Holocaust-Gedenken

Bertl und Adele ziehen um

Steiermark
08.11.2017 16:31

Die bewegende Ausstellung über zwei jüdische Kinder aus Graz und ihr Schicksal im Holocaust landet nach einigem Hin und Her beim Landesmuseum Joanneum in der Sackstraße. Dort ist sie bestens aufgehoben.

"Der 9. November wird immer ein besonderer Tag sein", sagt Ruth Kaufmann, Grazerin aus jüdischem Elternhaus. Es war die Nacht vom 9. auf den 10. 11. 1938, in der der Nationalsozialismus auch in Graz seine Fratze enthüllte: Im Zuge des so genannten Novembergpogroms, von den Nazis "Reichskristallnacht" getauft, wurden Juden misshandelt, gequält, verhaftet - und die Synagoge niedergebrannt.

Vor 79 Jahren ging es los
Ruth Kaufmanns Vater Berthold, damals 14 Jahre alt, entkam dem Massenmord in den Lagern. Als einer der Wenigen kehrte er nach dem Krieg heim in die Steiermark.

"Bei uns hat niemand darüber geredet, es gab nur Schweigen und Tränen", erinnert sich Kaufmann, die gleich neben dem Platz aufwuchs, wo seit 2000 die neue Synagoge steht. Spät brach der Vater sein Schweigen. Die Tochter dokumentierte alles - und schuf gemeinsam mit Künstler Uwe Kohlhammer eine Ausstellung.

"Darin geht es nicht um abstrakte Geschichte, sondern um echte Geschichten, erzählt aus der Perspektive von jüdischen Kindern", so die Pädagogin und Psychologin. Neben der Geschichte von Kaufmanns Vater Bertl wird jene von Adele Kurzweil erzählt. Das Mädchen aus Graz wurde nach seiner Flucht über Paris und Südfrankreich 1942, mit 17 Jahren, nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Grazer Kinder als Opfer
Vor genau zwei Jahren - Kaufmann war damals Präsidentin der Kultusgemeinde - wurde die Schau in der Synagoge eröffnet. Tausende ließen sich rühren von den Tragödien. Schulkinder, die die Ausstellung sahen, hätten gelobt, es nie wieder so weit kommen zu lassen, erzählt Kaufmann vom Erfolg des Projekts.

Die Reaktionen waren enorm positiv. Doch gab es organisatorische Probleme: Die strikten Synagogen-Öffnungszeiten erschwerten den Zugang zur Schau. Und Kaufmanns Nachfolger als Gemeindepräsident, Elie Rosen, wollte - wie einige andere Mitglieder - den Holocaust nicht im Alltag des jüdischen Hauses haben.

Neue Heimat: Joanneum
Bertl und Adele waren heimatlos. Mit dem Museum für Geschichte in der Sackstraße wurde zwar ein idealer Platz gefunden, aber formal haperte es: Weil die Schau von Stadt Graz und Land Steiermark bereits einmal großzügig subventioniert wurde, konnte das Landesmuseum Joanneum für die Übernahme nichts mehr zahlen.

Ruth Kaufmanns Verein für Holocaustgedenken und Toleranzförderung, der die Ausstellung schuf, bangte um seine Existenz. "Wir möchten unbedingt weiter in der Holocaust-Education tätig sein", erklärt sie ihr Festhalten am Verein. Es folgte eine längere Phase, in der Dissonanzen und Missverständnisse zwischen allen Beteiligten ausgeräumt werden mussten. Schließlich löste sich der Knoten: Land und Stadt versprachen jetzt, den Verein mit etwa 5000 Euro im Jahr über Wasser zu halten.

Eröffnung Anfang 2018
Nach dieser Zusage überließ Kaufmann dem Joanneum die Ausstellung, in der zahlreiche originale Dokumente und Exponate aus privater Hand zu sehen sind, um einen symbolischen Euro. Für 25. Jänner 2018 ist nun, nach einer aufwändigen Adaption im ersten Stock des Hauses Sackstraße 16 die feierliche Neueröffnung geplant.

Ruth Kaufmann zeigt sich erleichtert: "Uns geht es nicht nur um Vergangenheitsbewältigung. Wir wollen mit unserer Darstellung des Holocaust mehr Toleranz und Mitgefühl in der Gesellschaft bewirken. Das klingt vielleicht illusorisch. Aber was soll man sonst machen?"

Matthias Wagner, Kronen Zeitung

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