Strafmaß verkündet

Chodorkowski muss 14 Jahre in Haft bleiben

Ausland
30.12.2010 14:45
Kreml-Kritiker und Putin-Gegner Michail Chodorkowski muss insgesamt 14 Jahre in Haft bleiben - so lautet das Urteil des umstrittenen zweiten Prozesses gegen den ehemaligen Oligarchen, dem die Unterschlagung von mehreren Tonnen Erdöl sowie Geldwäsche zur Last gelegt werden. Der Prozess gegen Chodorkowski löste international heftige Kritik an der politisch manipulierten russischen Justiz aus. Chodorkowski unterstützte jahrelang die Opposition gegen Wladimir Putin.

Das Moskauer Gericht verurteilte den 47-Jährigen zusammen mit seinem mitangeklagten Geschäftspartner Platon Lebedew. In einem ersten Prozess waren beide bereits wegen Betrugs und Steuerhinterziehung zu einer Haftstrafe von acht Jahren verurteilt worden, die im kommenden Jahr abgelaufen wäre.

Die Haftstrafe von insgesamt 14 Jahren ergebe sich, weil das Urteil über die acht Jahre aus dem ersten Prozess angerechnet werde, sagte Richter Viktor Danilki am Donnerstag nach Angaben der Agentur Interfax in Moskau. Die Gesamtstrafe gilt vom Zeitpunkt der Festnahme 2003 an. Damit bleibt der Gegner von Regierungschef Putin vermutlich bis 2017 in Haft.

Das Urteil von Richter Danilkin sehen Kritiker weltweit als politisch motiviert. Chodorkowskis geplante Freilassung 2017 liegt lange nach der Präsidentschaftswahl von 2012. Nicht nur Chodorkowski ist überzeugt, dass sein größter Widersacher, der mögliche Präsidentschaftskandidat Putin, genau dies anstrebte.

Noch keine Reaktion aus dem Kreml
Während sich Putin nicht zum Urteil äußern wollte, kamen die ersten internationalen Reaktionen aus Deutschland: "Das Verfahren und das Strafmaß werfen erhebliche Fragen hinsichtlich der Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze auf", teilte der stellvertretende Regierungssprecher Christoph Steegmans in Berlin mit. Die Regierung sei über das Urteil besorgt und werde den weiteren Verlauf des Falles mit großer Aufmerksamkeit verfolgen.

Sich selbst treugeblieben
Trotz allem ist sich Russlands bekanntester Häftling nach mehr als sieben Jahren Haft im sibirischen Straflager treugeblieben. Er sei ungebrochen, wurde Chodorkowski nicht müde zu betonen. Äußerlich gelassen hatte der 47-Jährige monatelang in dem zweiten Verfahren wegen Unterschlagung und Geldwäsche in einem Moskauer Gerichtssaal in einem Käfig aus kugelsicherem Glas gesessen. Die Anschuldigungen verfolgte der in zweiter Ehe verheiratete Vater von vier Kindern meist mit einem ironischen Lächeln.

Bei seiner Festnahme 2003 war Chodorkowski im Volk als Vertreter des postsowjetischen Raubtierkapitalismus unbeliebt. Dass er in einem sibirischen Straflager gefangen gehalten wurde, entlockte vielen Russen nicht mehr als ein Schulterzucken. Doch mittlerweile ist der einst reichste Mann des Landes für viele ein Symbol für den Widerstand gegen die autoritäre Politik seines Erzfeindes Putin. Das Gesicht mit der randlosen Brille und den kurz geschorenen Haaren ziert schon längst Protestplakate.

Vom Kapitalisten zum Volkshelden
Unbeugsam kündigte Chodorkowski bereits vor der Verkündung des Strafmaßes an, er werde gegen einen Schuldspruch bis vor den Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ziehen. Eine Begnadigung durch Präsident Dmitri Medwedew lehnt er ab - denn dafür müsste Chodorkowski seine Schuld eingestehen. Stattdessen beharrt er auf seiner Unschuld. Aus dem Straflager nahe der chinesischen Grenze, wo er seine erste achtjährige Haft wegen Betrugs und Steuerhinterziehung verbüßt, hat Chodorkowski in schriftlichen Interviews mit westlichen Medien immer wieder das "autoritäre System Putins" angeprangert.

