Kampfjets & Raketen

“Allianz gegen Gadafi” beginnt Militäreinsatz

Ausland
20.03.2011 00:21
Die internationale Gemeinschaft greift in den libyschen Bürgerkrieg ein: Französische und britische Kampfjets haben nach ersten Aufklärungsflügen am Samstagnachmittag sogleich Panzer und Stellungen der libyschen Armee angegriffen. Ein US-Kriegsschiff und ein britisches U-Boot nahmen am Abend mit Marschflugkörpern Ziele unter Beschuss. Rund 100 Raketen wurden in einer ersten Salve nach Einbruch der Dunkelheit abgefeuert. Libyens Machthaber Muammar al-Gadafi schwört Vergeltungsangriffe und will dazu auch ihm loyale Zivilisten bewaffnen.

Die "Allianz gegen Gadafi" aus zwei Dutzend Staaten hatte den Beginn des Einsatzes Samstagnachmittag in Paris verkündet, nachdem die Truppen des libyschen Machthabers in der Nacht trotz selbst angekündigter Waffenruhe und UNO-Resolution die Aufständischen-Hochburg Bengasi angriffen.

Frankreichs Präsident Nicholas Sarkozy bestätigte den Beginn des Einsatzes, während die ersten Aufklärungsflüge schon absolviert wurden, nach dem Sondergipfel in Paris. Rund zwei Dutzend Spitzenpolitiker aus aller Welt waren dort versammelt, darunter US-Außenministerin Hillary Clinton, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon und die Premiers von Italien, Großbritannien, Kanada, Dänemark und Spanien, deren Länder sich militärisch beteiligen.

"Die Tür der Diplomatie wird sich (erst) öffnen, wenn die Aggressionen aufhören", erklärte Sarkozy an die Adresse Gadafis in einer Stellungnahme nach dem Gipfeltreffen. Französische Flugzeuge würden bereit stehen, um "gegen Panzer zu intervenieren, die Zivilisten bedrohen". Es gehe nicht darum, für die Libyer ihre Geschicke zu entscheiden, sondern sie zu verteidigen, damit sie selbst ihr Geschick in die Hand nehmen könnten, sagte Sarkozy. Es sei für Gadafi noch nicht zu spät. Ein sofortiger Waffenstillstand könne für ihn das Schlimmste noch verhindern.

"Zeit des Handelns ist gekommen"
Großbritanniens Premierminister David Cameron hat nach dem Gipfel wiederum unmissverständlich Militärschläge gegen das Regime von Gadafi angekündigt. "Die Zeit des Handelns ist gekommen", sagte Cameron. "Und es ist dringend", sagte er in einem Interview mit der BBC nach dem Treffen in Paris. Gadafi selbst sei verantwortlich, dass es jetzt zum Eingreifen kommt. "Er hat die internationale Gemeinschaft angelogen", sagte Cameron. Der libysche Machthaber habe sowohl sein Wort als auch den Waffenstillstand gebrochen. Cameron räumte ein, dass es "unvorhersehbare Risiken" gebe. Diese einzugehen, sei aber besser als nicht einzugreifen.

Laut BBC hat der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte angekündigt, dass Militärschläge vermutlich noch am Samstag erfolgten. Deutschlands Angela Merkel bot Unterstüzung durch unbewaffnete Aufklärungsflugzeuge der Bundeswehr an.

Die USA wollten sich nach den Worten von Außenministerin Hillary Clinton mit ihren "einzigartigen Einsatzmöglichkeiten" am internationalen Militäreinsatz gegen Libyen beteiligen. Gadafi fordere die Weltgemeinschaft weiter heraus, sagte Clinton in Paris. Eine weitere Verzögerung im Vorgehen gegen Gadafi würde nur noch mehr Zivilisten gefährden. "Wir werden die internationale Koalition unterstützen", sagte Clinton. Genaue Angaben über die Art der Unterstützung wollte sie zunächst aber nicht machen.

Kampfjets fliegen Angriffe auf Panzer
Die großflächigen Aufklärungsflüge am Nachmittag sollten nur die erste Maßnahme zur Durchsetzung des Flugverbots gegen Gadafis mörderischen Feldzug sein und das weitere Vordringen der libyschen Truppen in die von Rebellen gehaltenen Gebiete stoppen. Der Einsatz umfasste das "gesamte libyische Territorium" und begann offenbar schon zur Mittagszeit am Samstag.

