Grenzkontrollen

EU-Kommission präsentiert Schengen-Reform

Ausland
04.05.2011 13:29
Seit der zunehmenden Flüchtlingsproblematik denkt die EU laut über eine Reform des Schengen-Abkommens nach. Die EU-Kommission will jetzt eine Wiedereinführung von Grenzkontrollen zwischen europäischen Staaten. Dies soll durch eine Reform des Schengen-Vertrags erreicht werden, deren Grundzüge EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström am Mittwoch in Brüssel präsentierte. Im Rahmen des Schengen-Abkommens wurden 1995 Grenzkontrollen zwischen den meisten EU-Staaten abgeschafft, Ausnahmen gab es beispielsweise bei sportlichen Großereignissen, um Hooligans im Vorfeld die Einreise zu verweigern.

"Schengen ist eine fantastische Errungenschaft der EU. Wir sollten das schützen und verteidigen", betonte Malmström. Sie kündigte an, die EU-Kommission werde Leitlinien veröffentlichen, die Grenzkontrollen sollten nur unter "sehr strikten Bedingungen" eingeführt werden können und auf europäischer Ebene überwacht werden. "Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger", warnte Malmström vor Populismus in dieser Frage.

Losgetreten wurde die jüngste Aufregung über Schengen in Folge des Umbruchs in mehreren nordafrikanischen Ländern. So war es wegen des massiven Zustroms von tunesischen Flüchtlingen nach Italien zu einem Zwist mit Frankreich gekommen. Italien hatte Wirtschaftsflüchtlingen aus Tunesien Touristen-Visa ausgestellt, mit denen diese auch in andere Schengen-Länder ungehindert einreisen konnten.

Fekter: "Staubsauger-Effekt auf Migranten"
Österreichs damalige Innenministerin Maria Fekter sah darin eine "unsolidarische Maßnahme" und sprach von einem "Staubsauger-Effekt" auf alle Migranten, die nach Italien gelangen und von dort in die EU weiterreisen könnten. Österreich hatte daraufhin seine Kontrollen wegen der Italien-Visa verstärkt. In der Folge hatten Italien und Frankreich gemeinsam EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso aufgefordert, Änderungen am Schengen-Vertrag mit einer leichteren Wiedereinführung von Grenzkontrollen zumindest temporär zu ermöglichen.

Als letztes Mittel in "kritischen Situationen" schlägt die Kommission nun "eine koordinierte und zeitlich begrenzte Wiedereinführung der Kontrolle der internen Grenzen" zwischen Schengen-Staaten vor. Diese Kontrolle solle solange durchgeführt werden, bis es durch andere Maßnahmen gelinge, die Außengrenzen wieder zu stabilisieren.

Dabei geht es um jenen Abschnitt im Schengen-Kodex, der es den EU-Staaten ermöglicht, unter außergewöhnlichen Umständen für einen beschränkten Zeitraum die Personen-Grenzkontrollen wieder einzuführen. Dies ist etwa im Fall größerer Sportveranstaltungen oder bei Gefahr für die innere Sicherheit möglich. In dem Artikel sind keine spezifischen Kriterien wie die Zahl von Migranten genannt, um die es geht. Die Grenzkontrollen müssen bei der EU-Kommission angemeldet und können von Brüssel auf ihre Gültigkeit überprüft werden.

Möglichkeit zur Aussetzung von Schengen im Gespräch
Malmström wollte am Mittwoch zwar keine konkreten Aussagen zu einer Schengen-Reform treffen, doch gehe es darum, "gewisse Schwächen" zu beseitigen und Lösungen zu finden. Konkret auf die Forderung nach einem leichteren Aussetzen von Schengen und damit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen angesprochen sagte sie, es sei noch kein Mechanismus dafür präsentiert worden, aber "es geht um die Möglichkeit, einen solchen einzuführen".

Natürlich könne Schengen "verbessert werden". Dies sollte durch eine "bessere Evaluierung, bessere Umsetzung" erreicht werden. Dabei gehe es auch um das Aussetzen von Schengen unter "strikten Bedingungen, die auf europäischer Ebene überwacht werden" müsse. Dabei "darf sicher keine Festung Europa" geschaffen werden.