Für den amtierenden Kremlchef Medwedew findet Chodorkowski allerdings auch immer wieder warme Worte. "Persönlich sind mir Werte und Prioritäten, wie sie Medwedew vertritt, näher und verständlicher als die Putins", sagte der Milliardär etwa im Frühling. "Medwedew versucht, das System zu reformieren."

Eine Szene aus dem Jahr 2003 dürfte Chodorkowskis Schicksal besiegelt haben: Bei einem Treffen von Oligarchen im Kreml fordert der Yukos-Chef den damaligen Präsidenten Putin auf, der Korruption auch in den Reihen seiner Vertrauten ein Ende zu setzen. Mit eisiger Ruhe antwortete Putin: "Herr Chodorkowski, sind Sie sicher, dass Ihre Steuerangelegenheiten in Ordnung sind?"

Kritiker kaltstellen
Wenige Monate später wurden Chodorkowski und sein Geschäftspartner Platon Lebedew festgenommen, zwei Jahre später zu acht Jahren Haft verurteilt, weil sie den Gewinn aus dem Verkauf von Millionen Tonnen Öl nicht richtig versteuert haben sollen. Die später erhobenen neuen Vorwürfe, Chodorkowski und Lebedew hätten 218 Millionen Tonnen Öl abgezweigt und illegal weiterverkauft, deuteten einige Beobachter als Versuch, den Putin-Kritiker über den Urnengang 2012 hinaus kaltzustellen.

Chodorkowskis Karrieresturz könnte nicht tiefer sein. Lange Zeit galt sein Aufstieg vom früheren kommunistischen Jugendführer zum Banker und Ölmagnaten als Paradebeispiel für die unbegrenzten Möglichkeiten im postsowjetischen Russland. Bereits im Alter von 26 Jahren gründete der mit dem Verkauf von Computern zu Geld gekommene Jungunternehmer die Bank Meatep, den späteren Hauptanteilseigner von Yukos. Im Zuge einer dubiosen Privatisierung erlangte er die Kontrolle über Yukos und machte die Firma zum viertgrößten Öl- und Gasproduzenten der Welt.

"Meine Verurteilung wurde im Kreml beschlossen"
Zunehmend drängte der Yukos-Chef nun auch in die Machtsphäre des Staates ein: Er finanzierte Oppositionspolitiker und liebäugelte selbst mit dem Gang in die Politik. Damit aber verstieß er gegen eine eiserne Regel, die Putin bei seinem Amtsantritt als Präsident im Jahr 2000 mit den Oligarchen vereinbart hatte: Ihr könnt eure Reichtümer behalten, solange ihr euch aus der Politik heraushaltet.

"Meine Verurteilung wurde im Kreml beschlossen", sagte Chodorkowski bereits nach seinem ersten Prozess vor fünf Jahren. Im Kreml hat inzwischen Präsident Medwedew das Sagen - doch die politische Schlacht geht weiter. Putin verglich Chodorkowski Mitte Dezember mit dem US-Milliardenbetrüger Bernard Madoff und sagte, es sei davon auszugehen, dass das Gericht "die Verbrechen von Herrn Chodorkowski" bewiesen habe: "Jeder Dieb muss ins Gefängnis." Der einstige Ölmagnat schlug zurück und bedauerte in einem Zeitungsbeitrag den "einsamen" Regierungschef, der nur für Hunde wahre Gefühle aufbringen könne.

Machtkampf zwischen Putin und Medwedew
Zusätzlich kompliziert wurde die Gemengelage durch einen unausgesprochenen Machtkampf zwischen Medwedew und Putin. Dass der Präsident nach Putins Madoff-Vergleich vor Vorverurteilungen warnte, zeugt von den Spannungen mit seinem Regierungschef. Lange Zeit galt Medwedew, der für rechtsstaatliche Reformen eintritt, als bloßer Platzhalter im Kreml, bis Putin nach einer verfassungsmäßigen Pause ins Präsidentenamt zurückkehren kann. Doch inzwischen möchte Medwedew selbst wieder kandidieren - und hat seitdem Schwierigkeiten mit seinem Ministerpräsidenten. Das am Donnerstag verkündete Strafmaß gegen Chodorkowski liefert möglicherweise auch einen Hinweis darauf, wer in diesem Machtkampf derzeit die Oberhand hat.

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