Das große Interview

Kogler und Schützenhöfer: „Kein Überwachungsstaat“

Steiermark
18.02.2022 06:00

Am Stammtisch im Johanneshof demonstrieren Landeshauptmann Schützenhöfer und Vizekanzler Kogler schwarz-grüne Harmonie. Ein Gespräch über Corona-Impflicht, Postenschacher und Atomkraft.

„Krone“: Es wird Jahre dauern, bis die durch Chats bekanntgewordenen Skandale wie Inseraten- oder Casino-Affäre aufgeklärt sind. Dennoch müssen Sie mit der dadurch schwer beschädigten ÖVP zusammenarbeiten und stündlich Angst haben, dass neue Chats auftauchen, die Ihre Regierung belasten. Kann eine Koalition in diesem Spannungsfeld überleben?
Werner Kogler: Ja. Erstens habe ich mir Angst abgewöhnt. Zweitens, was die Strafverfahren betrifft, hoffe ich, dass hier Geschwindigkeit reinkommt. Aber auch hier gilt: Die Justiz soll unabhängig und gründlich ermitteln. Wichtig ist, dass diese Regierung gut arbeitet, ÖVP und Grüne haben sich auf einen sehr umfangreichen Koalitionsvertrag verständigt. Die Alternative könnten ja nur Neuwahlen sein - und da frage ich mich: Was soll das bringen?

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Ich habe mir Angst abgewöhnt.

Werner Kogler

Was ist der größte Unterschied zwischen Kanzler Karl Nehammer und Ihnen?
Kogler: Ich entdecke immer mehr Gemeinsamkeiten, den größten Unterschied sehe ich in politischen Inhalten. Eine Fähigkeit zum Kompromiss braucht man freilich, ohne den würde unser parlamentarisch-demokratisches System zugrunde gehen.

Was war der größte Unterschied zwischen Werner Kogler und Sebastian Kurz?
Kogler: Die Arbeitsweise und schnelle Entscheidungen im kleinen Kreis - das würde ich dem Sebastian Kurz zuschreiben. Jemand hat mir einmal gesagt: Bei Kurz spielt die Gefolgschaft seiner Umgebung eine Rolle, uns Grünen ist die Gefährtenschaft wichtig.

Herr Landeshauptmann, Ihr Parteikollege und Ex-Justizsprecher Michael Ikrath meinte kürzlich: „Sebastian Kurz hat mit seinen Prätorianern die ÖVP und die Republik gekapert.“ Hat er recht?
Hermann Schützenhöfer: Nein. Jetzt melden sich jene zu Wort, die alte Rechnungen offen haben. Kurz hat der ÖVP zwei große Wahlsiege beschert, und auch die Bundesländer haben profitiert. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich einmal bei einer Landtagswahl Rückenwind vom Bund gehabt hätte, 2019 aber war das der Fall.

Sie waren lautester Fürsprecher für Kurz, dann maßgeblich an dessen Demontage beteiligt. Wann wussten Sie, dass er nicht zu halten ist?
Schützenhöfer: Das kann man nicht an einem Tag oder an einer Stunde festmachen. Es war eine Entwicklung, die uns dann am Ende gezeigt hat, dass die Lage aussichtslos ist. Wir sind damit in der Realität des Lebens gelandet, für die ÖVP ist es aktuell eine herausfordernde Situation. Mit Karl Nehammer haben wir heute jedenfalls eine Persönlichkeit - für Österreich und für die Volkspartei.

War es nicht der rüde, vulgäre Ton in den Handy-Chats, der die Landeshauptleute am meisten gestört hat?
Schützenhöfer: Freilich geht es um den Ton. Aber ich möchte nicht wissen, was in SMS und Chats innerhalb der SPÖ, der Kirche, innerhalb der Lehrer- oder Ärzteschaft so alles steht. Was die strafrechtliche Relevanz betrifft: Da wird nichts rauskommen - soweit ich es beurteilen kann.

