"Döner-Morde"

Schwere Vorwürfe gegen deutschen Geheimdienst

Ausland
15.11.2011 07:40
"Wie konnte eine Neonazi-Truppe jahrelang unbehelligt morden und Terror verbreiten, obwohl ihre Mitglieder schon einschlägig aufgefallen waren?", fragt das deutsche Magazin "Spiegel". Wie das passieren konnte, fragt man sich mittlerweile in ganz Deutschland. Kanzlerin Angela Merkel erklärte die sogenannten "Döner-Morde" am Montag zur Chefsache: "Wir müssen alles tun, um den Fall aufzuklären. Es ist eine Schande." Unter besonderem Beschuss steht der deutsche Verfassungsschutz, der in der Causa eine große Rolle zu spielen scheint.

Die Bundesanwaltschaft wirft drei aus Jena stammenden Rechtsextremisten sowie einem Mann aus Niedersachsen zehn Morde vor: Opfer waren zwischen den Jahren 2000 und 2006 acht türkische sowie ein griechischer Kleinunternehmer. 2007 sollen die drei den Mord an einer Polizistin in Heilbronn verübt haben. Die blutige Spur zog sich quer durch Deutschland.

"Sind ein Netzwerk von Kameraden"
Das Trio - zwei Männer hatten sich laut Polizei vor einer Woche erschossen, eine Frau stellte sich - war den Behörden bereits in den 90er-Jahren wegen Verbindungen zur rechtsextremen Szene bekannt. Die beiden toten Verdächtigen bekannten sich laut "Spiegel" via Videobotschaft zu den Morden sowie zu einem Nagelbombenanschlag in einer überwiegend von türkischen Bürgern bewohnten Straße in Köln im Jahr 2004. Sie kündigten auch weitere Anschläge an. Zudem erklärten sie, ihre Gruppe sei ein "Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz 'Taten statt Worte'".

Gegen den mutmaßlichen Helfer der Neonazi-Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" wurde am Montagabend Haftbefehl wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung erlassen. Der 37-Jährige sitze nun in Untersuchungshaft, teilte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft mit. Der Mann soll die rechtsextremistische Gruppierung seit dem Jahr 2007 unterstützt haben. Laut der deutschen Bundesanwaltschaft soll er den Extremisten seinen Führerschein und seinen Reisepass überlassen und ihnen dadurch ermöglicht haben, weiterhin verborgen zu agieren und rechtsextremistische Gewalttaten zu verüben.

Kanzlerin und Innenminister schockiert
Merkel erklärte bereits am Sonntag, die Ermittlungen hätten bisher erschreckende Erkenntnisse ergeben. Sie hoffe, dass die Untersuchungen rasch abgeschlossen werden könnten, um volle Klarheit über die Hintergründe der Taten zu erhalten. Bereits jetzt könne gesagt werden, dass sich Strukturen erkennen ließen, "die wir uns so nicht vorgestellt haben". Auch Innenminister Hans-Peter Friedrich wirkte überrumpelt: "Es sieht so aus, als ob wir es tatsächlich mit einer neuen Form des rechtsextremistischen Terrorismus zu tun haben."

Geheimdienst als öffentlicher Prellbock
Jahrelang waren Ermittler in den Mordfällen im Dunkeln getappt, bis schließlich Anfang November in einem angeblich von der verdächtigen Frau abgebrannten Haus die Tatwaffe der "Döner-Morde" gefunden wurde. Seither fügte sich das Puzzle zusammen - was normalerweise positiv in der Öffentlichkeit aufgenommen wird. Doch damit, dass eine rechtsextreme Terrorgruppe hinter den Morden steckt, bei denen Opfer aus kurzer Distanz eiskalt per Kopfschuss hingerichtet wurden, hatte man in Deutschland nicht gerechnet.

Zudem wird dem Geheimdienst von Politik und Medien Versagen auf ganzer Linie vorgerworfen. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger fordert gar eine völlige Umstrukturierung des Verfassungsschutzes. Die Aufklärung habe "überhaupt nicht funktioniert", Neonazis hätten mit "für Deutschland fürchterlichen Folgen" agieren können. Deutlich wurde SPD-Mann Thomas Oppermann: "Es ist die Aufgabe der Nachrichtendienste, zu verhindern, dass sich terroristische Strukturen unerkannt bilden können. Auf jeden Fall hat hier der Verfassungsschutz versagt und wir müssen klären, warum. Diese drei Terroristen waren ja im Visier des Verfassungsschutzes, sie waren schon straffällig geworden."

Verdächtige als verdeckte Geheimdienst-Ermittler
Die "Bild"-Zeitung legt gar noch einen drauf und berichtet über verdächtige Ausweisdokumente, die im Versteck der Verdächtigen gefunden worden seien. Es handle sich um "legale illegale Papiere", die normalerweise nur verdeckte Ermittler erhalten, die für den Nachrichtendienst arbeiten. André Schulz, Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, sei gespannt auf die Ermittlungen, "speziell zur Rolle des Verfassungsschutzes", erklärte er der "Bild". Es sei schon überraschend, "wie schnell über zwei Dutzend Aktenordner mit Erkenntnissen über die Täter präsentiert werden konnten".

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