Neue Ambulanz am AKH

40.000 Menschen leiden unter Corona-Langzeitfolgen

Wien
14.03.2021 11:55

Erschöpfung, Gliederschmerzen, Schlafstörungen, Atemnot: 40.000 Österreicher leiden auch viele Monate nach ihrer Covid-Erkrankung unter massiven Beschwerden. Das AKH Wien wird seinem Ruf als weltweite Top-Klinik gerecht und hat eine Spezialambulanz für Patienten mit Langzeitfolgen eröffnet. Dort wird u.a. an neuen Therapieformen geforscht. Die „Krone“ hat mit Spezialambulanz-Chefin, Dr. Mariann Gyöngyösi, gesprochen.

„Krone“: Frau Professor, wer darf zu Ihnen in die Spezialambulanz kommen?
Dr. Mariann Gyöngyösi: Patienten, die ein Long-Covid-Syndrom haben. Das heißt, anhaltende Beschwerden drei Monate nach der Infektion. Etwa 90 Prozent der bleibenden Symptome klingen innerhalb der ersten drei Monate nach Ablauf der Infektion ab. Daher ist es sinnvoll, diese Periode abzuwarten. Sollten Symptome länger bestehen, ist es sinnvoll, die vermutlich bleibenden Organschäden medizinisch abzuklären, zu diagnostizieren und therapieren. Der schwere Verlauf der Virusinfektion betraf vorwiegend ältere Patienten mit vielen Begleiterkrankungen. Bei diesen Patienten ist eine Vorstellung bei uns in der Ambulanz einen Monat nach der Infektion möglich, um ein Fortschreiten der kardialen Grunderkrankungen auszuschließen.

Betroffene sollen sich in der Herzambulanz (Telefonnummer 40400 46230) für Termine anmelden. Wie viele Patienten können Sie betreuen?
Derzeit planen wir fünf Patienten pro Woche – jeweils am Mittwoch ist die Untersuchung. Wir müssen generell darauf achten, dass die allgemeine Herzambulanz durch die Patientenbetreuung an unserer Spezialambulanz nicht überbelastet wird. Und, dass auch im Wartebereich immer der erforderliche Mindestabstand eingehalten werden kann.

Welche Untersuchungen werden hier gemacht?
Alle Patienten bekommen ein EKG, Blutdruckmessung, Temperaturmessung, eine ärztliche Untersuchung und Blutabnahme. Mit diesen Untersuchungen können wir akute Erkrankungen und eine eventuelle chronische Entzündungserkrankung ausschließen. Entsprechend der Symptomatik und der ärztlichen Befunde veranlassen wir dann weitere Untersuchungen, wie zum Beispiel Langzeit-EKG, Echokardiografie, psychologische Betreuung. Oder wir überweisen die Patienten an andere Ambulanzen bzw. an Rehab-Zentren.

Wie lange dauert ein Termin bei Ihnen?
Beim ersten Besuch muss man mit einem Zeitaufwand von einem Vormittag und eventuell mit einem zweiten Tag für die Befundbesprechung rechnen.

Braucht man als Betroffener eine Zuweisung?
Für die Erstbegutachtung braucht man eine Überweisung vom Hausarzt oder vom niedergelassenen Facharzt. So wollen wir sicherstellen, dass die Patienten mit den schwersten Symptomen am ehesten einen Platz erhalten.

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Mit den momentanen täglichen Neuinfektionen wächst die Zahl der neuen Long-Covid-Patienten um zirka 100 pro Tag.

Dr. Mariann Gyöngyösi

Die Untersuchung und anschließende Behandlung bezahlt die Krankenkasse?
Ja, richtig, genauso wie bei jedem zugewiesenen Patienten der Herzambulanz.

Welche Ziele verfolgt Ihre Long-Covid-Forschung?
Hauptziele der Studie sind, erstmals zu verstehen, warum die Symptome so lange andauern oder warum sie nach so langer Zeit nochmals auftreten können. Bei anderen Virusinfektionen, wie etwa der Influenza, bestehen persistierende Symptome nach Heilung bis zu vier bis sechs Wochen weiter. Bei dieser neuartigen Multiorgan-Erkrankung bestehen die verschiedenen Symptome manchmal über sechs bis neun Monate. Es ist noch nicht klar, wie wir es am besten diagnostizieren und therapieren können.

Zweitens: Basierend auf unseren Erfahrungen möchten wir eine individuelle Therapie anbieten. Drittens: Wir wollen erforschen, wie man dieser Erkrankung vorbeugen und eventuell schon vorher feststellen kann, welche Patienten ein Long-Covid-Syndrom entwickeln werden, um diese Menschen besser behandeln zu können. Weiters planen wir den Aufbau eines Long-Covid-Betreuungsnetzwerks mit folgenden Fächern: Kardiologie, Pulmologie, Radiologie, Psychologie, Psychiatrie, Arbeitsmedizin, Rehabilitation, Gesundheitsstatistik. Und wir möchten wissenschaftliche Erfahrungen im Bereich post-viraler Syndrome vor allem im Long-Covid-Segment generieren.

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Bei dieser neuartigen Multiorgan-Erkrankung bestehen die Symptome manchmal über sechs bis neun Monate.

Dr. Mariann Gyöngyösi

Über welchen Zeitraum ist die Studie angelegt?
Derzeit haben wir kein Zeitfenster. Es gibt in Österreich rund 40.000 Patienten mit Long-Covid-Syndrom. Diese Zahl wächst mit den momentanen täglichen Neuinfektionen um zirka 100 neue Patienten pro Tag. Nachdem wir in unserer Kapazität derzeit auf fünf Patienten pro Woche beschränkt sind, können wir unsere Ziele in einem absehbaren Zeitraum nicht erreichen. Um ein Diagnostik- und Behandlungsschema aufbauen zu können, bräuchten wir mehr Erfahrung mit mehr Patienten, die nur durch zusätzliche medizinische Ressourcen ermöglicht werden könnten.

Betroffene beklagen oft, dass sie nirgends einen Ansprechpartner für ihre Leiden finden. Hausärzte kennen sich mit Corona mitunter zu wenig aus. Fachärzte sind nur auf ihr kleines Fachgebiet spezialisiert. Wohin können sich Hilfe suchende Menschen mit ihrem Mix an unterschiedlichen Beschwerden wenden?
Es gibt bereits ambulante Post-Covid-Betreuung. Die MedUni Innsbruck führte eine studienbezogene Kontrolle von Patienten mit schwerer SARS-CoV-2-Infektion in einem längeren Follow-up durch. Die Abteilung für Pulmologie im AKH hat seit zirka einem dreiviertel Jahr eine Ambulanz, welche Patienten, die eine schwere Lungenentzündung durchgemacht haben, eine hervorragende Betreuung bietet. Es gibt Reha-Zentren etwa in Hochegg (NÖ), die Therme Wien oder die Psychosomatische Abteilung der Barmherzigen Schwestern in Wien betreuen auch Betroffene. Long-Covid kann eines oder mehrere Organe gleichzeitig betreffen. Unsere Spezialambulanz an der Medizinischen Universität Wien ist österreichweit aber die erste, welche die Komplexität dieser neuartigen Multiorgan-Erkrankung erforscht sowie die Patienten diagnostiziert und behandelt.

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