Konkretere Ergebnisse kündigte Malmström für nächste Woche an. "Derzeit evaluieren die EU-Staaten selber" die Schengen-Aussetzung, "wir brauchen aber eine europäische Evaluierung mit Hilfe von Frontex". Für die Aussetzung müsse es strenge Kriterien geben, "das darf nur in extremen Ausnahmefällen im europäischen Geist" geschehen.

Mikl-Leitner befürwortet anlassbezogene Grenzkontrollen
Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner befürwortet anlassbezogene Grenzkontrollen. Die neue Innenministerin erklärte am Mittwoch: "Ein klares Ja zu anlassbezogen verstärkten Grenzkontrollen." Diese hätten auch in der Vergangenheit stattgefunden und stellten "ein gutes und richtiges Instrumentarium dar". Mikl-Leitner erinnerte etwa an die Fußballeuropameisterschaft EURO 2008.

Aber: "Das generelle Hochziehen von Grenzen in Binnenländern" sei "eine massive Einschränkung der Reisefreiheit, die wir ja alle schätzen, lieben und wirklich genießen. Das wäre ein ganz großer Rückschritt." Mikl-Leitner sprach sich außerdem für einen verstärkten Einsatz der EU-Grenzschutzagentur Frontex sowie für eine Vereinbarung mit Drittstaaten zur Bekämpfung der Kriminalität und illegalen Migration aus.

Auf die Frage, ob Flüchtlingsströme aus Nordafrika ein Anlass seien, bei dem sie eine Wiedereinführung von Grenzkontrollen befürworte, sagte Mikl-Leitner: Es gelte, "zu prüfen, wie es den Italienern gelingen kann, aus eigener Kraft mit dieser Herausforderung fertig zu werden". Wichtig wäre ihr, dass "man zuerst die Hausaufgaben im eigenen Land löst". Ein Vergleich von Österreich und Italien zeige nämlich: "Wir in Österreich haben pro 1.000 Einwohner 1,3 Asylwerber, während Italien pro 1.000 nur 0,1 Asylwerber hat." Italien habe also "eine wesentlich geringere Belastung" als Österreich, "wo ich doch erwarten darf, dass Italien hier seine Verantwortung wahrnimmt", betonte die Innenministerin.

Auch Österreich war jahrelang Teil der EU-Außengrenze. Und "wir haben jahrelang allein die Migrations- und Flüchtlingsströme auf unseren Schultern getragen". Daher erwartet Mikl-Leitner von Italien "nicht mehr und nicht weniger". Das Ausstellen von temporären Visa sei zwar möglich, löse das Problem aber nicht: Weil die Menschen nach sechs Monaten wieder zurück müssten oder irgendwo illegal seien. Dann bestehe Handlungsbedarf.

570.000 illegale Einwanderer im Jahr 2009
Die Schengen-Zone besteht derzeit aus 25 Ländern. Davon sind 22 EU-Staaten. Außer Bulgarien, Rumänien, Irland, Großbritannien und Zypern sind alle Länder der EU vertreten. Darüber hinaus gehören Norwegen, Island und die Schweiz dem Schengen-Raum an. Bulgarien und Rumänien durften wegen Mängeln in ihren Polizei- und Justizsystemen bisher Schengen nicht beitreten.

Nach Informationen der EU-Kommission sind 2009 rund 570.000 Personen aus Drittstaaten illegal in die Europäische Union eingereist. Rund 250.000 von ihnen wurden zurückgeschickt. Die EU-Innenminister werden am 12. Mai die Mitteilung der Kommission zu Migration und zur Reform des Schengen-Abkommens beraten. Dies ist auch der erste Auftritt von Innenministerin Mikl-Leitner auf Brüsseler Boden. Danach muss die EU-Kommission erst einen Gesetzesvorschlag vorlegen. Die Brüsseler Behörde will die Schengen-Reform beim EU-Gipfel Ende Juni abgesegnen lassen, EU-Diplomaten sehen diesen Zeitplan allerdings skeptisch.

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