Insel driftet weg

49 Prozent der Briten in Umfrage für EU-Austritt

Ausland
08.11.2012 19:40
Die Briten würden in einem Referendum mehrheitlich für einen Austritt aus der Europäischen Union stimmen. Vor die Wahl nach einem Verbleib in oder einem Austritt aus der EU gestellt, würden 49 Prozent für ein Ende der Mitgliedschaft votieren, wie aus einer am Donnerstag veröffentlichten Meinungsumfrage des Instituts YouGov hervorgeht. Demnach wären nur 28 Prozent für den Verbleib in der Union, 17 Prozent sind unentschlossen. Angesichts der immer größer werdenden Differenzen zwischen London und Brüssel werten Beobachter dies als Alarmsignal.

Die britische Regierung verfolgt derzeit eine ausgesprochen europakritische Politik und droht mit einem Veto gegen das EU-Mehrjahresbudget für den Zeitraum 2014 bis 2020, das einstimmig beschlossen werden muss. Großbritanniens Forderung nach besonders harten Kürzungen gilt als größte Gefahr für ein Übereinkommen, das auf dem EU-Sondergipfel am 22. und 23. November getroffen werden soll.

Cameron auf anti-europäischem Kurs
Dass das Vereinigte Königreich und der Kontinent noch weiter auseinanderdriften, scheint vorprogrammiert - auch weil sich der konservative Premier David Cameron offensichtlich mehr von einem anti-europäischen Kurs verspricht als von einem Bekenntnis zur Gemeinschaft. Daran ändert wohl auch die Tatsache nichts, dass er selbst sein Land unter geänderten Bedingungen in der EU halten will - was er auch am Mittwochabend der deutschen Kanzlerin Angela Merkel bei einem Gespräch in London versicherte.

Nach Einschätzung der in Deutschland geborenen Labour-Abgeordneten Gisela Stuart hat sich die Idee eines EU-Austritts Großbritanniens inzwischen schon etabliert. "Ich bin mir absolut sicher, dass die Europäische Union in fünf Jahren nicht mehr so aussieht wie heute", wurde Stuart am Donnerstag in britischen Medien zitiert. Nur könne man dies in der Regierung noch nicht offen formulieren.

Premierminister in heikler Zwickmühle
Laut Stuart befinde sich Cameron in einer heiklen Zwickmühle: Einerseits werde er von den EU-Skeptikern in der eigenen Partei unter Druck gesetzt, andererseits muss er seinen europafreundlichen Koalitionspartner, die Liberaldemokraten, bei der Stange halten. Allerdings erliegt mittlerweile auch schon die oppositionelle Labour-Partei der europakritischen Grundstimmung auf der Insel - vergangene Woche etwa forderte sie eine noch stärkere Kürzung des EU-Etats als Cameron.

Stuart hält eine Annäherung nur bei großen Veränderungen für möglich. "Es muss Ländern erlaubt werden, den Euro zu verlassen. Zudem muss die Europäische Union ihre Institutionen demokratisieren und den größeren Mitgliedstaaten mehr Gewicht geben." Dies sei mit Merkel nicht möglich, denn diese denke nur an die nächste Wahl im Herbst 2013.

Die britische Regierung will hingegen schnell Fakten schaffen. Im Sommer startete das Außenministerium eine Überprüfung in allen Ressorts, bei der es vor allem um Zuständigkeiten in London und Brüssel geht. Dagegen hat der liberale Koalitionspartner zwar Einspruch eingelegt - dennoch scheint ein Referendum über die Beziehung zur EU, wie es Cameron zuletzt mehrmals in Aussicht stellte, im Bereich der Möglichkeiten.

"In der Union sind die Briten nun Außenseiter"
Dass Europa und Großbritannien inzwischen völlig verschiedene Richtungen eingeschlagen haben, ist für Experten offensichtlich. Die Haltung zum EU-Haushalt gilt als Paradebeispiel für den Unwillen der britischen Regierung, sich zugunsten Europas hinten anzustellen. "In der Union sind die Briten mit ihrer Feindseligkeit und dem Beharren auf den eigenen Interessen zum Außenseiter geworden", sagte etwa der Direktor des Großbritannien-Zentrums an der Humboldt-Universität in Berlin, Jürgen Schläger, am Donnerstag.

"Die Beziehungen waren nie schlechter als heute"
"Wenn sich die Stimmung nicht bald ändert, dann könnte der Austritt Großbritanniens aus der EU nicht mehr fern sein", so Schläger. Brüssel sei in London zum Inbegriff des Bösen geworden. "Es gibt eine wachsende Zustimmung für die Idee einer Ablösung von Europa." Es mache sich eine Enttäuschung über den europäischen Traum breit, die durch die Euro-Krise noch befeuert werde. Auch Stuart meinte: "Die Beziehungen waren nie schlechter als heute."

Die mit einer Scheidung verbundenen Kosten sind jedoch kaum kalkulierbar, weshalb Cameron letztlich kein Interesse an einem EU-Austritt haben kann. Auch Stuart betont: "Jeder wird danach ärmer sein." Tatsächlich gehen mehr als die Hälfte der britischen Exporte in EU-Mitgliedstaaten. Zudem stammt ein Großteil der Auslandsinvestitionen aus Ländern jenseits des Ärmelkanals. Für die schwächelnde britische Wirtschaft wäre ein Austritt ein schwerer Schlag. Schläger konstatiert: "Mitnichten wird Großbritannien durch einen Austritt aus der EU alle Probleme los, die es hat."

"Man kann auf einer Insel sehr glücklich sein, aber …"
Auch für alle anderen Länder sind die politischen und wirtschaftlichen Folgen einer EU ohne den Inselstaat schwer vorherzusagen - besonders in Zeiten der Globalisierung. "Nur die EU in ihrer Gesamtheit hat eine Chance, in der Welt eine gewichtige Rolle zu spielen", betont Schläger. Und Merkel merkte im EU-Parlament am Mittwoch süffisant an: "Man kann auf einer Insel sehr glücklich sein, aber alleine sind die Inselbewohner in dieser Welt auch nicht mehr glücklich."

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