Nach mehreren Stunden Überflug sei man zunächst auf keinerlei Probleme gestoßen, hieß es von Militärvertretern in der französischen Hauptstadt noch während Sarkozys Statement. Ein Sprecher des französischen Verteidigungsministeriums verkündete dann am frühen Abend, dass die Jets nun erstmals Waffengewalt eingesetzt hätten. Um 17.45 Uhr MEZ habe ein Kampfjet Schüsse aus der Bordkanone auf "ein Fahrzeug am Boden" abgegeben. Der Einsatz habe im 100-km-Umkreis von Bengasi stattgefunden. Laut dem TV-Sender Al-Jazeera wurden von den Kampfflugzeugen danach weitere Panzer und Stellungen der Armee angegriffen.

USA und Briten mit Marschflugkörpern
Das Geheimnis um die Art der Mitwirkung der USA, das Außenministerin Hillary Clinton in Paris zunächst nicht lüften wollte, enthüllte dann der US-Nachrichtensender CNN. Ein US-Kriegsschiff vor der Küste Libyens habe am Abend mit Angriffen per Marschflugkörper ("Cruise missile") gegen Ziele in Libyen begonnen. Aus US-Regierungskreisen hieß es indes, zunächst würden in der Nacht auf Sonntag rund 20 verschiedene Orte beschossen.

Nach Angaben eines US-Militärs gegenüber CNN konzentrierten sich Angriffe zunächst auf die Region um die Hauptstadt Tripolis und Misrata. Man plane keine bedeutenden Militärschläge in der Umgebung der von den Rebellen gehaltenen Stadt Bengasi. Laut der Nachrichtenagentur AP unter Berufung auf einen Informanten aus den Streitkräften, würden nur libysche Luftabwehrstellungen an der Küste mit Tomahawk-Marschflugkörpern unter Beschuss genommen. Damit solle die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen erreicht werden, hieß es in Washington. Die libysche Hauptstadt Tripolis liegt im Nordwesten des Landes direkt am Mittelmeer.

Der britische Premier David Cameron erklärte am Abend offiziell, dass sich bereits auch die britischen Streitkräfte an den Angriffen beteiligen. Meldungen über den Einsatz von Flugzeugen wurden zunächst nicht bestätigt, wohl aber befindet sich ein britisches U-Boot im Mittelmeer und greift wie die USA mit Marschflugkörpern an.

Obama: "Handlungen haben Konsequenzen"
US-Präsident Barack Obama erklärte in einer Stellungnahme am späten Abend, er habe grünes Licht für eine "begrenzte Militäraktion" gegeben, um der am Donnerstag verabschiedeten UNO-Resolution 1973 Gültigkeit zu verschaffen. Keinesfalls würden die USA Bodentruppen nach Libyen entsenden. An Gadafi gerichtet sagte er: "Handlungen haben Konsequenzen."

Russland, das sich wie Deutschland und China bei der Abstimmung im UNO-Sicherheitsrat am Donnerstag der Stimme enthielt, zeigte sich dem militärischen Eingreifen der Koalitionstruppen in Libyen indes skeptisch gegenüber. "Moskau bedauert die Militäraktion", teilte das Außenministerium mit. Es rief zu einer schnellstmöglichen Waffenruhe auf. "Wir sind überzeugt, dass das Blutvergießen schnell gestoppt werden muss und die Libyer den Dialog aufnehmen müssen, damit der interne Konflikt dauerhaft gelöst werden kann."

Libysche Staatsmedien: "Bomben auf zivile Ziele"
Das von Gadafi kontrollierte libysche Staatsfernsehen meldete unterdessen, dass "zivile Ziele" in Tripolis von Kampfflugzeugen der "Kreuzzügler" - also der westlichen Mächte - bombardiert würden. Die offizielle Nachrichtenagentur Jana zitierte einen Sprecher der libyschen Streitkräfte, wonach es Verletzte gab.

Staatsfernsehen sagte eine Militärsprecher, Treibstofftanks seien in der Region der Stadt Misrata getroffen worden. Die Reservoirs dienten demnach der Versorgung der drittgrößten Stadt Libyens, die sich 200 Kilometer östlich von Tripolis befindet. Auch "zivile Ziele" in Bengasi und Zuwarah seien beschossen worden. 

Gadafi: Werden Zivilisten bewaffnen
Gadafi selbst droht den Angreifern mit Vergeltungsangriffen. Das Mittelmeer sei nun ein "wahres Schlachtfeld", sagte Gadafi am Samstagabend im Staatsfernsehen. Die Waffendepots der libyischen Armee würden darum jetzt für Zivilisten geöffnet, um Libyen gegen die "koloniale Aggression" des Westens verteidigen. "Es ist nun notwendig, die Waffenlager zu öffnen und das Volk mit allen Arten von Waffen auszurüsten, um die Unabhängigkeit, Einheit und Ehre Libyens zu verteidigen", so der libysche Machthaber.