In Sidelettern wurden, an der Öffentlichkeit vorbei und außerhalb des offiziellen Koalitionsabkommens, Nebenabsprachen getroffen. Warum machen die Grünen bei diesen heimlichen Geschäften, etwa wenn es um wichtige Jobs im ORF geht, mit?
Kogler: Wir haben in den Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP ein klares Ziel verfolgt, das man ruhig öffentlich ausschildern hätte können. Wenn ich es vom Ergebnis her denke und von der Intention, halte ich diese Vorgangsweise nach wie vor für richtig. Als Postenschacher würde ich es verstehen, wenn der blaue Bezirksrat von irgendwo plötzlich Vorstand in der Casino AG wird und dort nichts verloren hat. Das hat es ja alles schon gegeben, bei uns aber nicht.

Haben diese Nebenabsprachen nicht trotzdem Ihre Glaubwürdigkeit beschädigt?
Kogler: Ich verstehe die Irritation, weil wir in der Form hinter unseren Ansprüchen zurückgeblieben sind. Dafür habe ich mich entschuldigt. Inhaltlich haben wir Dinge, die wir nicht wollten, abgewendet und dafür gesorgt, dass es starke und unabhängige Besetzungen gibt - im Gegensatz zur türkis-blauen Regierung.

ÖVP-Landeschefs stellen die Impfpflicht infrage. Rücken Sie auch davon ab?
Schützenhöfer: Nein. Ich habe die Impfpflicht 2020 gefordert, hätten wir uns damals auf eine Einführung verständigt, hätten wir uns viele Debatten erspart und die Delta-Variante besser bekämpft. Die Impfpflicht kommt zu spät, aber seien wir froh, dass wir sie haben.

Kommen die angekündigten Lockerungen und der „Freiheitstag 5. März“ nicht viel zu früh?
Schützenhöfer: Diese Schritte sind möglich, weil wir eine stabile Lage in den Krankenhäusern haben - das ist und bleibt das Wichtigste. Für Ungeimpfte sind die Öffnungsschritte eine goldene Brücke, um sich ohne Druck impfen zu lassen.

Wird die Corona-Verschwörungspartei MFG, die in den oberösterreichischen Landtag eingezogen ist, auch in der Steiermark reüssieren?
Schützenhöfer: Ich kann das nicht ausschließen. Die Epidemie hat das Land verändert und dazu kommt, dass es bei uns eine gewisse Wohlstandssättigung gibt. Das führt zu einem Werteverlust und zur Anfälligkeit für Verschwörungstheorien. Ein Politiker muss sich heute vorwerfen lassen, dass er überhaupt ein Einkommen hat. Und er wird, so wie ich, immer wieder in Briefen und E-Mails auf das Übelste beschimpft und bedroht.

Ein Hauptkritikpunkt an der Regierung lautet: Es werden immer wieder Corona-Verordnungen erlassen, deren Einhaltung kaum kontrolliert wird. Jene, die sich an Regeln halten, werden so für dumm verkauft. Wie können Sie dem Herr werden?
Kogler: Die Impfpflicht hat ja ursprünglich niemand gewollt. Es zeichnet Hermann Schützenhöfer aus, dass er frühzeitig dafür eingetreten ist. Damit wir gut durch den nächsten Herbst und Winter kommen, werden wir alle froh sein, sie zu haben. Auch ich bin für ernsthafte Kontrollen, aber man kann nicht hinter jeden Bürger einen Sheriff stellen. Jene Firmen, die jede Vorsicht missen lassen und so Menschen gefährden, nicht kontrollieren und womöglich nicht einmal die Sperrstunde eingehalten haben, werden keine Wirtschaftshilfen mehr kassieren. Aber: Vieles ist appellativ, weil wir zum Glück kein Überwachungs- oder Polizeistaat sind.

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Wir können nicht immer nur von Umweltschutz reden und dann nichts unternehmen.

