Justiz in Fidesz-Hand

Ungarns Regierung erhöht Einfluss auf Gerichte, Verfahren

Ausland
05.07.2011 08:05
Die ungarische Regierung von Premier Viktor Orban hat in den letzten Tagen eine Reihe an Grundsteinen für eine von der Politik massiv steuerbare Justiz gelegt. Ende Juni hat Orbans Fidesz-Partei das Verfassungsgericht zunächst mit "ihren" Richtern bestückt. Jetzt wurde das Strafverfahren modifiziert. Statt 72 Stunden können Beschuldigte nun 120 Stunden lang festgehalten werden, auch kann ihnen Kontakt zu einem Anwalt, außer während Befragungen, verboten werden. Umgekehrt drohen Richtern Strafen, wenn sie die neuen Fristen nicht einhalten können. Der Orban-treue Generalstaatsanwalt bekommt mehr Macht.

Das ungarische Parlament, in dem Orbans Partei Fidesz-MPSZ eine Verfassungsmehrheit hat, stimmte mit 255 Ja- und 97 Nein-Stimmen für das modifizierte Strafverfahrensgesetz bei "Strafsachen von herausragender Bedeutung". Zu diesen gehören zunächst einmal alle nicht verjährbaren Straftaten, wie Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mord, schwere Fälle von Menschenraub sowie Terrorhandlungen; aber auch Amtsmissbrauch, darunter Straftaten gegen die "Sauberkeit des öffentlichen Lebens", wenn es sich bei den Verdächtigten um Parlamentsabgeordnete, Bürgermeister, Abgeordnete von Gemeinderäten und um führende Mitarbeiter öffentlicher Verwaltungsorgane handelt.

Auch die Beschaffung von unberechtigten Wirtschaftsvorteilen, Geldwäsche, groß angelegter Steuerbetrug, den Wettbewerb einschränkende Vereinbarungen bei Verfahren öffentlicher Ausschreibungen und Konzessionsverfahren sowie Vermögensstraftaten mit besonders großem Schaden und die Beteiligung am organisierten Verbrechen gehören zu den Delikten.

Recht auf Anwalt sollte gestrichen werden
Die am Montag beschlossene Festhaltedauer von 120 Stunden ist noch die "entschärfte" Version des Gesetzes. Die in der Vorlage enthaltene explizite Einschränkung der Beschuldigtenrechte wurde gestrichen, weil alle Oppositionsparteien sich dagegen eingesetzt hatten und die Bestimmungen verfassungwidrig sein könnten. Nach dem ursprünglichen Vorschlag hätte in den angeführten Strafsachen der Staatsanwalt für die ersten 48 Stunden nach der Festnahme einen Kontakt zwischen Beschuldigtem und Anwalt verbieten können. Nach der Modifizierung kann ein Anwalt nun auch innerhalb dieser Zeit bei Verhören anwesend sein, selbst wenn der Staatsanwalt ihm sonst den Kontakt mit dem Beschuldigten untersagt hat.

Weiters gilt als Novum, dass die in den aufgeführten Strafsachen verhandelnden Richter im Interesse der Einhaltung der Fristen von sonstigen Tätigkeiten befreit oder entlastet werden können. Falls ein Richter die im Gesetz festgelegte Frist überschreitet, kann er aber mit Sanktionen belegt werden. Auch Sachverständige können in Zukunft mit einer Ordnungsstrafe belegt werden, wenn sie die für die Unterbreitung der Fachmeinung zur Verfügung stehende Frist überschreiten. Das sichert einerseits eine kurze Verfahrensdauer, andererseits kann damit über die Sanktionen massiv Druck auf die jeweiligen Personen ausgeübt werden.

Als wichtige Änderung gilt auch, dass "Straftaten von herausragender Bedeutung" außer der Reihe behandelt werden müssen. Bei diesen besonderen Delikten liegt die Kaution bei mindestens drei Millionen Forint (11.122 Euro). Die neue gesetzliche Regelung muss auch bei bereits laufenden Verfahren angewandt werden, sofern noch keine Anklage erhoben wurde.

Generalstaatsanwalt darf Gerichte zuteilen
Die Gesetzmodifizierung war seitens des parlamentarischen Verfassungsausschusses allein mit der Beschleunigung der Verfahren begründet worden. Der Gesetzesvorschlag war vom Vorsitzenden dieses Ausschusses, Istvan Balsai, eingereicht worden, wobei der Vorschlag im Vorhinein auf heftige Kritik von Menschenrechts- und Anwaltsorganisationen gestoßen war.

Auch das Richterkollegium der Obersten Gerichtes hatte mehrere Punkte der Gesetzvorlage als verfassungswidrig bezeichnet. Neben der Verlängerung der Zeit der Festnahme wurde ebenso kritisiert, dass der Generalstaatsanwalt bei "Straftaten von herausragender Bedeutung" entscheiden kann, vor welchem Gericht sie verhandelt werden. Das Amt bekleidet auf Nominierung von Staatspräsident Pal Schmitt (Fidesz) seit Ende 2010 der Parteitreue Peter Polt, der bereits einmal, von 2000 bis 2006, Generalstaatsanwalt war. Mit der Nominierung Polts wurde auch die Amtszeit des ungarischen Generalstaatsanwaltes von sechs auf neun Jahre verlängert.

Orban-Partei kontrolliert auch Verfassungsgericht
Die Opposition kritisierte vor allem die Gerichtszuweisung als einen Angriff auf politische Gegner, zumal Orbans Partei erpicht darauf ist, einzelne Gerichtsstandorte unter seiner Kontrolle zu haben und dies auch bereits durchgesetzt hat. Mittlerweile "gehört" ihr auch das Verfassungsgericht: Ende Juni beschloss das Parlament mit der Zwei-Drittel-Mehrheit der Regierungspartei, die Zahl der Verfassungsrichter von elf auf 15 aufzustocken. Da ein Richterposten vakant war, wurden fünf neue Richter gewählt. Es setzten sich ausschließlich Fidesz-Kandidaten durch, womit parteinahe Richter nun die Mehrheit stellen.

Im zuständigen Aussschuss wurde nur zehn Minuten beraten, ungarischen Medien zufolge dabei nicht einmal die Eignung der Richter besprochen. Die Mandate der Verfassungsrichter wurden zugleich von neun auf zwölf Jahre verlängert.

Umstrittene Gesetzesänderungen am laufenden Band
Orbans Partei Fidesz-MPSZ ("Ungarischer Bürgerbund") sieht sich Kritik ausgesetzt, eine autoritäre Herrschaftsform anstreben zu wollen. Wegen drakonischer Strafen im neuen Mediengesetz musste bereits die EU-Kommission einschreiten, außerdem peitschte die ungarische Regierungspartei eine neue Verfassung im Schnellverfahren durchs Parlament. Internationale Politiker sind wegen seiner umstrittenen Regierungsführung auf Distanz zum ungarischen Premier Viktor Orban gegangen, der bis Donnerstag vergangener Woche den EU-Ratsvorsitz innehatte.

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