Interview-Serie

„Wir waren alle komplett orientierungslos“

Vorarlberg
26.10.2020 08:00

In seiner neuen Interviewserie „Das alte Tier ... was Corona mit uns macht“ spricht Robert Schneider mit ganz unterschiedlichen Menschen über „Corona“. Heute ist sein Gesprächspartner der Gastronom Michael „Mitch“ Baumann („Hubers“ in Götzis).

Was für ein Jahr! Herr Baumann, hatten Sie Angst um Ihre Gesundheit, als Corona zur Pandemie erklärt wurde?

Vor Corona selbst hatte ich keine Angst. Ich hatte Angst um meine Existenz. Das war viel schlimmer. Jeder, der selbstständig ist, wird das vermutlich bestätigen können. Man wusste ja praktisch gar nichts über Corona. Dennoch waren wir vorsichtig, besonders im Restaurant, das ich führe. Wenn ein Gast plötzlich zu husten anfing, läuteten schon mal die Alarmglocken. Hat der jetzt das Virus? Wie muss ich mich verhalten? Alle waren wir regelrecht überschwemmt von der allgemeinen Panikmache.

Die Gastronomie wurde besonders hart abgestraft. Wie hat sich der Lockdown vom 16. März unmittelbar auf Ihren Beruf ausgewirkt?

Mein Papa sagte immer: „Hör zu, Bub: Essen und trinken müssen die Leute immer. Das ist ein krisensicheres Gewerbe.“ Dachte ich auch. Doch was ist geschehen? Dieses Wochenende vergesse ich nie mehr. Binnen weniger Stunden prasselte eine Stornowelle auf mich ein. 90 Prozent der Reservierungen waren weg. Abends um acht war das Lokal praktisch leer, was ich so noch nie erlebt habe. Ich saß da wie gelähmt. Fassungslos. Dann holte ich die Schlüssel und machte den Laden dicht. In den folgenden Tagen und Wochen war ich in betrieblicher Hinsicht enorm gefordert. 21 Mitarbeiter, meine Frau und ich -alle komplett orientierungslos. „Chef, was geschieht mit den Lebensmitteln?“ „Werden wir jetzt entlassen?“ „Was ist überhaupt Kurzarbeit?“ Telefonate ohne Ende. Mit Kollegen in meiner Branche, mit dem Steuerberater, der auch nicht weiter wusste. Es gab überhaupt keine Informationen, sei es von der Wirtschaftskammer oder von der Politik. Es hieß nur Lockdown. Mehr nicht. Mir hat es wirklich den Boden unter den Füßen weggezogen.

Was hat das mit Ihnen rein privat gemacht?

Ich habe mir natürlich Sorgen um meine Eltern gemacht, Mama und Papa, die ja zur Risikogruppe zählten. Aber mein Papa blieb cool. Der lachte sogar und scherzte, er habe den 2. Weltkrieg überlebt, die Angst vor dem 3. Weltkrieg. Irgendwie hat mich das etwas getröstet.

Es gibt Menschen, die sagen, der Lockdown sei eine richtig tolle Zeit gewesen. Es war ja ein vollendet schönes Frühjahr

Wenn ich Arbeitnehmer bin und bekomme 80 oder 90 Prozent meines Lohnes, überbrücke ich vielleicht diese Zeit gelassener und kann mir überlegen, welche Flasche Wein ich am Abend öffne. Als Unternehmer sieht das schon anders aus. Nein, ich habe diese Zeit wirklich nicht genossen. Ich habe mich abgekapselt und 14 Tage nichts anderes getan als telefonieren, fernsehen, essen, schlafen, telefonieren. Ich war im Corona-Modus. Dann habe ich mich aufgerafft. Ich kaufte ein E-Bike, ging raus, um auf andere Gedanken zu kommen. Rückblickend weiß ich nicht, was ich elf Wochen lang getan habe, außer in dem Chaos zu funktionieren.

