Es hätte ihr persönliches Paradies werden können. Denn endlich fühlt sich die namenlose, bis dahin einsame junge Frau verstanden, aufgehoben und ernst genommen. Sie tritt nämlich einer rechtsextremen Partei bei, zieht nach Jena und steigt dort rasch in der Hierarchie auf. Laute Gitarrenmusik mit einschlägigen deutschen Texten und exzessiver Bierkonsum sind dabei die begleitenden, an der Oberfläche sichtbaren Symbole ihrer neuen Gemeinschaft. Doch die Frau erkennt zunehmend die darunter lauernde, weit weniger rosige Realität und beginnt zu kämpfen.
Suche nach dem Paradies
Gegen die an sich absolut männlich dominierte Szene, die sie nur als Feigenblatt benutzt, vor allem aber gegen sich selbst. Alica Sysoeva zeigt diese inneren Konflikte, die schließlich im Ausstieg aus der Partei gipfeln, mit schauspielerischer Wucht und Wandlungsfähigkeit. Doch auch jenseits der Partei, in einer Art von Freiheit, findet sie nicht das ersehnte Paradies, sondern lediglich ihre eigenen, kaum zu bewältigenden Abgründe.
Glaubwürdig dargestellte Verblendete
Die neue Komplexität, fast überbordend nach einer Zeit der Komplexitätsreduktion durch ein simples Wir-versus-die-bösen-Anderen-Schema, trifft sie mit voller Härte. Das wird beim Stück auch musikalisch und ästhetisch-formell thematisiert und gezeigt. Das bislang dunkle, hintergründige Grollen auf Musikebene weicht zuletzt einem zarten Folk-Song. Die von Sysoeva glaubwürdig verkörperte Härte und politische Kompromisslosigkeit, welche die Gemeinschaft und das „Wir-Gefühl“ über alles stellt, geht dadurch endgültig in ein Gefühl der Sanftheit und in den Status der Vereinzelung über. Sie ist wieder einsam und wird sich neu finden müssen. Bestenfalls jenseits der allzu einfachen Antworten.
Markus Stegmayr, Kronen Zeitung
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