Nach 30 Jahren voll mehr oder weniger grandioser Alben kann man die Waliser Manic Street Preachers getrost zu den wichtigsten walisischen Rockbands zählen. Auf dem aktuellen Werk „The Ultra Vivid Lament“ wagen sich James Dean Bradfield und Co. in gar seichte Pop-Gefilde und fordern ihre langjährigen Fans damit ordentlich heraus.
Für viele altgediente Verehrer der sozialistischen Rock-Epiker Manic Street Preachers könnte das neue Album „The Ultra Vivid Scene“ zur Herausforderung werden - für manche gar ein Grund, geschockt Abschied zu nehmen. Denn nach dem gewohnt hymnischen Einstieg mit „Still Snowing In Sapporo“ klingen zwei Songs plötzlich verdächtig nach - ABBA. Das war so nun wirklich nicht zu erwarten.
Keine Angst vor Pop
„Orwellian“ und „The Secret He Had Missed“ sind mit supereingängigen Melodien und Klimper-Keyboards so nah dran an den Hits der vier schwedischen Poplegenden, dass man den Manics entweder Mut zur Veränderung, Chuzpe oder Irrwitz zuschreiben kann. „Das Album soll ein typisches 70er-Jahre-Gefühl transportieren“, sagte Sänger James Dean Bradfield dem „Rolling Stone“. „Ein Top-of-the-World-Feeling, manchmal etwas schäbig, wie auch Glam es war.“
Nun ist es keine Schande, sich bei einigen der weltumarmendsten Ohrwürmer der Popgeschichte wie „Waterloo“, „Fernando“ oder „Dancing Queen“ zu bedienen. Auch der englische Progressive-Rock-Meister Steven Wilson oder die kanadische Indie-Bigband Arcade Fire hatten schließlich ihre ABBA-Begeisterung zuletzt klar durchblicken lassen. Die Manic Street Preachers geben die Vorliebe für den polierten Seventies-Pop immerhin mit viel Energie und Überzeugung zum Besten, so dass man ihnen diesen Exkurs durchaus gönnt. Und ja, zur Beruhigung: „Diapause“, „Complicated Ilusions“, „Blank Diary Entry“ - das sind ohne Zweifel wieder tolle, meinungsstarke Manics-Songs.
Ambivalentes Vergnügen
Bei einer Band, die vom Punk kam („Generation Terrorists“) und dann mit linken Straßenprediger-Hymnen („Everything Must Go“, „This Is My Truth Tell Me Yours“) großen Erfolg hatte, klingt der Stilwechsel dennoch ernüchternd. Erst recht angesichts der prachtvollen Sologroßtat „Even In Exile“ von Frontmann Bradfield aus dem vorigen Jahr. Die Chance, nach dem Manics-Zwischenhoch dank „Rewind The Film“ (2013) und „Futurology“ (2014) auch im vierten Band-Jahrzehnt mit einem großen Album zu begeistern, hat das walisische Trio verschenkt.
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