"Die Völker arabischer und islamischer Länder sowie Lateinamerikas, Asiens und Afrikas" rief Gadafi auf, ihm beizustehen. Der Mittelmeerraum und Nordafrika seien jetzt Kriegsgebiet, und die Interessen der dortigen Länder seien von nun an in Gefahr.

In der Hauptstadt Tripolis wurden Bilder von Pro-Gadafi-Demonstrationen gezeigt. Al Jazeera bezifferte die Zahl der Anhänger des Machthabers auf "einige hundert". Sie wollten auf die Residenz Gadafis gegen Angriffe französischer Militärjets "schützen", berichtete die Korrespondentin des Senders. Gadafi lebe derzeit in einem Zelt in der Militärgarnison der Vorstadt.

Ein Krankenhausmitarbeiter und Unterstützer der Rebellen sagte der Agentur Reuters, Kampfjets beschössen die Straße zum Flughafen. Zwei bewaffnete Söldner seien in einem Auto voll mit Handgranaten durch die Stadt gefahren und hätten das Feuer auf Einwohner eröffnet. Laut einem Rebellen wurden die Männer getötet.

Kampfjet der Rebellen abgestürzt
Samstag früh hieß es zunächst, die Rebellen hätten einen der Kampfjets der Gadafi-Truppen abschießen können. Das Flugzeug war in der Früh über Bengasi aufgetaucht, fing dann aber plötzlich hinten rechts Feuer und stürzte daraufhin in bewohntem Gebiet im Süden der Stadt ab. Beim Aufschlag gab es eine Explosion, eine riesige schwarze Rauchfahne stieg in den Himmel auf.

Weil die Aufständischen zunächst geglaubt hatten, es habe sich um eine Maschine der Gadafi-Truppen gehandelt, waren in der Stadt Freudenschüsse abgegeben worden. Später stellte sich jedoch heraus, dass es sich um eine Maschine der Rebellen gehandelt hatte.

Ob der Jet abgeschossen wurde oder durch ein technisches Gebrechen oder einen Pilotenfehler abstürzte, ist unklar. Ein Rebellenvertreter sagte AFP: "Wir haben wenige Flugzeuge und sie sind alt." Es habe sich um eine Mirage aus französischer Produktion gehandelt, der Pilot sei tot. Im Laufe des Libyen-Konflikts waren größere Teile der Armee zu den Aufständischen übergelaufen, womit diese auch einige wenige Flugzeuge in die Hand bekamen.

Gadafi-Angriffe auch auf Misrata
Über Angriffe von Gadafi-Truppen wurde am Samstag auch aus der von Aufständischen gehaltenen Stadt Misrata berichtet. Truppen des libyschen Machthabers feuerten mehrere Artilleriegeschoße auf die Stadt, die von der Wasserversorgung abgeschnitten ist, sagte ein Einwohner. Zwei Menschen seien von Scharfschützen der Gadafi-Truppen in Misrata getötet worden.

"Wir hatten zwei Tote heute in der Früh (...), weil es Heckschützen auf einigen Häusern gibt, und sie schießen auf Menschen, sie schießen auf alle, die sie sehen", sagte der Einwohner der Nachrichtenagentur Reuters in einem Telefongespräch. Die Regimetruppen hielten sich noch immer in den Vororten von Misrata auf, nach dem Artilleriebeschuss sei die Lage aber "relativ ruhig". Den Berichten konnte nicht nachgegangen werden, da die Behörden in Tripolis verhindern, dass Journalisten nach Misrata gelangen.

Nach UN-Resolution begann Truppenverlegung
Nach wochenlangem Zögern in der Libyen-Krise hatte der Westen vor Beginn des Wochenendes ernst gemacht und mit den Vorbereitungen eines Militärschlags gegen Gadafi begonnen. Wenige Stunden nach Verabschiedung der Resolution am Donnerstag begann Großbritannien mit der Verlegung von Kampfflugzeugen in die Region, die USA verlegten weitere Landungsboote ins Mittelmeer.

Dänemark hat am Samstag sechs Kampfflugzeuge des Typs F-16 für einen möglichen Libyen-Einsatz nach Sizilien geschickt. Zuvor hatte das Parlament in Kopenhagen in einer Nachtsitzung einstimmig der Beteiligung an einem internationalen Einsatz zur Durchsetzung der Flugverbotszone über Libyen zugestimmt. Verteidigungsministerin Gitte Lillelund Bech erklärte, vier weitere F-16 seien ab Sonntag einsatzbereit. Die anderen stünden als Reserve bereit.

Nach der UNO-Resolution, die primär ein Flugverbot zum Schutz der Rebellen zum Ziel hat, ist der Allianz gegen Gadafi militärisch fast alles erlaubt - bis auf den Einsatz von Bodentruppen.

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