Für & Wider zum Brexit
Werden wir die Briten in der EU vermissen?
„Was haben die Briten je für uns getan?“ könnte man in Anlehnung des berühmten Sketches der britischen Comedytruppe Monty Python fragen. Im Zuge des Brexit im März 2019 und nach einer zweijährigen Übergangsphase werden die Briten also definitiv die EU verlassen. Aber: Werden wir sie vermissen? Warum? Und warum eigentlich nicht?
Umwelt- und Klimapolitik: „Viele Ideen der Briten sind in das Emissionshandelssystem (ETS) geflossen“, sagt Karin Kadenbach (SPÖ), Mitglied des Ausschusses für Umweltfragen im EU-Parlament. Energie- und Klimafragen waren zentrale Bestandteile der britischen Europapolitik - und hatten argumentativen Einfluss auf Problemkinder wie Slowenien und Polen. 33 der 50 dreckigsten Städte Europas liegen in Polen. Die Briten überzeugten in den Ausschüssen stets argumentativ, vollführten keine „Drüberfahrpolitik“, wie Abgeordnete berichten.
Was Wirkung zeigte: Polen gibt für ein Programm gegen Verschmutzung mehr als sechs Milliarden Euro aus. Für die Klimaschutzpolitik ist der Brexit also ein Nachteil, Experten befürchten einen „Braindrain“: Der Austausch auch auf Forschungs- und Entwicklungsebene, sprich Universitäten und Labors, wird erschwert. In Experten-Ausschüssen werden die Briten fehlen.
Sicherheitspolitik: Kurz gesagt: Die EU verliert mit Großbritannien ein ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat und ihre größte Armee. 17 EU-Missionen sind im Laufen, sechs davon sind militärischer Natur, wo britische Soldaten zentrale Positionen beziehen. Aus österreichischer Sicht ist der Brexit insofern bitter, da Großbritannien im Gegensatz zu Frankreich und Deutschland der Sicherheit und Stabilität auf dem Westbalkan eine hohe Priorität zugestand.
Im Kampf gegen illegale Migration wollen die Briten verlässlicher Partner bleiben. „Die EU tut gut daran, Großbritannien in Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht als ordinäres Drittland zu behandeln“, schreibt Paola Satori vom European Council on Foreign Relations. Der Nachteil für die Briten: Am in der Vorwoche von allen EU-Verteidigungsministern beschlossenen 14-Milliarden-Förderkuchen werden sie nicht mehr mitnaschen.
Umgekehrt konnten die Briten sich nie mit dem Konzept der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU anfreunden. Im März 2018 stiegen sie aus der gemeinsamen EU-Armee aus, auch Ideen wie ein gemeinsames Verteidigungsbudget blockierten sie aus Treue zur NATO. Eine Rolle, die nach dem Brexit die Niederlande und Polen wegen guter Beziehungen zu den USA und Schweden aus Gründen der Rüstungspolitik übernehmen werden.
Es gibt also durchaus triftige Gründe, warum wir die Briten nach dem Brexit in der EU vermissen werden.
... und warum wir die Briten nicht vermissen werden
Die Briten leisteten sich in 45 Jahren EU-Mitgliedschaft einige Extrawürste. Den Vorwurf der „Rosinenpickerei“ müssen sich die Briten schon seit ihrem EU-Beitritt 1973 gefallen lassen. Warum wir sie deswegen nicht vermissen werden? Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik blockieren sie aus einem antiquierten Selbstbild einer Weltmacht heraus. Die sie nicht mehr sind.
Im Vergleich zu allen anderen EU-Mitgliedern wurden den Briten zwei Drittel des EU-Beitrags erlassen. Im Maastricht-Vertrag von 1992 lässt sich Großbritannien gewährleisten, der gemeinsamen Währung, also dem Euro, fernzubleiben. Dies ist auch ein Grund, warum sich die Briten - anders als zum Beispiel aktuell die Italiener - keine Sorgen um ihr Budgetdefizit machen müssen. Der Fiskalpakt gilt für die Briten nicht.
Die Lissabonner Verträge von 2009 gewähren es den Briten, sich auszusuchen, wo sie mitmachen wollen und wo nicht. Gemeinsame Asylpolitik? Eher nicht. Gerechte Flüchtlingsumverteilung? Vielleicht später. Und natürlich: die Energiepolitik. Großbritannien setzt noch immer großteils auf Atomstrom. Österreich hat kürzlich auch gegen den Ausbau des Reaktors in Hinkley Point geklagt. Es gibt also durchaus Gründe, warum wir die Briten nicht vermissen werden.
Clemens Zavarsky, Kronen Zeitung
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