"Wiener Schmutz"

“Tiefpunkt”: Ausland sieht uns im Dreck versinken

Österreich
09.10.2017 11:54

"Austria's Haus of Cards", "Wiener Schmutz statt Schmäh", "Wahlkampf-Wahnsinn" oder "Sittenverfall total": Der zunehmend schmutzige Wahlkampf in Österreich hat am Montag auch die internationale Medienlandschaft von München bis New York beschäftigt. "Schluss mit lustig", befand etwa die "Süddeutsche Zeitung", die die gesamte politische Kultur Österreichs "an einem Tiefpunkt angelangt" sieht. Das besorgniserregende Fazit für unsere Demokratie: Die Politik erfahre aufgrund der Silberstein-Affäre noch mehr und noch schneller als bisher einen massiven Vertrauensverlust der Bürger.

"Ob Österreich zur Bananenrepublik wird, war eine fast noch heiter diskutierte Frage rund um die entgleiste Präsidentenwahl 2016", schrieb die "Süddeutsche Zeitung" am Montag über den rot-weiß-roten Nationalratswahlkampf. Jetzt sei aber "endgültig Schluss mit lustig", und Bundeskanzler Christian Kern habe wohl recht, wenn er die Vorgänge in diesem Wahlkampf "demokratiezersetzend" nennt und vom "größten politischen Skandal der Zweiten Republik" spricht.

Ob die Volkspartei mittels eingeschleuster Maulwürfe die SPÖ-Kampagne von Beginn an sabotieren wollte, oder ob sie, wie behauptet, Leute aus Silbersteins Söldnertruppe mit hohen Beträgen zum Überlaufen motivieren wollte, wird sich überdies bis zum Wahltag nicht klären lassen.

"SZ": Politik braucht "erhebliche Selbstreinigungskräfte"
Aber um Aufklärung gehe es ja gar nicht, sondern darum, möglichst viele Nebelschwaden über den Abgründen wabern zu lassen, so der theatralische Befund des deutschen Blatts. Dass dies Tradition habe im Land, sehe man daran, dass noch heute Parlamentsausschüsse versuchen, finstere Vorgänge aus den Zeiten der ÖVP-FPÖ-Koalition anno 2000 bis 2006 auszuleuchten. Nach diesem Wahlkampf-Wahnsinn aber sei die Lage so ernst, dass die Politik erhebliche Selbstreinigungskräfte aktivieren müsse, um Vertrauen zurückzugewinnen.

Eine erste Quittung dürften die Wähler laut "SZ" schon am Wahltag ausstellen. Die SPÖ drohe in diesem Sumpf "tief zu sinken". Ob auch an der Volkspartei etwas hängen bleibe, "werden erst die nächsten, gewiss noch giftigen Tage zeigen. Profitieren dürfte davon in jedem Fall die rechte FPÖ. Doch einen strahlenden Sieger kann es nach diesem Vorlauf ohnehin kaum noch geben. Beschädigt sind nicht nur die Parteien und die Kandidaten. Die gesamte politische Kultur ist an einem Tiefpunkt angelangt."

"FAZ": "Wahlkampf versinkt immer tiefer im Schlamm"
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb am Montag: "Der österreichische Wahlkampf versinkt eine Woche vor dem Urnengang immer tiefer im Schlamm gegenseitiger Spitzel- und Täuschungsvorwürfe zwischen den bisherigen Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP. (...) So ergibt sich das Bild zweier ehemaliger Koalitionspartner im schwersten Rosenkrieg. Die rechte Partei FPÖ, deren Vorsitzender Heinz-Christian Strache ebenfalls als Kanzlerkandidat auftritt, hält sich derweil mit Einlassungen zurück. Sie schweigt und genießt."

Die "Zeit" sieht indessen wachsende Chancen auf eine Kurz-Minderheitsregierung: "Der Gedanke, dass ÖVP-Chef Kurz sein Glück in einer Minderheitsregierung suchen könnte, ist nach dem Kollaps der SPÖ nicht mehr ganz abwegig. (....) Was noch vor wenigen Wochen als völlig absurde Variante abgetan werden konnte, klingt heute nicht mehr ganz absonderlich: Je kaputter sich die anderen Parteien präsentieren, desto größer wird für Kurz die Versuchung, das Experiment zu wagen."

