Conchita Superstar

Der Mensch hinter Bart, Perücke und Mascara

Adabei
18.05.2014 07:00

Seit dem Sieg beim Song Contest ist Conchita Wurst nur noch "Queen of Austria". Hinter der bärtigen Kunstfigur, die plötzlich alle lieben, steckt der 25-jährige Tom Neuwirth, der sich diese Karriere zielstrebig erarbeitet - und erkämpft - hat. Wer ist der Mensch hinter Bart, Perücke und Mascara?

"A Star is born" - war sich die Weltpresse einig, als Österreichs Conchita Wurst zur Siegerin des 59. Eurovision Song Contest in Kopenhagen gekürt wurde. Die "Queen of Austria", wie sie seitdem genannt wird, beginnt das erst langsam zu realisieren: "Ich muss die Trophäe immer wieder ansehen, damit ich es auch glaube!", strahlte sie nach ihrer Ankunft vor Hunderten Journalisten und Fans in Wien.

Danach ist sie erschöpft ins Bett gefallen, hat 14 Stunden durchgeschlafen und sich nach knapp zwei Wochen eine kurze Auszeit von Conchita genommen. Perücke, High Heels und Make-up abgelegt. Dann ist Frau Wurst wieder in Sekundenschnelle Tom Neuwirth, 25-jähriger Sohn von Helga und Siegfried, die ein Wirtshaus in der steirischen 3.079-Seelen-Gemeinde Bad Mitterndorf führen.

Schwierige Kindheit, öffentliches Outing
Seine Kindheit war, wie er sagt, schön, aber auch schwierig: "Ich dachte ja damals auch, mit mir ist etwas falsch!" Der Weg zu Selbstfindung und Selbstbewusstsein war lang und hart, bis sich Tom schließlich während seiner Teilnahme an der ORF-Show "Starmania" ein Herz fasste und als homosexuell outete: "Ich habe es gemacht, weil ich wusste, wenn ich es nicht sage und man dann draufkommt, dann bin ich nicht zu mir gestanden und biete auch eine extrem große Angriffsfläche. Aber ich wollte mich keine Sekunde lang mehr für den Rest meines Lebens verstellen oder verstecken müssen!", erzählte Conchita rückblickend im "Thema"-Interview.

Nach dem knapp verpassten "Starmania"-Sieg trat Tom der Boyband "jetzt anders!" bei. Ein Flop, der noch im selben Jahr wieder Geschichte war. Plattenvertrag und Angebote blieben aus. Der ersehnte Traum von einer Karriere als Sänger schien erloschen: 2011 schloss Tom, der "schon mit vier Jahren gerne Röcke trug", und sich als Teenager daheim am Dachboden eine kleine Schneiderwerkstatt eingerichtet hatte, eine Ausbildung an der Grazer Modeschule ab, hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, verlor jedoch nie sein Ziel vor Augen, eines Tages wieder auf der Bühne zu stehen.

Omi ist die Beste!
Wichtige Stütze auf diesem Weg war ihm immer seine Omi. "Sie ist ein absoluter Freigeist! Sie war es, die mir diese Selbstdisziplin beigebracht hat und das Bedürfnis, für alle schön auszusehen, weil das ein Zeichen von Respekt ist - und unbewusst auch, immer auf die Figur zu achten!"

Die Omi ist jetzt "megastolz" und auch größter Fan der von Tom im Jahr 2006 kreierten Kunstfigur Conchita, die erstmals im Rahmen der ORF-Talenteshow "Die große Chance" vor staunenden Juroren und TV-Zusehern in der Öffentlichkeit auftauchte: ein Mann in Frauenkleidern, geschminkt mit Bart - samt fiktiver Biografie, die mit der "Geburt in den Bergen von Kolumbien beginnt", ein Ehemann namens Jacques Patriaque inklusive!

"Wer ist die Wurst?", fragte man sich. "Einfach eine Dragqueen", sagt Conchita, "der Bart ist das einzig schrille an mir." Und sie muss immer wieder erklären: "Ich will keine Frau sein, sondern ich mime eine Frau. So fühle ich mich auf der Bühne viel wohler. Conchita deckt so viele Bedürfnisse ab, nicht nur, weil ich mich auf der Bühne freier fühle, sondern weil ich meine Message klarer transportieren kann. Ich liebe es aber auch, High Heels zu tragen, mich schminken zu lassen. Da kommt einfach so viel zusammen, was meine Wahrheit ausmacht!"