Hermann Schützenhöfer

Ausgerechnet eine steirischen Ministerin stoppt den Ausbau der A 9 bei Graz. Die Wirtschaft tobt ebenso wie Autofahrer. Haben Sie mit Leonore Gewessler schon ein ernstes Wort gewechselt?
Schützenhöfer: Ich habe mit der Ministerin mehrfach darüber geredet, weil ich mit allen das Gespräch suche. Es ist eine Nagelprobe: Wir können nicht immer nur von Umweltschutz reden und dann nichts unternehmen.
Kogler: Es werden ja viele Straßenprojekte weiter verfolgt. Beim Eisenbahnausbau gibt es ein Steiermark-Paket, die Koralmbahn ist auf Schiene, das ist quasi eine taugliche Alternative zum Weiterbetonieren. Die dritte Spur auf der A 9 alleine wird die Stauproblematik nicht lösen - es wird sinnvoll sein, auch hier Verkehrsleitsysteme zu optimieren. Aber: Je mehr wir ausbauen, desto mehr ziehen wir ausländischen Transit an. Mir ist vor allem wichtig, dass die heimischen Industriebetriebe nicht vertrieben werden, weil sie noch am umweltfreundlichsten von allen produzieren.

Die Laufzeit des grenznahen Atomkraftwerks Krško 1 droht verlängert zu werden, zu allem Überdruss plant Slowenien auch noch einen Neubau von Krško 2. Was kann Österreich gegen diesen Irrsinn noch unternehmen?
Kogler: Man muss da ehrlich bleiben. Die Energiepolitik in Europa ist nicht vereinheitlicht und basiert sehr stark auf nationalen Entscheidungen. Wir müssen trotzdem alle diplomatischen Möglichkeiten ausschöpfen und immer wieder auf die Gefahr wegen der lokalen Erdbebenzonen hinweisen. Neue Reaktoren zu bauen, selbst wenn sie nur zu alten dazugestellt werden, ist extrem teuer - im Verhältnis dazu sind erneuerbare Energien hochrentabel.

Herr Landeshauptmann, Sie haben der „Krone“ ausgerichtet, dass Sie von unserer Art der Berichterstattung gegen das AKW Krško nichts halten, Stichwort „Aktionismus“. Bislang wurden allerdings bereits 50.000 Unterschriften gegen das gefährliche Atomkraftwerk an der steirischen Grenze gesammelt. Sind Sie überhaupt ein Atomkraftgegner?
Schützenhöfer: Erstens: Natürlich bin ich Atomkraftgegner. Dass die EU Atomstrom jetzt plötzlich als grüne Energie einstuft, ärgert mich. Zweitens ist es keine Entschuldigung für Krško, aber es ist nicht zu vergleichen mit Atomkraftwerken, die wir an der Grenze zu Oberösterreich und Niederösterreich haben. Die sind schrottreif, Krško ist so gesehen sicher. Am Ende des Tages können und werden wir nicht mit Panzern anrücken. Aber wir werden immer wieder versuchen, unsere slowenischen Nachbarn auf die Gefahren hinzuweisen.

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Ich will dem Landeshauptmann nicht zu nahe treten, aber es ist für mich reizvoller, auf Bundesebene weiterzumachen.

Werner Kogler

Eine Entscheidungsfrage: Bleiben Sie bis zum Ende der Legislaturperiode Landeshauptmann?
Schützenhöfer: Das kann ich nicht mit ja oder nein beantworten, weil das zynisch wäre. Ich kann nur eines sagen: Würde ich 2024 wieder kandidieren und die volle Periode machen, wäre ich jünger als unser Bundespräsident jetzt ist. Von dem übrigens alle hoffen, dass er wieder antreten wird.

Wäre steirischer Landeshauptmann ein reizvoller Job für Sie, Herr Vizekanzler?
Kogler: Ich will dem Landeshauptmann nicht zu nahe treten, aber es ist für mich reizvoller, auf Bundesebene weiterzumachen. Für mich ist Hermann Schützenhöfer ein Garant dafür, dass innerhalb der Landeshauptleute und der Bundesländer eine gewisse Linie da ist, und er übernimmt auch eine wichtige Vermittlerrolle in Richtung der Bundesregierung. Deshalb würde es mich freuen, wenn es seine Beiträge dazu noch lange gibt.

Oliver Pokorny
Oliver Pokorny
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