Grausame Bluttat

Nach Berliner Mord heftige Debatte über ‘Importbräute’

Ausland
06.06.2012 12:32
Nach dem grausamen Tod einer sechsfachen türkischen Mutter in Berlin, die von ihrem Mann vor den Augen der Kinder erstochen, geköpft und zerstückelt wurde, ist in Deutschland eine Debatte über sogenannte Importbräute entbrannt. "Diese Frauen werden durch Zwangsheirat ihrer gewohnten Umgebung entrissen, leben isoliert ohne Sprachkenntnisse und soziale Beziehungen in Deutschland und sind ihren Männern und deren Familien hilflos ausgeliefert", kritisierte am Mittwoch Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney.

"Viele arrangierte Ehen und insbesondere Zwangsehen sind keine glücklichen Ehen. Das muss allen bewusst werden. Ich appelliere an die Familien, das Glück und das Leben ihrer Kinder nicht aufs Spiel zu setzen", erklärte die türkischstämmige SPD-Politikerin in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Auch Hoffnungen auf finanzielle Vorteile der Familien, wenn ihre Töchter etwa aus der Türkei, Pakistan, Indien oder Bosnien ins reiche Deutschland zögen, würden häufig nicht erfüllt. Deshalb müssten die Familien immer darauf achten, in welches Umfeld die Tochter einheiratet. Die Zahl der Fälle von Zwangsehen in Deutschland beziffert die Ministerin auf jährlich rund 3.000.

Stichwort eigenständiges Aufenthaltsrecht
Laut Öney lehnten die Frauen nach der Trennung vom gewalttätigen Ehemann eine Rückkehr in das Heimatland oft aus Schamgefühl gegenüber ihren Familien ab. Die Ministerin forderte deshalb als Konsequenz aus dem aktuellen Fall, dass ausländische Frauen sofort ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten, wenn sie in der Ehe misshandelt werden.

Unter der schwarz-gelben Bundesregierung ist die Zeitdauer der Ehe als Voraussetzung für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht von zwei auf drei Jahre erhöht worden. Öney meinte nun, dies stehe im Widerspruch zur Aufnahme von Zwangsheiraten als Straftatbestand im Strafgesetzbuch. Allerdings reiche diesbezüglich auch ein verkürzter Zeitraum nicht aus, denn die Frauen müssten auch Hilfen für ein eigenständiges Leben in Deutschland erhalten: "Schnelle, unbürokratische und anonyme Unterstützung ist gefragt."

Öney sieht sich durch den Berliner Fall auch in ihrem Festhalten an Sprachtests für den Familiennachzug nach Deutschland bestätigt. "Die Sprachtests bieten zweifachen Schutz", erläuterte sie: Einerseits böten sie den Frauen die Möglichkeit, durch absichtliches Nichtbestehen des Sprachkurses einer Zwangsheirat zu entgehen. Auf der anderen Seite befähigten sie die Frauen, sich nach dem Umzug nach Deutschland im Ernstfall über Hilfsmöglichkeiten zu informieren.

"Nicht einfach zur Tagesordnung übergehen"
Der Berliner Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu, ebenfalls türkischer Abstammung, zeigte sich von dem Fall geschockt und erklärte am Mittwoch der dpa, dass "wir als Gesellschaft jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können". Auch er forderte mehr Schutz und Aufklärung: "Frauen, die über eine Heirat ins Land kommen, kein Deutsch sprechen, keine Kontakte hier haben und andere Rechtsvorstellungen gewohnt sind, müssen wissen, dass der Staat sie schützt."

Nach seinen Angaben stammte die Frau aus dem Osten der Türkei. Sie sei für ihren Mann nach Deutschland gekommen, der ebenfalls in Anatolien geboren, aber in Berlin aufgewachsen sein soll. Die Polizei machte dazu noch keine Angaben und verwies auf die laufenden Ermittlungen. Laut Mutlu müsse nun jedenfalls geprüft werden, ob die Behörden künftig Frauen in einer ähnlichen Lage besser über ihre Rechte informieren könnten.

Kazim Erdogan, Vorsitzender des Vereins "Aufbruch Neukölln", der am Dienstag eine Mahnwache (Bild) für das Opfer abhielt, sagte im Deutschlandradio Kultur, wenn Nachbarn oder Bekannte den Eindruck hätten, dass jemand zu Hause Gewalt erleide, sollten sie sich einmischen und gegebenenfalls die Behörden einschalten. Frauen aus Einwandererfamilien seien aus Schamgefühlen zögerlicher, im Falle von häuslicher Gewalt die Hilfe von Beratungsstellen in Anspruch zu nehmen. Erdogan kämpft mit seinem Verein gegen häusliche Gewalt von Männern - vor allem türkischer Herkunft.

Unfassbare Szenen auf Mietshaus-Terrasse
Der türkischstämmige 32-jährige Mann hat seine 30-jährige Frau, die er laut Polizei im Zuge einer zumindest arrangierten Ehe aus einer ländlichen Region in Ostanatolien nach Deutschland geholt hatte, in der Nacht auf Montag vor den Augen der gemeinsamen Kinder erstochen und zerstückelt. Zuvor hatte es zwischen den Eheleuten laut geschockten Augenzeugen einen dramatischen Streit gegeben.

Demnach habe der 32-Jährige seine Frau auf die Terrasse seiner Wohnung in einem Mietshaus in Berlin-Kreuzberg gezerrt und dort geschlagen, bis sie am Boden lag. Dann sei der Mann in die Wohnung zurückgelaufen, habe zwei Messer geholt, "Allahu akbar!" (Gott ist groß) gerufen, der Frau in Hals, Brust und Bauch gestochen sowie der 30-Jährigen schließlich den Kopf abgetrennt. In weiterer Folge habe er den Kopf sowie andere Körperteile in den Hof des Hauses in der Köthener Straße in der Nähe des Potsdamer Platzes geworfen. Laut den von den Nachbarn alarmierten Beamten habe sich der Mann gegen seine Festnahme gewehrt, konnte aber letztlich überwältigt werden.

Die völlig verängstigten Kinder, vier Buben und zwei Mädchen im Alter von ein bis 13 Jahren, wurden in einem Heim untergebracht und stehen seither unter ständiger psychologischer Betreuung. Der Verhaftete, der die Tat im Wesentlichen gestanden hat, sitzt vorerst in einer psychiatrischen Klinik. Laut einem Sprecher der Staatsanwaltschaft werde dem 32-Jährigen allerdings nur Totschlag vorgeworfen - denn es gebe Hinweise auf eine stark verminderte Schuldfähigkeit wegen einer psychischen Krankheit.

Wie die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf eine Bewohnerin des Hauses berichtete, soll der Familienvater immer wieder zu einer Geliebten im selben Haus, in dem vor allem türkische und arabische Familien wohnen, gegangen sein, mit der er auch zwei Kinder habe. Unbestätigten Berichten zufolge hatte die Ehefrau, eine Freundin der Geliebten, ihren Mann aus der Wohnung geworfen. Laut "Bild" war der 32-Jährigearbeitslos sowie wegen Körperverletzung im Straßenverkehr und Schwarzarbeit polizeibekannt.

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