„Krone“-Gespräch

Oehl: Große Hoffnung gegen beißenden Zynismus

Musik
08.07.2021 06:00

Eigentlich hat das österreichisch-isländische Pop-Duo Oehl fleißig an seinem zweiten Album gearbeitet, dabei aber gemerkt, dass so einige Songs die Themen Geld, Arbeit und Wirtschaft in den Vordergrund rücken. Nun haben Ariel Oehl und Hjörtur Hjörleifsson diese Tracks ausgelagert und in die EP „100% Hoffnung“ gegossen. Mit uns haben sie über die Zukunft, den Gemeinschaftsgedanken und die verschiedenen Formen der Zufriedenheit gesprochen.

(Bild: kmm)

Irgendwann muss einmal Schluss sein mit Zynismus, denn er beraubt uns in den schwierigen Zeiten auch noch der Hoffnung - dem letzten Ankerpunkt gegen die drohende Resignation. „100% Hoffnung“ verspricht das österreichisch-isländische Pop-Duo Oehl auf seiner gleichnamigen EP, die dieser Tage das Licht der Welt erblickt. Darauf gehen Ariel Oehl und Kompagnon Hjörtur Hjörleifsson in die Offensive und stellen ihren traumwandlerischen Soundkaskaden knallharte Analysen, Erlebnisse und Texte aus der bitteren Realität der westlichen Gesellschaft bei. Es geht um Geld, um Macht, um Arbeitssysteme, um Bankenpleiten, um Ungerechtigkeit und um die Tücken des Kapitals. Doch so ausweglos die Lage auch scheinen mag - am Ende des Tunnels scheint immer ein Licht. „Ein Song auf der EP heißt ,Keine Angst‘“, erzählt uns Oehl im Interview, „daraus können schließlich die besten Ideen für die Zukunft entstehen.“

Trauer und Betroffenheit
„Die Umstände der Welt waren die Hauptinspiration für diesen Titel“, führt Hjörleifsson aus, „wir alle haben mit sehr vielen Problemen zu kämpfen. Das beginnt bei der Klimakrise und endet bei den sozialen Spannungen. Dann kam auch noch die Pandemie dazu und mit der Mischung aus all diesen Themen ist es leicht, Hoffnung und Aussicht zu verlieren. Dagegen wollen wir ankämpfen.“ Dabei wirkt „100% Hoffnung“ auf den ersten Hör gar nicht so hoffnungsfroh, wie man vermutet. Der Schlüsselsong ist freilich „300.000“ - eine melancholische Klangelegie auf jene Kleinsparer, die beim Commerzialbank-Skandal im burgenländischen Mattersburg aufgrund der Einlagensicherung von maximal 100.000 Euro ihr Erspartes, ihre Sicherheit und ihre Zukunftsperspektiven verloren haben. Teilweise auf halbgebauten Häusern stehen, die nicht mehr finanziert werden können. Für das dazugehörige Video wurde mit Laiendarstellern und Betroffenen gedreht. Die Namen wurden abgeändert, die Schicksale sind aber so passiert. „Die Familie könnte auch meine sein“, erzählt Oehl, „deren Sohn ist so alt wie meiner und das so eine Geschichte passieren kann, macht mich traurig und betroffen. Mir tut es unheimlich weh, dass so etwas überhaupt passieren kann.“

Gleich zwei Songs auf der EP wurden mit „Arbeit“ und „Arbeit II“ dem drängendsten Thema der Gesellschaft gewidmet. Die zunehmende Unterschicht und das beständige Aufbrechen der sogenannten Mittelklasse zeigen, dass sich Fleiß und harte Arbeit ohne Erbe und Protektion oft gar nicht mehr lohnen. „Aber das würde ich so nicht sagen, denn diese Einstellung nimmt doch wieder nur die Hoffnung“, entgegnet Oehl, „als Musiker merke ich, dass sich jede Mühe, jede Extrameile auszahlt. Aber natürlich - wir machen etwas, wo unsere Leidenschaft drinsteckt, das kann man nicht mit anderen Jobs vergleichen.“ Am Ende geht es doch eh wieder nur um Geld, Besitz und Reichtum - oder doch nicht? „Mit Geld kann man sein Glück messen, mit der großen Liebe ist das etwas abstrakter. Das Glück in der Liebe kann sein, zusammen den Alltag zu meistern und gemeinsam durch schwere Zeiten zu gehen. Dieses Bild von Glück lässt sich aber schwieriger zeichnen als mit einem Sportwagen durch Dubai zu fahren.“

Individueller denken
Es stellt sich freilich auch die Frage, ob in Zeiten der Digitalisierung und der schnellen Änderungen starre 40-Stunden-Prinzipe überhaupt noch zeitgemäß sind? „Ich finde es absurd, dass wir uns in einer Wohlstandsgesellschaft befinden, es uns eigentlich leisten könnten, die Arbeitsstunden etwas zurückzuschrauben, das aber nicht tun“, so Hjörleifsson. Für Oehl liegt ein großes Problem in der menschlichen Gewohnheitsspirale. „Was machen die Menschen mit ihrer Zeit, wenn sie nur mehr 30 Stunden arbeiten? Wir fliegen mehr in den Urlaub und konsumieren mehr. Es gab ja schon Experimente mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Die einen nutzen die Zeit, bilden sich weiter, studieren etwas oder werden Teil der Gesellschaft. Andere fallen in ein Loch, werden antriebslos und wissen nicht, was sie tun sollen. Man muss das Thema allgemein viel individueller und nicht so systembehaftet denken. Es gibt auch viele ,All-In-Menschen‘, die sich durch Arbeit definieren und die Arbeit lieben. Es spielen einfach zu viele Faktoren für eine einfache Antwort rein.“