"Zeit" sieht wachsende Chance auf ÖVP-Minderheitsregierung
Denn, so das Blatt, nach einer Niederlage müssten sich die meist auch intern zerstrittenen Parteien erst wieder fassen, bevor sie Neuwahlen riskieren können. In diesem Zusammenhang erinnern die Deutschen daran, dass der Sozialdemokrat Bruno Kreisky im April 1970 die bisher einzige Minderheitsregierung gebildet hatte. "Kreisky hatte sich die befristete Zustimmung der FPÖ für seine Minderheitsregierung mit einem großzügigen Geschenk erkauft: einer Wahlrechtsreform. Aber welches Geschenk hätte Sebastian Kurz zu vergeben - und wem bietet er es an? Würde Alexander Van der Bellen eine Minderheitsregierung akzeptieren? Vielleicht. Er könnte sich damit jedenfalls das grimmige Gesicht bei der Angelobung von FPÖ-Ministern ersparen."

"NZZ": Affäre schürt ohnehin hohen Ärger über Politik weiter
Auch für die Schweizer "Neue Zürcher Zeitung" gerät "der österreichische Wahlkampf in seiner Endphase immer mehr zur Schlammschlacht. Wie sich die Affäre bei der Wahl kommendes Wochenende auswirkt, ist offen. Beobachter mutmaßen, dass sie den ohnehin hohen Ärger über die Politik weiter schürt und deshalb am ehesten der FPÖ nützt. Beispiellos dürfte jedenfalls die gegenseitige Klagedrohung zweier Regierungspartner sein. Der vorläufige Höhepunkt im zerrütteten Verhältnis zwischen SPÖ und ÖVP macht eine Neuauflage der großen Koalition nach der Wahl noch weniger denkbar. Das erhöht wiederum die Chancen der FPÖ, an die Macht zu kommen."

"Politico": "Selbst kampferprobte Veteranen fassungslos"
"Die österreichische Politik ist selten langweilig, aber ein Skandal um schmutzige Tricks, der zwei Wochen vor der Wahl am nächsten Sonntag explodierte, hat selbst in den rauen Wahlkämpfen des Landes kampferprobte Veteranen fassungslos gemacht", befasste sich am Montag auch die Polit-Plattform "Politico" in ihrer Europa-Ausgabe mit Österreich. "Die politische Schlammschlacht zwischen den zwei Regierungsparteien könnte schlussendlich beiden schaden und der Freiheitlichen Partei, die die beiden Mainstream-Parteien (SPÖ und ÖVP, Anm.) schon lange als hoffnungslos korrupt bezeichnet, neuen Auftrieb geben."

Dass bis zur Nationalratswahl am 15. Oktober sämtliche Tricks und Verantwortlichkeiten dieser österreichischen "House of Cards"-Farce aufgeklärt werden, ist laut der Südtiroler Nachrichtenplattform salto.bz höchst unwahrscheinlich. "Fraglich ist, inwieweit die Normalbürger die so vertrackten Winkelzüge in diesem Wahlkampf verfolgen, nachvollziehen, geschweige denn verstehen oder bewerten können."

Weiter Schub für Vertrauensverlust in die Politik
Auch die Südtiroler sind davon überzeugt: "Sicher ist, dass der ohnehin seit Jahren stattgefundene Vertrauensverlust in die Politiker einen weiteren Schub erhalten hat." Wer bei der kommenden Wahl davon profitieren wird, sei allerdings schwer abzuschätzen. "Wie viele Leute werden einfach nicht zu den Urnen gehen? Welche Oppositionspartei könnte enttäuschte Proteststimmen von den beiden Traditionsparteien erhalten? Vermutlich die meisten die FPÖ Heinz-Christian Straches. Sie hat schon seit Jörg Haider die populistische Dauer-Hetze gegen den 'korrupten Politiker-Intrigantenstadel' in ihrer DNA."

Ungarns "Magyar Idök" wiederum sieht ein Zusammenwachsen der Visegrad-Vier - Ungarn, Tschechien, Slowakei und Polen - mit Ostdeutschen, Bayern und eben auch Österreich. "Überall dort haben die Menschen genug von der unbeschränkten Einwanderung, sträuben sie sich gegen eine weitere (EU-)Integration. Die Visegrad-Vier und ihre Nachbarn werden in der Politikgestaltung der EU zu einem immer weniger zu umgehenden Faktor. Wenn sich nun ein ähnlich aufgestelltes, von der ÖVP regiertes Österreich dieser Formation anschlösse, würde das nicht nur uns, sondern ganz Europa zum Vorteil gereichen."

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