Der Auftritt des 68-Jährigen galt gemeinhin als Überraschung. Weil gegen ihn ein konkretes Bedrohungsszenario vorliegen soll, war seine Anreise im Vorfeld von der Justiz nicht bekannt gegeben worden. Von einem Großaufgebot an Wega-Beamten bewacht, betrat der Guru knapp nach 13 Uhr den Verhandlungssaal. Unter den Zuhörern befanden sich zahlreiche Anhänger der Ravidass-Gemeinschaft, die sich beim Eintritt ihres ranghohen Würdenträgers von ihren Sitzen erhoben. Der 68-Jährige segnete die Anwesenden, ehe er sich mühsam zum Zeugenstand schleppte.
Von strenggläubigen Sikhs zu Zielscheiben erwählt
Die beiden Gurus hätten in dem Ravidass-Tempel eine religiöse Feier leiten sollen und wurden laut Anklage von strenggläubigen Sikhs zu Zielscheiben eines religiös motivierten Attentats auserkoren, weil die Sikh neben dem "Guru Granth Sahib", ihrem Heiligen Buch, keine Konkurrenz dulden. Demgegenüber verneigen sich Anhänger der Ravidass-Gemeinschaft bei religiösen Zeremonien sowohl vor dem Heiligen Buch als auch vor anwesenden Gurus.
Inhaltlich dürfte der Auftritt des Gurus, der unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen ablief - allein um die Anklagebank hatten sich knapp ein Dutzend Uniformierte gruppiert, vier Personenschützer schirmten den Zeugenstand nach allen Seiten ab -, fürs Verfahren kaum Aufschlüsse erbracht haben. Sant Niranjan Dass machte einen angeschlagenen Eindruck und beantwortete zahlreiche Fragen - so nach seinem Geburtsdatum oder nach Differenzen zwischen seiner Glaubensrichtung und den Regeln der Sikh - mit "Ich weiß es nicht".
"Ich habe Schmerzen. Ich nehme Medikamente"
"Wir haben gebetet. Kurze Zeit später sind Schüsse gefallen. Ich bin ohnmächtig geworden. Ich weiß gar nicht, was passiert ist", erinnerte er sich an die Situation in dem Tempel. Ein Mann habe sich ihm unmittelbar vor den Schüssen angenähert: "Ich habe geglaubt, dass er sich verbeugen wollte. Da hat er sich aufgestellt und im Stehen geschossen." Der 68-Jährige war - nachdem er im Spital versorgt worden war - zurück nach Indien geflogen. Er reiste nun extra an, um seine Aussage zu machen. Auf die Frage, ob er noch an Beschwerden leide, erwiderte der Guru: "Ich habe Schmerzen. Ich kann nicht längere Zeit gehen. Ich nehme Medikamente."
Von den Angeklagten - der mutmaßliche Haupttäter Jaspal S. (36) soll die Schüsse abgegeben, fünf Mitangeklagte ihn insofern unterstützt haben, als sie mit Dolchen und Fäusten auf gläubige Ravidass losgingen, um ihm die Flucht aus dem Tempel zu ermöglichen - erkannte Sant Niranjan Dass keinen wieder. Er konnte auch keine Personenbeschreibung des Angreifers und seiner Helfer abgeben. Nach rund 30 Minuten war die Einvernahme beendet.
Warnung oder keine Warnung?
Ergiebiger - auch weil überraschend - war dagegen bereits zuvor die Einvernahme des Obmannes des Sikk-Tempels in der Langobardenstraße, Gurbhej Singh, verlaufen. Bisher hatte es geheißen, dass dieser den Ravidass-Obmann wenige Tage vor dem geplanten Auftritt der beiden Gurus telefonisch gewarnt hätte. Man möge dafür Sorge tragen, dass das Heilige Buch sich nicht im selben Raum wie die Gurus befinde.
Im Zeugenstand wollte Singh von keiner Warnung mehr sprechen. Er habe vielmehr befürchtet, seinen Glaubensbrüdern könne in dem - für alle Interessierten zugänglichen - Ravidass-Tempel etwas zustoßen. Ihm wären Stimmen zu Ohren gekommen, denen zufolge angeblich geplant war, am 24. Mai anwesenden Sikh "den Bart auszureißen", sagte der Zeuge. Folglich habe er angerufen und seinen Gesprächspartner bei dieser Gelegenheit daran erinnert, dass es seine Pflicht sei, darauf aufzupassen, dass sich in Gegenwart des Heiligen Buchs niemand vor den Gurus verbeugt.
Zeuge mit erschüttertem Gedächtnis
Der Zeuge wollte - im Unterschied zu seinen bisherigen Angaben - auch den mutmaßlichen Haupttäter Jaspal S., der in der Langobardenstraße öfters gebetet haben soll, nicht mehr wiedererkennen. Dem 35-jährigen Sikh wird Mord und zweifacher Mordversuch vorgeworfen. Er hatte auch den Prediger Kishan Pal angeschossen, der sich noch schützend vor die niedergeschossenen Gurus stellen wollte. Fünf Glaubensbrüdern im Alter zwischen 29 und 46 Jahren wird Beitragstäterschaft zum Mordanschlag und versuchte absichtlich schwere Körperverletzung angelastet.
Der Prozess, in dem es für die Angeklagten um zehn bis 20 Jahre oder lebenslange Haft geht, wird am kommenden Montag fortgesetzt.
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