„Keine Angst“ ist vorwiegend eine Botschaft an die Generation 50+. „Es herrscht in dieser Generation die Angst, dass einem der Wohlstand unter den Füßen weggezogen wird und man mit der modernen Welt nicht mehr schritthalten kann. Meine Mama sagte mir einmal, dass sie Greta Thunberg nerven würde und ich habe sie in gewisser Weise auch verstanden. Aber für sie bedeutet Greta nichts, es betrifft sie nicht. Es geht um die Zukunft. Alle haben vor Veränderungen Angst, außer sie sind dezidiert positiv ausgewiesen.“ Werte neu zu denken oder sich Gedanken zu machen. Dinge im Kleinen zu verändern, das würde reichen. „Gewisse Veränderungsvorschläge hat die Corona-Krise mit sich gebracht“, führt Hjörleifsson aus, „wir haben zum Beispiel den Wert einer Radtour nach Niederösterreich kennengelernt und wissen, dass ein guter Urlaub nicht zwingend ein Luxushotel in Dubai sein muss.“ Oehl ergänzt: „Es heißt immer, bis 50 schaut man nach vorne, ab 50 erinnert man sich lieber und sammelt die Momente der Vergangenheit. Meine Hoffnung wäre, dass Glück und Schönheit nicht immer nur mit Luxus und Geld zu tun haben.“

Eine Stimme geben
Ganz besonders ist die B-Seite der EP ausgefallen, die aus einem 20-minütigen Track besteht, in dem unterschiedlichste Menschen zu Wort kommen. „Wir haben auf Instagram die Frage aufgeworfen, ob die Leute bereit wären die Hälfte von einer Million Euro abzugeben, wenn sie die Summe erben würden. Daraus haben wir unterschiedlichste Statements zusammengefasst und mit Musik unterlegt. Wir haben gemerkt, wie heterogen die Ansichten und Meinungen sind - auch in unserer Bubble. Manche wollen nichts von dieser Million abgeben, andere überlegen, ob sie selbstständig spenden, weil sie dem Staat nicht vertrauen. Dann gab es noch jene, die die Hälfte als Steuern abgeben würden, weil sie in die Demokratie vertrauen, die so gesichert bleibt. Dass unsere Hörer so heterogen sind und es nicht die eine Wahrheit gibt, empfanden wir als extrem angenehm. Die eigentliche Diskussion hinter der Frage war: ist unser System das beste, das es gibt, oder gibt es noch andere Ideen? Wir sind mit dieser Idee aus unserer Komfortzone rausgegangen und haben viel über unterschiedliche Haltungen, Argumente und Sichtweisen von Menschen gelernt.“

Die Gedanken von Inklusion, Zusammenhalt und Hoffnung fördern Oehl über die bloße Musik hinaus. „Auf unserer Website gibt es den ,Club der guten Hoffnung‘, wo alle Leute willkommen sind, die sich davon angesprochen fühlen. Dort gibt es keinen Raum für Zynismus, sondern es wird ein Safe Space für Hoffnung. Es wird eine eigene Rubrik auf der Website geben und dazu noch eigene Whatsapp- und Telegram-Gruppen. Es gibt dafür keine Handlungsanweisungen oder Richtlinien, aber wir finden den Gedanken schön, eine Art von Sehnsuchtsort in einer Zeit der ständigen Unsicherheit anbieten zu können. Wir wollen damit nichts beweisen, sondern uns verbinden, kommunizieren und dazulernen.“ Oehl kämpfen gegen das Aufgeben und Resignieren, selbst wenn es manchmal schwierig ist. „Auch wenn es heute vielleicht schlecht ausschaut, es kann schnell wieder etwas Positives passieren. Jeder muss für sich einen Weg finden, um glücklich zu sein. Bei manchen ist das der Konsum und das ist zu einem gewissen Grad okay. Wichtig ist aber, den Kindern schon von klein auf die richtigen Werte mitzugeben.“

Community-Gedanke
Oehl wollen über diese EP und den Sommer hinaus eine politische und kapitalismuskritische Band bleiben, auch wenn dieses sechs Songs starke Werk thematisch klar heraussticht. „Eigentlich haben wir am zweiten Album gearbeitet, aber es kam dann so viel zusammen, dass wir die Themenbereiche Geld, Arbeit und Wirtschaft ausgelagert haben. Das Album selbst sollte, wenn alles klappt, möglichst früh 2022 kommen und wird definitiv wieder persönlicher ausfallen. Es geht dort dann um Männlichkeitsbegriffe oder die mentale Gesundheit. Dadurch werden wir aber nicht weniger politisch, nur verschieben sich die politischen Ansichten mehr in den persönlichen Bereich. Meine ganz persönliche Hoffnung ist, dass wir in unserem Bereich etwas erreichen können. Mir bedeutet der Community-Gedanke sehr viel mehr als das große Ganze.“

Livekonzerte
Oehl ist diesen Sommer und Herbst auch einige Male live zu sehen. Alle Termine, Karten und weitere Infos finden Sie unter www.oehlmusic.com.

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