Ein Niederösterreicher sollte im März an der Hüfte operiert werden. Aber der Eingriff wurde wegen des Lockdowns um Wochen verschoben - und weil Ärzte den Zustand des Mannes nicht als dramatisch einschätzten. „Das war sein Todesurteil“, klagt seine Ehefrau.
Seine Schuhe stehen noch immer im Vorraum, im Badezimmer seine Toiletteartikel. Und in den Kästen hängt sein Gewand. „Ich schaffe es einfach nicht, mich von den Dingen, die Werner gehörten, zu trennen“, schluchzt Rosi Hofstötter, „denn solange sie hier, bei mir, sind - habe ich irgendwie das Gefühl, mein Mann wäre gar nicht tot und das Geschehene bloß ein schlimmer Albtraum.“
„Vor einem Jahr war er noch so lebensfroh“
Die 66-Jährige sitzt jetzt auf einer Ledercouch in ihrem wunderschönen Haus in Sankt Peter in der Au (NÖ), auf dem Schoß Katze „Daisy“, „die Werner so sehr geliebt hat“. Unaufhörlich laufen Tränen aus den Augen der Frau, als sie über ihr Drama zu reden beginnt, „das für mich nicht vorhersehbar gewesen ist“. Und als wollte sie das Gesagte beweisen, zieht sie ein Foto aus ihrer Westentasche. Das Bild zeigt ihren Mann, er steht lachend vor einer Bergbauernhütte. „Die Aufnahme wurde vor genau einem Jahr gemacht, bei einem Urlaub in Osttirol.“
„So oft“, erinnert sich Rosi Hofstötter, „sind Werner und ich gereist, durch Deutschland, Italien, die Schweiz, Österreich.“ Seit das Ehepaar vor etwa zehn Jahren in Pension gegangen war. Nach einem arbeitsreichen Leben als Kaufleute, „und wir hatten ja noch so viel vor ...“
Frau Hofstötter, was war der Beginn der Tragödie? „2019 wurde mein Mann an der Hüfte operiert, im Jänner 2020 bekam er Schmerzen in diesem Bereich.“ Also fuhr das Ehepaar in das Ordensklinikum Linz, wo einst der Eingriff stattgefunden hatte. Immer und immer wieder. Zunächst hätten dort an dem 76-Jährigen „lediglich äußerliche Untersuchungen stattgefunden, danach hieß es stets, nichts wäre bei ihm auffällig. Erst bei seinem vierten Besuch im Spital wurde endlich eine MRT gemacht.“
Selbst als Werner bereits an unerträglichen Schmerzen litt, wurde ihm eine Spitalsaufnahme verweigert.
Rosi Hofstötter
Diagnose: Werner Hofstötters Hüftpfanne sei locker, eine zweite OP angebracht. Ein Termin dafür wurde veranlasst, für den 16. März, „zu dieser Zeit kam es jedoch gerade zu dem Lockdown, und der Krankenhausaufenthalt wurde um 14 Tage verschoben“. Kurz davor - ein Anruf aus dem Ordensklinikum: Wegen Corona könne der Eingriff auch diesmal nicht durchgeführt werden.
Der 76-Jährige litt da bereits „unter unerträglichen Schmerzen, er saß mittlerweile im Rollstuhl“. Der Rat der Ärzte: sein Leid mit Opiaten zu bekämpfen. „Aber selbst diese schweren Medikamente verbesserten seinen Zustand kaum.“ „Unzählige Male“, erinnert sich die Niederösterreicherin, „haben mein Mann und ich im Spital angerufen und darum gebettelt, ihn endlich aufzunehmen.“ Lange Zeit hindurch vergeblich.
13 Operationen in vier Monaten
Am 23. April kam es schließlich zu dem Eingriff. Bei dem rasch klar wurde: Die Hüftpfanne hatte sich nicht „bloß“ verschoben, sondern sie war auch von Bakterien befallen. Weitere zwölf OPs sind in der Folge notwendig gewesen, „unter Vollnarkose, und laufend ging es meinem Mann schlechter“. Körperlich - und psychisch. „Letztlich bekam er eine Lungenentzündung und musste auf die Intensivstation verlegt werden.“
Dass er davor mit einem mit Covid infizierten Pfleger Kontakt hatte, sei - laut Krankenbefund - nicht mit seiner Infektion in Zusammenhang gestanden: „Die Tests bei meinem Mann waren angeblich negativ.“
Das Ausmaß von Werner Hofstötters Leiden wurde leider nicht rechtzeitig erkannt. Seiner Witwe stehen daher Entschädigungszahlungen zu. Die sie - wie ich von ihr weiß - an gemeinnützige Organisationen spenden will.
Der renommierte Linzer Anwalt Andreas Mauhart
Werner Hofstötter starb am 28. August an multiplem Organversagen: „In den Stunden vor seinem Tod“, so seine Frau, „war ich bei ihm, er wollte nicht mehr leben, und er erklärte mir genau, wie sein Begräbnis stattfinden sollte.“ Die 66-Jährige geht jetzt jeden Tag zum Grab ihres Mannes: „Ich rede dort mit ihm. Und stelle ihm die Frage, auf die ich selbst keine Antwort weiß: ,Warum?’“
„Kollateralschäden“ im Lockdown
Am 6. September berichtete die „Krone“ in einer großen Reportage über „Corona und seine schlimmen Folgen“. Über - mitunter massive - gesundheitliche Probleme, mit welchen einst Infizierte auch Monate danach noch zu kämpfen haben. Und über durch den Lockdown ausgelöste „Kollateralschäden“. Also über Menschen, die - trotz schwerer Leiden - damals unzureichend behandelt wurden. Weil viele Krankenhausbetten für Covid-Patienten reserviert waren. Vonseiten der Gesundheitsbehörden wird allerdings betont, dass dringend notwendige Operationen zu jeder Zeit durchgeführt wurden.
Im Fall von Werner Hofstötter dürfte das möglicherweise nicht so gewesen sein. Das Ordensklinikum Linz verweist nun in einer Stellungnahme zu seinem Tod auf seine „schweren Grunderkrankungen“. „Mein Mann hatte bloß ein wenig Bluthochdruck und Übergewicht“, sagt seine Frau.
Martina Prewein, Kronen Zeitung
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