"Jeder sollte leben, wie er möchte"
Vor ein paar Jahren war dennoch viel reines Theater, erzählt Conchita: "Ich habe das durchgespielt, dass ich sagte: 'Tom? Neuwirth? Wer? Den kenne ich nicht!' Ich fand das lustig, weil ich damit zeigen wollte, dass man eben nicht alles glauben sollte, was Künstler von sich geben!" Viele sahen darin jedoch einfach nur den abartigen Versuch einer durchgeknallten Ulknudel, sich zurück ins mediale Rampenlicht zu befördern. Conchitas stets zwischen den Zeilen transportierte Botschaft: "Jeder soll sein Leben so leben, wie er möchte, und sollte auch den Raum bekommen, so zu leben, wie er möchte, solang man die Freiheit des anderen nicht einschränkt!", wollte man nicht hören oder verstehen.

Statt Zuneigung gab's Ablehnung samt Facebook-Aufruf, man solle ihren Song-Contest-Auftritt verhindern. "Primär bin ich für die Menschen da, die mich gerne sehen wollen, und das werde ich auch weiter so handhaben", ließ sich Conchita nie einschüchtern, "und was die Menschen betrifft, die nur gegen mich wettern, sag ich nur: 'Danke für die Aufmerksamkeit! Ich hab eine dicke Haut!'"

"Bin kein Vorbild, auch keine Botschafterin"
Nach ihrem Triumph, den sie "allen, die an Liebe, Frieden, Toleranz und Akzeptanz glauben", widmete, ist sie nun über Nacht zu Europas glitzerndem Aushängeschild im Kampf gegen Diskriminierung jeglicher Art geworden. "Ich bin kein Vorbild, auch keine Botschafterin!", will sich Conchita jedoch in keine Rolle drängen lassen, der Kampf für Toleranz sei wichtig, "aber ich kann als Künstlerin nur das zurückgeben, was mir gegeben wird, und das ist Aufmerksamkeit, die uns Promis geschenkt wird".

Als Weltstar sieht sich (noch) nicht, obwohl Cher und Lady Gaga gratulierten, die "New York Times" über sie berichtet - und bereits Hollywood angeklopft hat. Die wichtige Bodenhaftung impfen ihr die Familie und ihre besten Freunde ein: Make-up-Artistin Tamara Mascara, Assistentin Niki und Hairstylist Matthias: "Ich bin gesegnet!", lacht Conchita, "gesegnet mit Freunden, die so talentiert sind, dass ich sie auch arbeitstechnisch einbauen kann!"

Am Sonntag wird sie vom offiziellen Österreich geehrt, winkt vom Balkon des Bundeskanzleramts und gibt ein Gratis-Konzert auf dem Ballhausplatz. Wie geht's nun weiter? "Wir leben in so einer wahnsinnig schnellen Gesellschaft, deswegen nehmen wir uns Zeit, gut zu sortieren!" Das erklärte Ziel lautet jedenfalls Grammy, der wichtigste Musikpreis der Welt: "Ich brauche ganz, ganz große Ziele. So denke ich und so funktioniere ich. Vielleicht gewinn' ich den Grammy nie, aber vielleicht bekomm' ich am Weg dorthin so viel geschenkt, was noch viel mehr wert ist als jeder Grammy, den ich kriegen könnte!"

Manager Berto ebnet Conchita den Weg
Er ist der Mann, der jetzt die Weichen Richtung Conchitas Weltkarriere stellt: der 48-jährige gebürtige Wiener Rene Berto. Bei der ORF-Castingshow trat der 48-Jährige, der seit 17 Jahren auch Manager von Alf Poier ist, an Conchita heran und nahm sie unter Vertrag.

Im Jahr 2012 scheiterte der Versuch, mit der Hymne "That's What I Am" zum Song Contest zu fahren knapp - 2013 machte Berto ("Ich kann nicht länger zusehen, wie der ORF Jahr für Jahr in eine neue Katastrophe läuft") den Vorschlag, Conchita direkt zu nominieren. Das war dem unter Kostendruck stehenden ORF nur recht, frei nach dem Motto: Auch schon wurst, was haben wir zu verlieren?

Bereits vor dem Semifinale kamen zig internationale Anfragen, nach dem Sieg gilt es nun, Angebot zu sichten, Kontakte zu knüpfen, um die Karriere von Conchita als internationaler Superstar voranzutreiben. Branchenkenner meinen bereits, Berti werde die Unterstützung von internationalen Managern benötigen, damit, so das große Ziel, Conchita einen Grammy erhält.

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(Bild: kmm)



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