Die Geselligkeit, das Miteinander, das Gemeinsam-Feiern sind fast Tabu-Begriffe geworden. Ist das nicht der Todesstoß für Sie als Gastronom?

Das weiß ich nicht, aber ich sehe, welche Berufssparten gerade in meinem Metier auf der Strecke bleiben. Das sind die ganzen Außendienstler. Der Kaffee-Vertreter, der Bier- oder Weinhändler. Die braucht es alle nicht mehr. Wir haben jetzt gelernt, das alles online zu erledigen, und das ist schade, weil das Persönliche verloren geht. Unsere Sparte wird nun auf Effizienz getrimmt. Viele meiner Kollegen sagen: „Was brauche ich eine große Karte? Es geht auch schlanker.“ Mitarbeiter- und Wareneinsatz werden zurückgestuft. Aber wo führt diese Effizienz um jeden Preis hin? Gewisse Nebengeräusche sind in unserem Gewerbe einfach wichtig. Damit meine ich die Sperrstunde. Es kann nicht sein, dass ich Sie bis 22 Uhr zur Konsumation nötigen muss und dann hinauskomplementiere. Eine gewisse Nachbetreuung ist doch selbstverständlich. Soll der Gast nur noch verzehren und dann so schnell wie möglich gehen? Ich arbeite nicht an einer Werkbank. Ich habe es mit Menschen zu tun, die mir ihre Geschichten erzählen. Mein Restaurant ist auch ein Stück Heimat für meine Gäste.

Hat die Politik in Ihren Augen versagt?

Für die politisch Verantwortlichenwar das natürlich wie für alle Neuland. Die Politiker glaubten, sie hätten alles im Griff. Sie setzten Maßnahmen, aber die Maßnahmen holten sie ein. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Man wollte um jeden Preis die private Clusterbildung vermeiden, sprich das Feiern daheim. Der Schuss ging nach hinten los. Ich höre das jeden Abend beim Abkassieren. Die Gäste maulen nicht. Sie sind unglaublich diszipliniert. Aber sie sagen: „Komm, gehen wir noch zu mir nachhause.“ Wäre die Sperrstunde um 23 Uhr oder 24 Uhr, wären sie einfach zu müde. Diese Erfahrung mache ich.

Gibt es in dieser Zeit der Verunsicherung und Angst noch so etwas wie Trost?

Trost ist ein großes Wort. Wir alle sind in dieser Krise nur Passagiere. Mehr nicht.

So können Sie mich nicht gehen lassen...

Ich erzähl’ Ihnen was rein Privates. Ob es ein Trost ist, weiß ich nicht. Als ich das „Hubers“ in Götzis übernommen habe, wollte ich, dass die Leute ins „Hubers“ gehen und nicht zum „Mitch“. Das ist mir nicht gelungen. Jetzt kapiere ich erst, dass es in Wirklichkeit mein großes Glück war, Wirt zu bleiben, Zuhörer, Ansprechpartner und nicht reiner Geschäftsmann. Hier kommt ja alles her, vom Krippenbauverein bis zum Männerchor bis zu Schieß-mich-tot. Die wollen einfach beisammen sein auf ein Bier, eine Brezel und reden. Das sind Rituale, die sie seit dreißig Jahren pflegen. Das will man diesen Menschen und auch mir jetzt wegnehmen. Das „Hubers“ ist zwar mein Arbeitsplatz, aber es ist auch mein Daheim. Seit 23 Jahren entscheide ich, wen ich einstelle, wen ich entlasse, wie lange ich geöffnet habe, was ich auf die Karte setze, welches Konzept ich fahre, und auf einmal heißt es: Du sperrst jetzt die Tür zu. Aber das lasse ich nicht zu. Ich werde kämpfen.

Zur Person: Michael „Mitch“ Baumann, 49 Jahre, glücklich verheiratet , zwei Kinder. Seit 23 Jahren selbstständig. Im Doppelberuf Restaurantfachmann und Koch, zudem Lehrlingsausbilder.

Interview: Robert Schneider

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