„World Wide Worries“

Sluff: Gemeinsam leidet es sich etwas leichter

Musik
19.11.2021 06:00

Auf ihrem zweiten Album „World Wide Worries“ stülpt das Wiener Quartett Sluff den kleinen und großen Problemen des Lebens einen tröstenden Mantel der Gemeinschaft über. Auch wenn die Shoegaze-Indie-Klänge dunkel und schwer klingen mögen, kommen Humor und Ironie nie zu kurz. Man darf und soll sich vom Weltschmerz eben nicht besiegen lassen.

(Bild: kmm)

Was sich derzeit so alles auf der Welt abspielt, das gibt wahrlich wenig Grund zur Freude. Gesellschaftsspaltung aufgrund der nicht enden wollenden Impfsituation, ein Klimagipfel, der Egoismus und Sturheit einzelner Teilnehmer über das Wohl der Menschen und unsere Zukunft stellt, Flüchtlinge werden in Osteuropa als personifiziertes Politfeuer verheizt und deren Schicksale kalkuliert benutzt und der Umgangston im zwischenmenschlichen Bereich ist so rau und unerbittlich wie schon lange nicht mehr. Kein Wunder, dass da so mancher temporär die Lust an der unbeschwerten Lebensfreude verliert. Dass die Wiener Shoegaze-Band Sluff ihr heiß ersehntes Zweitwerk „World Wide Worries“ nennt, hat trotz all der prekären Lagen auf dem Globus aber nur wenig mit dem Weltschmerz per se zu tun. Und wenn der schon aus der gefühlten Ohnmacht ausbricht, dann bitte doch mit etwas Humor, denn so ganz ohne Sarkasmus und Ironie hat man den Kampf um eine bessere Zukunft ja sowieso schon aufgegeben.

Distanz vom Schrecken
„Der Albumtitel bezieht sich darauf, dass jeder von uns mit den gleichen Problemen und Sorgen konfrontiert ist, wenn er mit offenen Augen durch die Welt geht“, erklärt uns Frontmann und Texter Martin Zenker neben seinen Bandkollegen im „Krone“-Interview im Café Westend, „das Album ist eine Auseinandersetzung mit der Lage. Aber auch ein Anerkennen und davon Fortgehen. Man distanziert sich mit Humor von Dingen, die einfach viel zu schrecklich sind, um sie wirklich erfassen zu können.“ Schon auf ihrem 2018er-Debütalbum „On Debris“, mit dem Sluff die Indie-Szene im Sturm eroberten, gab man der Melancholie breiten Raum. Die Songs von „World Wide Worries“ standen in ihrem Grundschema auch schon vor dem Einzug der Covid-Pandemie, wurden aber erst in den letzten Jahren ausgearbeitet, verfeinert und schlussendlich aufgenommen. Von einem Corona-Album sind Sluff gottlob weit entfernt, aber die Parallelen sind natürlich nicht zu übersehen. „Im größeren Kontext ist Corona ja auch nur ein Symptom dafür, was in der Welt so alles falschläuft.“

Die vier Bandmitglieder sind inhaltlich und musikalisch Like-minded, was ihre diversen anderen Projekte eindeutig aussagen. Dead End Friends, Bad Weed oder Vague heißen diese und sind in der heimischen Indie-Szene trotz klanglicher Unterschiede nicht mehr wegzudenken. Bei Sluff finden sich die kreativen Querverbindungen zwischen Bauhaus, den Buzzcocks, Joy Division, Wire oder My Bloody Valentine, wobei letztere als Inspirationsquelle wohl am höchsten angesiedelt sind. „Ich bin froh, dass ich sie vor ca. sieben Jahren noch auf ihrer Reunion-Tour gesehen habe“, bestätigt Zenker, „bei ihnen war immer das Wichtigste, dass nach dem Gig die Ohren bluten.“ Sluff finden in ihrer Musik freilich einen poppigeren und breitenwirksameren Zugang als ihre Idole aus Dublin, doch beiden Genannten ist gemein, dass man nicht zu exponiert agiert und die einzelnen Charaktere hinter der Musik und den Inhalt gereiht sind.

