Justiz-Versagen

Gericht zu langsam: Terrorverdächtiger enthaftet

Steiermark
12.05.2021 06:01

Ein handfester Justizskandal beschäftigt derzeit die Gerichte: Weil eine Frist nicht eingehalten wurde, musste ein Tschetschene aus der U-Haft entlassen werden - trotz Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Graz!

Als radikaler Islamist und gefährlich-charismatischer Prediger in Wiener und steirischen Moscheen brachte Mirsad O. Menschen dazu, in den Krieg nach Syrien zu ziehen und Unschuldige zu töten. Dafür wurde er im Februar 2018 in Graz zu 20 Jahren Haft verurteilt. Im Juli steht er nach einer Anklage der Staatsanwaltschaft Graz - eingebracht am 3. November 2020 - erneut vor Gericht, diesmal in Wien. Abermals wegen terroristischer Straftaten.

Mordverdächtiger enthaftet
Fünf weitere Verdächtige sitzen mit ihm auf der Anklagebank - vier Frauen und ein Tschetschene (32), der sich unter anderem wegen terroristischer und krimineller Vereinigung, staatsfeindlicher Verbindung und Ausbildung für terroristische Zwecke verantworten musste. Ermittelt wurde gegen ihn wegen Mordes und teils versuchten Mordes - er soll Menschen geköpft haben.

Ob er auftauchen wird, ist aber fraglich. Denn er wurde kürzlich enthaftet! Der unfassbare Grund: Die Zweijahresfrist - der Zeitpunkt ab der verhängten U-Haft bis zum spätestmöglichen Termin der Hauptverhandlung - wurde nicht eingehalten, was Hansjörg Bacher, Sprecher der Staatsanwaltschaft Graz, auf „Krone“-Anfrage bestätigt.

Akt lag mehrere Monate lang beim OGH
Fakt ist, dass der Akt binnen kurzer Zeit vom Grazer Gericht zum Oberlandesgericht Graz wanderte. Das OLG Graz geht davon aus, dass dieser kurz nach einem Entscheid vom 22. Dezember an den Obersten Gerichtshof (OGH) weitergeleitet wurde. Dort lag er mehrere Monate! Dabei sollte der OGH nur entscheiden, ob in Graz oder in Wien verhandelt wird. Die Zuständigkeit ging - nach kurzer Zwischenstation beim Oberlandesgericht Wien - ans Landesgericht Wien, wo man aber nur noch wenige Tage Zeit für eine fristgerechte Hauptverhandlung hatte - zu spät!

Die Konsequenz: Die Enthaftung des vom Verfassungsschutz als brandgefährlich eingestuften Mannes, der sich nun völlig frei in unserer Bundeshauptstadt bewegen kann. Eine Anfrage der „Krone“ an den OGH blieb bislang unbeantwortet.

Fakten

Die sogenannte Prozessordnung regelt den Ablauf eines Strafverfahrens, unter anderem auch zeitliche Abfolgen. Werden diese nicht eingehalten, drohen Konsequenzen.

Wie lange darf ein Tatverdächtiger in der Untersuchungshaft bleiben?
Ab dem Zeitpunkt der verhängten Untersuchungshaft dürfen maximal zwei Jahre bis zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vergehen. Im Fall jenes Tschetschenen wurde diese Frist überschritten. Die Konsequenz: die Entlassung aus der Haft.

Welche Konsequenzen könnte die Entlassung des Angeklagten nun haben?
Das hängt ganz vom Verhalten des 32-Jährigen ab. Insider schätzen ihn jedenfalls als brandgefährlich ein; als jemanden, der jederzeit wieder zu Straftaten fähig sein könnte. Ob er freiwillig zur Hauptverhandlung im Juli auftaucht, ist fraglich.

Wieso konnte diese notwendige Frist nicht eingehalten werden?
Noch sind die Gründe nicht ganz klar, der Oberste Gerichtshof hat noch keine Stellungnahme zum aktuellen Fall abgegeben. Möglich ist natürlich ein personeller Engpass, auf den der gesamte Justizkörper schon mehrmals aufmerksam gemacht hat.

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