Überraschende Bilanz

40 Jahre Justiz: Kein Stein blieb auf dem anderen

Österreich
01.05.2022 07:44

40 Jahre Berichterstattung über Prozesse, 40 Jahre Verhandlungen über Leid und Verzweiflung, aber auch Skurriles und Kabarettreifes. Was bleibt, sind unkonventionelle Einblicke in die österreichische Seele. Dass die Gier a Hund ist und Gelegenheit Diebe macht, ist eine Binsenweisheit. Aber dass selbst Mörder nicht zwingend böse Menschen sein müssen, ist eine überraschende Erkenntnis.

Die Justiz hat sich dramatisch verändert. Der Herr Rat, der streng über den Rand seiner Nickelbrille lugt, der Staatsanwalt, der mit Angeklagten schreit, all das gibt es nicht mehr. Wenn, wie einst passiert, eine Betrügerin nach einem harten Urteil bewusstlos zusammenbricht, würde der Richter heute Empathie zeigen. Die einzige Reaktion des Vorsitzenden damals war die Frage an die fast noch Bewusstlose: „Nehmen Sie das Urteil an?“

Einbruch in Bezirksgericht sogar von Richterin erlaubt
Undenkbar wäre es heute, dass ein Richter einen Einbrecher zu Hilfe holt. So vor Jahren im Strafbezirksgericht am Hernalser Gürtel in Wien, dem sogenannten Zweier-Landl, passiert. Der Anlass: Die Betreiberin des Cafés hatte den Schlüssel zum Lokal zu Hause vergessen. Worauf man kompetente Unterstützung aus der Haftanstalt holte. Unvergesslich der fragende Blick des Einbrechers zur Richterin: „Darf ich wirklich?“ Frau Rat nickte stumm, der Vormittag war ohne Kaffee nicht zu überstehen. Es dauerte kaum fünf Minuten, bis die Espressomaschine auf Hochtouren lief.

Skurril war auch die Szene in einem ländlichen Gericht, wo nahe der Haftanstalt ein Kaffeehaus im Bauernstil eingerichtet war. Perfekt passte auch die Bedienung. „Herr Rat, was darf es sein?“, fragte der Mann in schwarzer Hose und weißem Hemd. Und servierte dann formvollendet. Es war ein Kellner, der eine Haftstrafe verbüßte.

Für Organisation würden Richter Hilfe brauchen 
Die Justiz ist pragmatisch und höflich geworden, manchmal ein wenig zu höflich. Die Richter sind gut ausgebildet, kämpfen aber mit einem unzulänglichen System. Richter sind für alles - auch Organisatorisches - zuständig, sie haben kein Hilfspersonal. Und sie werden für alles verantwortlich gemacht, was schiefgeht. Auch wenn die veraltete Datenleitung schuld ist.

Urteile bis ins Detail auszumachen, war früher gang und gäbe. Moderne Richter würden sich auf so etwas nicht mehr einlassen.

Gelddepots in Kanzleien gibt es nicht mehr
Für die Strafverteidiger ist die Welt ebenfalls eine andere geworden. Wo sind die Zeiten, in denen Kriminelle in Kanzleien Depots von 50.000 Schilling (3600 Euro) oder mehr hinterlegten, um im Falle einer Verhaftung rechtlich gut abgesichert zu sein? Die Strafverteidigung ist publikumswirksam, aber heute kein Geschäft mehr, 85 Prozent der Verfahren im Wiener Landesgericht übernehmen Pflichtverteidiger. Manche arbeiten für wenig Geld, mit großer sozialer Verantwortung, manche öffnen nicht einmal den Aktendeckel.

Nur noch in der Verteidigung Wirtschaftskrimineller ist wirklich Geld zu verdienen. Ein von mehrjähriger Haft bedrohter Firmenchef zahlt gut bis zu 500 Euro pro Anwaltsstunde.

Ausländer-Banden haben „Gürtelstrizzi“ verdrängt
Und auch für Kriminelle sind andere Zeiten angebrochen. Den „Gürtelstrizzi“ gibt es nicht mehr. Ausländische Banden haben das Kommando übernommen. Handyauswertung und DNA-Test haben den Interpretationsspielraum der Beschuldigten stark eingeschränkt. Selbst wenn ein Einbrecher während der Tat das Handy ausschaltet, nützt das nichts. Der Richter sah darin eine Verschleierungshandlung. Der Täter hat es stets zu den relevanten Tatzeiten abgedreht.

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Seit dem Mord schlafe ich viel besser.

Geständnis eines Frauenmörders vor Gericht

Die auch von der Politik diskutierten Frauenmorde haben meist ein schlichtes Motiv: Menschen können nicht miteinander reden. Konflikte bleiben jahrelang ungelöst, bis sie sich auf furchtbare Weise entladen.

Angeklagter: „Seit dem Mord schlafe ich besser“
Im Prozess hören die Richter dann gerne ein Geständnis. Und das Bekenntnis des Angeklagten, dass er die Tat bedaure. Was die meisten, das drohende Urteil im Blick, zumindest vortäuschen. Nur wenige bleiben hart. Einer, der vier Verwandte ermordet hat, sagte: „Die Tat war richtig.“ Und ein Frauenmörder fügte hinzu: „Seit dem Mord schlafe ich viel besser.“

Räuber hatten früher oft etwas Tollpatschiges an sich. Etwa jener, der mit dem Dienstwagen samt deutlich sichtbarem Kennzeichen der Zollwache zum Überfall fuhr, vor dem Bankgebäude die Autotüre zuschlug und den Schlüssel innen stecken ließ. Er musste erst eine Fensterscheibe zerschießen, um ins Auto zu gelangen. Heute hat Brutalität die Tollpatschigkeit abgelöst ...

Porträt von Peter Grotter
Peter Grotter
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