Leichtes in der Schwere
„Wir alle sind eher leise Personen“, erklärt Bassist Markus Hirczi, „aber dadurch sind wir unheimlich aufmerksam, wenn jemand etwas sagen oder sich ausdrücken will. Wir schauen auf uns, achten darauf, dass jeder seinen Raum kriegt und sich einbringen kann. Natürlich kann es manchmal reiben und krachen, aber sich aus der Reserve zu locken führt oft auch dazu, dass etwas weitergeht.“ Die durch Covid erzwungenen Lockdowns und konzertfreien Monate haben auch bei Sluff ihre Spuren hinterlassen. Der Schaffensprozess von „World Wide Worries“ ging dem Quartett nicht so leicht von der Hand wie man wollte, umso beeindruckender ist es, dass das Album in all seiner Schwere trotzdem eine gewisse Leichtigkeit verströmt. „Das ganze Drumherum war manchmal ein bisschen ein Kampf“, gibt Drummer Konstantin Heidler zu, „ich habe aber auch für drei Bands Alben aufgenommen, meine Masterarbeit geschrieben, gearbeitet und musste mit Beziehungsproblemen klarkommen.“

Beziehungen und das System - das sind die zwei Schlagworte, die sich als roter Faden durch die fein gesponnenen Songs von Sluff ziehen. Einerseits die stets in den Vordergrund gestellte Kritik an den Kapitalismus und neoliberale Strömungen, einerseits die introspektive Verarbeitung der Zwischenmenschlichkeit, die dann aus einer allgemeinen Perspektive heraus dem Hörer zur Selbstinterpretation zur Verfügung gestellt wird. Die angesprochenen „World Wide Worries“ beginnen eben zuerst einmal bei jedem selbst. „Ich verbinde mit jedem Lied persönliche Geschichten, erzähle sie aber bewusst so, dass sie eine gewisse Offenheit und Deutungsweise zulassen“, so Zenker, „ein großes Thema sind etwa alternative Beziehungsformen. Was bedeutet die Liebe eigentlich und kann sie nur in einer romantischen Form stattfinden? Ist diese romantische Form das höchste Gut der Liebe oder bedeutet eine andere gleich viel?“ In Songs wie „Deceiver“ oder „Resistance To Fraud“ geht es um die Irrtümer, denen man im Leben aufsitzt, „Machine“ etwa setzt sich unzweideutig mit dem kapitalistisch geprägten Rad der Gesellschaft auseinander, in dem wir uns alle abstrampeln.

Musik ohne Slogan
In der Single „Regain“ wandert man durch die Zeiten und Erinnerungen und sucht fast schon nach Erlösung. „World Wide Worries“ ist gleichermaßen tröstlich wie fragestellend. Ein Album mit Shoegaze-Zurückgezogenheit und Indie-Rost, das sich in seinen lichten Momenten auch gerne mal ins Gesellschaftspolitische dreht und Raum für positive Eruptionen lässt. „Sluff hat keinen richtigen Slogan, keinen vermarktbaren Aufhänger“, weiß Heidler. Zenker ergänzt: „Wir stehen prinzipiell dafür, wie wir durchs Leben gehen. Dieses Leben ist ein ständiger Kampf, aber wir versuchen uns bestmöglich von bestehenden Gräueln abzudrehen und Dinge wie einen bestehenden Männlichkeitsbegriff anders zu leben.“ Diversität und Gendergerechtigkeit finden in den „Worries“ von Sluff nämlich auch breiten Raum. Man muss nur hinhören oder zwischen den Zeilen lesen. Und ansonsten, bestätigt Gitarrist Bernhard Hussek, kann man die Musik auch einfach nur genießen. „Wir versuchen einfach als Kollektiv unsere Sicht der Welt künstlerisch wiederzugeben. Im Endeffekt stehen wir einfach für gute Gitarrenmusik.“ Die darf man, wenn nicht kurzfristig was passiert, unter 2G+-Regeln am 20. November bei der Album-Releaseshow im Wiener Werk genießen. Nachdenken und reflektieren ist freilich auch ausdrücklich erlaubt.

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