter.
Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle, als ÖVP-Mann und ehemaliger Uni-Rektor grundsätzlich ein Studiengebühren-Freund, begrüßte das Urteil in einer ersten Reaktion: "Der VfGH stellt die Einhebung von Studiengebühren nicht in Frage. Allerdings kritisiert er zu Recht die derzeit geltende, unpräzise Regelung. Eine solide, neue und umfassende Regelung muss das Flickwerk ersetzen."
Rudas lehnt generelle Wiedereinführung ab
Für SP-Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas kommt eine generelle Wiedereinführung von Studienbeiträgen indes nicht infrage. Jene, die wirklich studieren wollen, dürften nicht durch finanzielle Hürden abgehalten werden. Nur in Ausnahmefällen dürfe es Gebühren geben. Die Österreichische HochschülerInnenschaft sieht in dem Urteil unterdessen eine Chance, die Studiengebühren für alle abzuschaffen und so "mit den Altlasten der ÖVP-FPÖ-Koalition endgültig aufzuräumen". Auch Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund plädierten für eine generelle Abschaffung - BZÖ, Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung sehen das Urteil hingegen als Anlass dafür, dass künftig wieder alle Studenten zahlen sollen.
Die Universitätenkonferenz uniko warnte wiederum vor einem kompletten Wegfall der Gebühren. Für die Unis würde dies "einen weiteren finanziellen Aderlass bedeuten und ist in der derzeitigen angespannten Budgetsituation nicht verkraftbar", so uniko-Präsident Hans Sünkel. Die Regierung müsse entweder für eine verfassungskonforme Neuregelung sorgen oder die Studiengebühren ersetzen. Die Uni Wien warnte, dass eine generelle Abschaffung der Gebühren eine Finanzierungslücke in Millionenhöhe zur Folge hätte. Sie nehme allein durch Langzeitstudenten und Studenten aus Nicht-EU-Ländern pro Jahr neun Millionen Euro ein.
Für eine Beibehaltung der aktuellen Regelung mit einer Anpassung an die Bologna-Struktur plädiert die FPÖ. Auch aus Sicht der Grünen kann bei gutem Willen "leicht und rechtzeitig bis Februar 2012 eine verfassungskonforme Lösung gefunden werden", wobei Unis und Studenten einbezogen werden sollen.
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