Album „Young Heart“

Birdy: Das Vogerl fliegt jetzt in die Freiheit

Musik
29.04.2021 09:03

Fünf Jahre nach ihrem letzten Werk verarbeitet die Britin Birdy auf „Young Heart“ eine in die Brüche gegangene Beziehung, ihr endgültiges Erwachsenwerden und eine erste Rückschauf auf eine kometenhafte Karriere, die schon im Kindheitsalter begann. Dabei setzt sie auf Heartland-Folk und eine verletzliche Ursprünglichkeit. Im Interview erklärt uns die 24-Jährige, wie es dazu kam.

(Bild: kmm)

Jasmine van den Bogaerde war gerade einmal zwölf Jahre jung, als sie sich in England bei einem Talentwettbewerb mit ihrem eigenen Song gegen gut 10.000 Mitbewerber durchsetzte. Zwei Jahre später begeisterte sie mit dem berührenden Bon-Iver-Cover „Skinny Love“ und das 2011 erschienene, selbstbetitelte Debütalbum heimste zahlreiche Gold- und Platinauszeichnungen ein, ging in Australien und Neuseeland auf Platz eins und machte die damals 15-Jährige über Nacht endgültig weltberühmt. Es folgten zwei weitere, sehr starke Alben, eine Grammy-Nominierung, permanente Tourneen und ein Auftritt bei der Eröffnungszeremonie der Paralympics in London 2012. Birdy war aufgrund ihres enormen Talents und eines geschickt agierenden Managements keine normale Kindheit vergönnt, doch im Gegensatz zu einem Justin Bieber musste sie auch nicht mit dem Stigma der globalen Gesichtsprominenz fertigwerden. Bei der Pianistin mit dem Gespür für fein gesponnene Indie-Pop-Songs mit Folk-Touch stand immer die Musik im Mittelpunkt. Doch bis zum brandneuen Album „Young Heart“ zogen nicht nur fünf lange Jahre ins Land, sondern auch zahlreiche Umwälzungen.

Völlige Leere
Als Birdy sich vor etwa vier Jahren an die ersten Songs machte, ging gerade ihre Beziehung in die Brüche. Ausgelaugt von den ständigen Touren, privat verunsichert und allgemein „lost“, wurde die Britin mit dieser bunten Mischung unglücklicher Umstände langsam warm. „Ich hatte sehr lange ein gebrochenes Herz und in dieser Zeit war an Musik gar nicht zu denken“, reflektiert sie im Zoom-Talk mit der „Krone“, „ich musste erst einmal meinen Kopf freikriegen und merkte, dass ich das lange gar nicht wollte. Ich habe keine Musik gespielt und mir nicht mal Musik angehört und all das führte zu einer Schreibblockade, wie ich sie noch nicht kannte. Ich war mein ganzes Leben lang extrem produktiv und plötzlich, von einen auf den anderen Moment, komplett leer. Ich wusste nicht, ob ich das Projekt jemals in meinem Leben fertigkriegen würde und bekam eine echte Krise.“ Naheliegend, dass Birdy die Flucht nach vorn antrat und erst einmal aus den gewohnten Gefilden rausmusste.

Mit ihrer Schwester und einem Cousin ging es für drei Monate auf die Andamanen Inseln nach Indien. Weit weg von der Musik, von der ganzen Industrie und vom Druck der westlichen Welt, genossen die drei das Leben und fanden als Familie innig zusammen. „Es war eine wundervolle und notwendige Erfahrung“, resümiert sie, „mit Musik hatte die Zeit dort noch gar nichts zu tun. Es ging vor allem darum, die Dinge in meinem Kopf wieder zu ordnen.“ Von den Eindrücken, Erfahrungen, Gerüchen und Emotionen inspiriert ging es dann weiter ans andere Ende der Welt. Birdy nistete sich in ein Blockhaus im kalifornischen Topanga County ein. Dort, wo die Kunst- und Kulturszene floriert, sich Kreative aus allen artifiziellen Bereichen die Klinke in die Hand drücken und wundervolle Berge bei sternenklaren Nächten die unendlichen Welten der eigenen Vorstellungskraft erwecken. Zudem war die Metropole Los Angeles gleich ums Eck.

Von den Großen inspiriert
„In dieser Riesenstadt fühlte ich mich richtig klein“, lacht Birdy unschuldig, „dieses Gefühl der enormen Größe ging direkt in meine Songs. Das ist auch der Grund, warum ,Young Heart‘ so viel heller klingt als meine beiden letzten Alben. Weil mir Kalifornien dieses Gefühl direkt vor die Füße legte.“ „Young Heart“ ist nicht nur Birdys persönlichste, sondern auch verletzlichste und ursprünglichste Platte. Wo der direkte Vorgänger „Beautiful Lies“ noch mit Pomp und Trara um die zarten Klavierballaden huschte, lässt die 24-Jährige nun ihrer ganzen Freiheit und dem Herzschmerz freien Lauf. Inspiriert war Birdy nicht nur von Natur und Umgebung, sondern auch von mächtigen Frauen der US-Songwriter-Vergangenheit. Etta James, Nina Simone und vor allem Joni Mitchell, deren Kultwerk „Blue“ sich wie ein Tentakel in ihrem Kopf festsaugte. „Den Schreibstil habe ich mir von ihr abgeschaut, denn ihre Texte sind grandios“, kommt Birdy ins Schwärmen, „man hat immer das Gefühl, sie würde einem Freund etwas erzählen, weil die Texte auf Augenhöhe sind. Manches wirkt auf den ersten Blick banal, doch sie betrachtet Dinge einfach aus verschiedenen Blickwinkeln. Außerdem ist sie irrsinnig authentisch.“

