Nach Terror in Halle

Grazer Juden und ihr Leben mit der Angst

Steiermark
11.10.2019 06:00

Die jüdische Gemeinde in der Steiermark ist mit 200 Mitgliedern die zweitgrößte Österreichs. Nach dem Nazi-Terror im deutschen Halle wurden die Sicherheitsvorkehrungen noch einmal erhöht. Schon bisher fanden Gottesdienste nur unter dem Schutz der Polizei statt.

Bedrückte Stimmung auch bei der jüdischen Gemeinde in der steirischen Landeshauptstadt. „Die persönliche Betroffenheit bei uns allen ist enorm - eine unfassbare Tat, die da in Deutschland passiert ist“, sagt Elie Rosen, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Graz, am Tag nach der Wahnsinnstat im deutschen Halle mit leiser Stimme.

Mit rund 200 Mitgliedern ist die steirische Gemeinde die zweitgrößte Österreichs. Ein Großteil von ihnen fand sich zu den Jom-Kippur-Feierlichkeiten (von Dienstag auf Mittwoch) in der Grazer Synagoge ein - unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen. „Leider führt uns dieser Terrorakt schmerzhaft vor Augen, dass diese Sicherheitsvorkehrungen unumgänglich sind. Ich hoffe, dass sich die Frage nach ihrer Notwendigkeit dadurch selbst beantwortet hat“, fährt Rosen fort.

Sicherheitsmaßnahmen „drastisch erhöht“
So wurden schon bisher sämtliche jüdische Einrichtungen in der Steiermark, wie etwa der Friedhof in Graz-Wetzelsdorf, rund um die Uhr überwacht. „Und natürlich werden wir die Sicherheitsmaßnahmen nach den aktuellen Vorfällen drastisch erhöhen - ich bitte aber um Verständnis, dass wir aus polizeitaktischen Gründen keine genaueren Informationen dazu geben können“, sagt Fritz Grundnig von der Landespolizeidirektion Steiermark.

„Man lernt mit der Bedrohung zu leben“
Selbst jüdische Gottesdienste zum Sabbat sind in Graz ohne Polizeischutz nicht möglich. „Jeder von uns wurde wohl schon einmal Opfer von antisemitischen Angriffen, sei es schriftlich oder auch persönlich. Aber mit der Zeit lernt man damit zu leben, wenn einen natürlich auch immer wieder die Angst einholt - aber das ist wohl menschlich“, ist Rosen ehrlich.

Seit 2016 steht er der Gemeinde in Graz vor und möchte betonen, „dass Österreich für uns ein vergleichsweise sicheres Land ist“. Dass der Antisemitismus aber auch hierzulande auf dem Vormarsch ist, dessen ist er sich natürlich bewusst. „

Allerdings haben wir es mit einer anderen Form des Antisemitismus zu tun, als in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Heute ist es ein immer stärker werdender israelischer Antisemitismus - eine Dämonisierung des Judentums, speziell im arabischen Raum. Die Legitimation des Staates Israel wird immer lauter angezweifelt. Und leider richteten sich auch in der jüngeren Vergangenheit der Großteil der UN-Resolutionen gegen Israel und eben nicht gegen arabische Staaten“, ist Rosen überzeugt.

Islamistischer Terror als größte Gefahr
Was der Präsident der Kultusgemeinde nicht offen ausspricht, hören wir von anderen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde - nämlich, dass sie in Österreich weniger die Gefahr eines rechtsradikalen Angriffs sehen als vielmehr einen mit islamistischem Hintergrund. Laut dem im Sommer dieses Jahres präsentierten Verfassungsschutzbericht ist der islamistische Terror nach wie vor die größte Bedrohung für die Sicherheit in Österreich.

Antisemitismus steigt
Exakt 1075 rechtsextremistisch motivierte Taten gab es 2018, bei der Internet-Meldestelle „NS-Wiederbetätigung“ langten im Vorjahr 1140 rechtlich relevante Anzeigen ein - und laut Forum gegen Antisemitismus haben sich die antisemitischen Vorfälle zwischen 2014 und 2017 nahezu verdoppelt und lagen zuletzt bei 503 Vorfällen pro Jahr.

So weit die graue Statistik. „Fakt ist, dass Antisemitismus natürlich auch in rechtsextremen Kreisen nach wie vor existent ist“, stellt Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) klar.

„Klar ist aber auch, dass es in Österreich nicht so stark vernetzte Kreise wie in Deutschland gibt.“ Die einzige aktive Sektion des Neonazi-Netzwerks „Blood and Honour“ findet sich in Vorarlberg. „Dennoch ist seit dem Jahr 2015 auch in Österreich in gewissen Kreisen eine gestiegene Bereitschaft zur Militarisierung erkennbar - quasi zur Vorbereitung auf den Ernstfall.“

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