Soziologin und Sexualpädagogin Barbara Rothmüller diesmal zu körperlichen Schamgefühlen und Selbsthass.
Linda Evangelista ist angeblich entstellt, nach einer missglückten Beauty-OP. Während die einen mit dem Topmodel mitleiden, blicken die anderen ungläubig auf die veröffentlichten Katastrophen-Fotos und trauen sich kaum das Undenkbare auszusprechen: Sieht Evangelista jetzt nicht einfach so aus, wie Frauen in ihrem Alter eben aussehen?
Viele Frauen - und zunehmend auch Männer haben ein negatives Körperbild, das von Scham und Selbsthass geprägt ist, obwohl sie eigentlich eh gut aussehen. Sie denken, dass ihr Leben besser wäre, wenn nur ihr Körper anders geformt wäre. Und träumen deshalb von Körpermodifikationen, Operationen und Zaubermitteln. Als Freundin oder Partner kann man gegen das negative Körperbild wenig sagen, was den Betroffenen wirklich ein besseres Gefühl ihres Körpers vermittelt. Zu sehr sind sie davon überzeugt, dass ihr Körper der Grund allen Übels ist in ihrem Leben.
Nicht für alle Menschen ist ihr Aussehen der zentrale Anker ihrer Identität und ihres Selbstwerts. Manche Menschen definieren sich mehr über ihren Job, ihre Familie, ihren Humor oder ihre Hobbies als über ihre straffe Haut. Ein Problem wird es allerdings dann, wenn Job, Familie und Freizeit ebenfalls am Aussehen hängen. Dafür muss man nicht Topmodel sein und sein Geld am Laufsteg verdienen.
Vor einigen Jahren habe ich mit einer jungen Frau ein Interview geführt, die als Verkäuferin arbeitete, und sie gefragt, was sie macht, um schön zu sein. Sie gab einen großen Teil ihres Einkommens dafür aus, um sich zu verschönern und sagte damals: „Ich glaube kaum, dass mein Arbeitgeber mich noch beschäftigen wollen würde, wenn ich nicht gepflegt bin.“ Für sie war klar, dass sie ihren Job nur hat, weil sie im klassischen Sinne attraktiv ist. Forscher sprechen in diesem Zusammenhang auch von erotischem Kapital, das sich am Arbeitsmarkt in gute Jobs, bessere Gehälter und eine berufliche Karriere eintauschen lässt. Nein, nicht weil attraktive Menschen strategisch sexuelle Erwartungen wecken, um beruflich voranzukommen. Sondern weil Menschen nur allzu oft äußere Schönheit mit inneren Werten gleichsetzen - und schönen Menschen deshalb pauschal Sympathie entgegenbringen.
Die positive Einschätzung schöner Menschen gilt jedoch nicht für alle Berufe. Attraktive Menschen werden im Beruf auch als Konkurrenz gesehen und gemieden. In manchen Jobs ist es sogar kontraproduktiv, zu attraktiv zu sein. Als Wissenschaftlerin ist man beispielsweise besser nicht zu attraktiv. Gerade als junge Frau wird einem sonst Kompetenz, wissenschaftliche Autorität und Professionalität abgesprochen.
Aber auch wenn es gesellschaftliche Orte gibt, an denen man nicht schön sein muss: Was bei Linda Evangelista berührt, ist, dass sie ihr positives Lebensgefühl mit ihrem attraktiven Äußeren verloren hat. Die Arbeit an einer neuen Selbstakzeptanz war für sie schließlich ein jahrelanges Projekt, bis sie sich wieder in die Öffentlichkeit getraut hat. Zu erkennen, dass die Gesellschaft mit ihren geschlechtsspezifischen Körperbildern eine Zumutung für Frauen und Männer ist, ist ein wichtiger erster Schritt zu einem realistischen Körperbild. Wenn wir es wirklich anders haben wollen, müssten wir jedoch eine Kultur des Spürens etablieren, anstelle einer Kultur des Sehens. Schöne Körper-Erlebnisse zu kultivieren, ist auch eine Voraussetzung dafür, sich mit zunehmenden Alter den Spaß am Sex zu bewahren. Ein Versprechen, das Schönheitsoperationen nicht einlösen können.
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