Ehrlichkeit, Offenheit und Authentizität waren Birdy die wichtigsten Eckpfeiler auf „Young Heart“. Eine Reflektion ihrer ersten zehn Karrierejahre, die in die Brüche gegangene Beziehung und die steten Veränderungen der Welt und bei ihr selbst gießt sie in folkloristische Heartland-Songs, denen man den Kreativursprung aus den USA zu jeder Zeit anhört. „Es musste einfach der richtige Zeitpunkt kommen, um so ein Album schreiben zu können. Die Zuneigung zu den Gitarren der 60er- und 70er-Jahre und zu Mitchell oder Nick Drake begann aber schon vor meiner USA-Zeit. Der Aufenthalt dort hat die Nähe zu diesen großen Künstlern noch verstärkt.“ Richtung geformt hat sich das Werk dann aber erst in der Musikmetropole Nashville, wo Birdy mit ihrem Produzententeam an den Songs feilte und das Album schließlich zusammenstellte. Eine weitere Erfahrung, die prägend nachhallte. „Ich wusste nicht genau, was mich dort erwartet, aber als Musikerin fühlt man sich dort sofort wohl. Ich glaube jeder einzelne Mensch dort spielt zumindest ein Instrument“, lacht sie, „musizieren fühlt sich in Nashville nie wie Arbeit an. Das war mir neu und das kenne ich aus anderen Orten anders.“

Bewusst nicht perfekt
„Young Heart“ steht nicht zuletzt für die Reise Birdys und vor allem für ihre neugewonnene Selbstständigkeit. Erstmals war sie im Songwriting-Prozess völlig auf sich alleingestellt und ließ ihrem Herzen freien Lauf. „Ich bin einfach meinen Instinkten gefolgt und habe darauf vertraut, dass meine Ideen gut genug sind. Vor allem habe ich über die letzten Jahre gelernt, auf meine innere Stimme zu hören, was das Album sehr kathartisch macht.“ Mit dem Titelsong, den sie als erstes schrieb, verabschiedet sie sich metaphorisch von ihrem Ex-Partner - von da an war der Weg für ein freies, wild durch die Gegend galoppierendes Folk-Werk frei. „Ich habe lange mit mir gerungen, wie viel ich von mir preisgebe, weil die Songs sehr persönlich sind. ,Young Heart‘ etwa habe ich allein in meiner Hütte in Topanga aufgenommen. Der Song wurde natürlich nachgebessert, klingt aber bewusst nicht ganz perfekt, weil auch meine Stimmung zu dieser Zeit alles andere als perfekt war.“

Schon die bloßen Songtitel wie das von der Indien-Zeit inspirierte „Celestial Dancers“, „Little Blue“ oder „New Moon“ tragen etwas Märchenhaftes in sich. Nummern wie „Loneliness“, „Surrender“ oder „Deepest Lonely“ spielen bewusst auf die frei gewählte Einsamkeit an, die Birdy trotz Familie und Freunde brauchte, um wieder einen klaren Kopf zu kriegen. „Ich bin per se eine sehr introvertierte Person und brauche die Einsamkeit. Wenn ich zu viel Zeit bei zu vielen Leuten verbringe, kriege ich schnell Fluchtgedanken. Einsamkeit ist ein furchtbares Gefühl, wenn es erzwungen ist. Wenn du sie dir aber aussuchen kannst, dann ist dieses Verlorensein manchmal wunderschön.“ Das gebrochene Herz zieht sich wie ein roter Faden durch die einzelnen Songs. Es geht um Konflikte, Schicksale und Richtungsentscheidungen - und am Ende doch wieder um die Liebe. „Ich hatte bei diesem Album gar keine Wahl. Die Songs plätscherten einfach so aus mir raus.“

Neuausrichtung
So ist „Young Heart“ keine Neuerfindung, aber wohl eine Neuausrichtung einer Künstlerin, die trotz ihrer offensichtlichen Jugend schon wie ein alter Hase durch das Business springt. „Ich habe mich als Mensch in den letzten Jahren gewaltig verändert, aber dieser Prozess ist noch nicht zu Ende. Das verstärkte auf mich selbst hören und mir selbst vertrauen ist gar nicht so einfach, denn es gibt so viele Meinungen und Ansichten, wenn ein Album entsteht, dass man wirklich lernen muss, sich mit den eigenen Gedanken durchzusetzen. Ich wollte die Dinge bewusst anders angehen und anders machen. ,Young Heart‘ ist jetzt das richtige Album für eine lange Fahrt auf dem Highway.“ Birdy schließt aber keinesfalls aus, dass es in Zukunft nicht wieder in die andere Richtung gehen könnte. „Jetzt, wo dieses Kapitel für mich beendet ist, habe ich das Gefühl, dass ich etwas ganz anderes machen werde. Vielleicht etwas richtig Bombastisches.“

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