NATO-Gipfel

Staaten einigen sich auf gemeinsamen Raketenschild

Ausland
20.11.2010 12:20
Am Freitagabend haben die Staats- und Regierungschefs der 28 NATO-Mitglieder in Lissabon das neue strategische Konzept abgesegnet, mit dem sich die Allianz gegen neuartige Gefahren wappnen will, etwa Attacken aus dem Internet oder Terrorismus. Ebenfalls beschlossen wurde der Aufbau einer bündniseigenen Raketenabwehr. Auch Russland ist zur Beteiligung eingeladen worden. Sollte dieses Bündnis mit Moskau tatsächlich zustandekommen, würde das einen historischen Wendepunkt in der Geschichte der Ost-West-Beziehungen bedeuten.

"Mehr als 30 Länder haben Raketentechnik - wir beabsichtigen, ein Raketenabwehrsystem als Schutz gegen solche Bedrohungen zu bauen", sagte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in Lissabon. Das System wird vornehmlich mit Material und auf Kosten der USA aufgebaut. Es soll aus see- und landgestützten Abwehrraketen im Mittelmeer beziehungsweise in Osteuropa sowie aus Radaranlagen bestehen.

Der Raketenschild ist ein Schlüsselelement der neuen Strategie. "Ich bin erfreut, dass wir uns zum ersten Mal darauf verständigt haben, eine Raketenabwehr zu entwickeln, die stark genug ist, die Bevölkerung und Gebiete aller europäischen NATO-Mitglieder sowie der USA abzudecken", sagte US-Präsident Barack Obama.

Das System richtet sich vor allem gegen mögliche Angriffe aus dem Iran. Das NATO-Mitglied Türkei setzte allerdings durch, dass Teheran in der Strategie nicht namentlich erwähnt wird. Der Raketenschild soll sich über das gesamte Territorium der NATO erstrecken. In einem ersten Schritt sollen bis 2020 die bestehenden Abwehrfähigkeiten der Mitgliedsstaaten zu einem gemeinsamen Gefechtsstand verknüpft werden. Parallel rüsten sich die Bündnispartner mit Abfangbatterien aus. Auch von Kriegsschiffen sollen bei einem Angriff Abwehrraketen starten.

Russland soll mitziehen
Bei der Raketenabwehr bietet die NATO Russland eine Zusammenarbeit an. Am Samstag beraten die 28 NATO-Staaten darüber mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew. Die Pläne für den Schutzschild sorgten lange Zeit für Spannungen zwischen den USA und Russland. Durch den neuen Brückenschlag mit Moskau soll die Eiszeit zwischen NATO und Russland endgültig überwunden werden. Diplomaten und Militärs sprechen bereits von einem neuen "Sicherheitssystem von Vancouver bis Wladiwostok". Die Beziehungen der NATO zu Moskau waren seit dem russischen Feldzug in Georgien 2008 stark belastet. Vor allem Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel hofft, dass es zu einer engen Zusammenarbeit bei der neuen Raketenabwehr für Europa kommt.

Zudem steht eine wichtige Entscheidung über Afghanistan an. Nach neun Jahren Krieg wollen die Verbündeten den Rückzug einläuten. Bereits Anfang des kommenden Jahres soll die schrittweise Übertragung der Verantwortung an die einheimischen Sicherheitskräfte beginnen. Ende 2014 soll dieser Prozess beendet sein (siehe Infobox).

Obama ist zuversichtlich
Obamas Vorgänger George W. Bush hatte bereits Abfangraketen in Osteuropa stationieren wollen. Moskau hatte sich dadurch in seiner Sicherheit bedroht gefühlt. Obama verwarf die Pläne und kündigte stattdessen ein System an, an dem alle NATO-Staaten und auch Russland beteiligt sein sollen. Nach der Einigung in Lissabon sagte Obama: "Die Fortschritte, die wir hier heute bereits erzielt haben, machen mich zuversichtlich, dass das ein Meilenstein-Gipfel wird." Die Republikaner im US-Senat rief er auf, die Ratifizierung des START-Abrüstungsabkommens mit Russland nicht zu blockieren.

Die NATO-Staaten setzten zudem sich erstmals in allgemeiner Form eine atomwaffenfreie Welt zum Ziel und schlossen sich damit der Vision an, die US-Präsident Barack Obama im vergangenen Jahr im April in Prag formuliert hatte. Zugleich wird jedoch festgehalten, dass die NATO so lange auf nukleare Abschreckung setzen wird, so lange es Atomwaffen auf der Welt gibt. "Das ist ein sinnvolles Gleichgewicht", sagte Generalsekretär Rasmussen.

"Historisches Ereignis"
Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle bezeichnete es als historisch, dass die NATO als ehemals gegen den Warschauer Pakt gerichtetes Bündnis Russland zu einem Gipfel einlade. "Dieses Wochenende wird mindestens in der NATO Geschichte schreiben."

Wie von Deutschland gefordert, verankerte die NATO im neuen strategischen Konzept zudem erstmals das Ziel einer atomwaffenfreien Welt. "Wir sind entschlossen, eine sicherere Welt für alle anzustreben und die Bedingungen für eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen", heißt es darin. Zugleich hält die NATO auf Drängen von Frankreich am Prinzip der nuklearen Abschreckung fest. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel warnte daher vor übertriebenen Erwartungen: "Wir dürfen natürlich auch nicht naiv sein", sagte sie. Wenn "die NATO ihre Abschreckungsgefahr aufgeben würde, wäre das ein falsches Zeichen".

Für Georgien bleibt Beitritt auf der Tagesordnung
Georgien will an seinem Ziel eines Beitritts zur NATO festhalten. "Wer geglaubt hätte, ein NATO-Beitritt Georgiens sei nicht mehr akut, hat sich geirrt", sagte der georgische Staatschef Michail Saakaschwili am Freitag nach einem Treffen mit US-Präsident Barack Obama am Rande des NATO-Gipfels in Lissabon. "Dieses Thema steht nach wie vor auf der Tagesordnung." Georgien habe mit einem Beitritt zur Allianz aber keine Eile.

George W. Bush hatte sich für eine Aufnahme Georgiens und der Ukraine in das Bündnis stark gemacht. Er stieß damit aber auf Widerstand bei mehreren europäischen Verbündeten, die auf die ablehnende Haltung Russlands Rücksicht nehmen wollten und für eine abwartende Linie eintraten. Saakaschwili erklärte sich bereit, am Rande des NATO-Gipfels mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew zusammenzukommen.

Elf Jahre altes Konzept abgelöst
Das neue Konzept löst die bisherige Richtlinie aus dem Jahr 1999 ab, die im Zeichen des Kosovo-Krieges Einsätze auch außerhalb des Bündnisgebietes ermöglichte. Jetzt wird die vernetzte Sicherheit, also neue Partnerschaften im Kampf gegen neue Bedrohungen, in den Mittelpunkt gerückt. Dabei geht es insbesondere um die Zusammenarbeit der Allianz mit internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen und der Europäischer Union, aber auch mit Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds IWF.

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