Stadthalle live

Alice Cooper’s Wiener Rocky Horror Picture Show

Musik
28.11.2017 09:49

Rund 6500 Fans ließen sich Montagabend vom immer noch agilen Schockrocker Alice Cooper in die Welt der morbiden Theatralik entführen. Auch als Altmeister hat der mittlerweile 69-jährige Gruselpapst noch immer genug Effekte mit dabei, um die Menge zum Johlen zu bringen. Dafür sorgten bereits im Vorfeld die schwedischen Top-Rocker Europe.

(Bild: kmm)

Für das Wiener Publikum war diese Konstellation ein ausgesprochener Glücksfall - da die schwedischen Hard-Rock-Legenden Europe vom Tour-Routing her genau in den Abend passten, sagten sie kurzerhand zu, für Schockrocker Alice Cooper zu eröffnen. "Das passt auch gut zusammen, schließlich befinden wir uns beide auf einem späten Hoch in unserer Karriere", verriet Europe-Drummer Ian Haugland der "Krone" im Interview davor. Vor allem mit den beiden letzten Alben "War Of Kings" (2015) und dem pressfrischen "Walk The Earth" haben sich die Schweden endgültig von allen Vorwürfen des Bubblegum-Pop freigeschwommen. Folgerichtig verzichten der beeindruckend agile Frontmann Joey Tempest und Co. auf die legendäre Schmachtballade "Carrie" und bauen mit "GTO" (Live-Weltpremiere) und "Wasted Time" lieber amtliche Rocker in dem mit exakt einer Stunde bemessenen, viel zu kurzen Set.

Hit des Abends
Musikalisch pendelt das Quintett seit seiner Wiedergeburt vor 13 Jahren vor allem zwischen Deep Purple und Ronnie James Dio. Von ersteren hat man die Jon-Lord-Keyboardschlagseite übernommen ("Superstitious", "The Siege"), der legendäre Metal-Sänger Dio hingegen taucht in Songs wie "Last Look At Eden" oder "War Of Kings" auf. Einerseits stimmlich, andererseits instrumental, da genannte Songs einem Spät-70er-Rainbow-Album entstammen könnten. Obwohl das aktuelle Songmaterial nur so vor kompositorischer Raffinesse strotzt ("Days Of Rock'n'Roll"!), springt der Funke auf das Wiener Publikum erst spät über. Um eine Stadthalle in Verzückung bringen zu können, fehlt es Europe vor allem am optischen Beiwerk, denn ein biederer Backdrop und sanft eingestreute Gitarrensoli sind anno 2017 zu wenig, um für Begeisterungsstürme zu sorgen. Die gibt es dann doch noch bei den großen Klassikern "Rock The Night" und vor allem "The Final Countdown". Man merkt: Alice Cooper mag zwar der Grund für die gut 6500 Besucher sein - doch den allergrößten und am stärksten abgefeierten Song haben doch die Schweden im Köcher.

Cooper lässt sich davon naturgemäß wenig beeindrucken und kracht mit viel Pomp und Trara auf die Minute pünktlich auf die Stadthallenbühne. Unter sekundenlangem Funkenregen beweist sich der 69-jährige Urvater des Schockrock von Beginn an als stabschwingender Zeremonienmeister, der an diesem Abend keine Seele aus dem Raum flattern lässt. Flankiert von einem Skelett und einer Mumie als Bühnenrequisite, legt die Band mit "Brutal Planet" standesgemäß los, hat anfangs aber vor allem gegen eine besonders fiese Art von Krach zu kämpfen - die des sogenannten "Sounds". Es dauert schon eine gute Viertelstunde, bis die Regler zumindest halbwegs im annehmbaren Bereich postiert sind und man sich nicht nur dem visuellen, sondern auch dem auditiven Genuss hingeben kann.

Opulente Effekthascherei
Bei Alice Cooper weiß der geübte Fan was er kriegt - und das seit mittlerweile mehreren Jahrzehnten. Vom drei Meter großen Frankenstein ("Feed My Frankenstein") über den mit Dollarnoten verzierten Degen ("Billion Dollar Babies") bis hin zum kultigen und einst die Musikwelt revolutionierenden Tod durch die Guillotine fährt Cooper vor einer begeisterungsfähigen Kulisse sein ganzes Potpourri an Tricks und Effekten auf. Schockieren kann der Oldie damit natürlich nicht mehr, doch durch die theatralische, fast schon kabaretthafte Komponente, die den einzelnen Kapiteln der Story zuteil ist, spinnt sich ein roter Faden des morbiden Geisterbahnhorrors durch das gesamte Set. Cooper weiß längst, dass der Kult um sein Bühnen-Alter-Ego jegliche Form von Ekelgefühl überragt und er daher zwanglos das große Schauspiel aufführen kann.

Für den Erstbesucher ergibt sich dadurch ein buntes und zu keiner Sekunde langweiliges Stelldichein, geübte Cooper-Fans waren zum Teil aber über die fehlende Innovationskraft des Dargebotenen enttäuscht. Von seinem starken neuen Album "Paranormal" spielt er mit "Paranoiac Personality" nur einen einzigen Song und auch das Bühnensetting hat sich in den letzten Jahren nicht verändert. Spontanität oder Improvisationsgeist werden aber durch choreografische Perfektion und instrumentale Souveränität abgegolten. Vor allem Leadgitarristin Nita Strauss hat an diesem Abend Hummeln im Hintern. Wenn sie nicht gerade soliert oder sich in Rockstarpose wirft, rennt sie von einem Bühnenende zum anderen und lässt damit sogar ihr großes Idol, Iron-Maiden-Bassist Steve Harris, blass aussehen.

Wenige Längen
Die Hitstafette reicht von "No More Mr. Nice Guy" über "Under My Wheels" und der kräftigen Ballade "Only Women Bleed" bis hin zu den altbekannten Megahits "Poison", "I'm Eighteen" und der Zugabe "School's Out", die für inflationären Smartphone-Kameraeinsatz sorgen. Nur das mit einem Drum-Solo in die Länge gezogene "Halo Of Flies" und das etwas zu stark in die harte Metalecke gedrängte "The World Needs Guts" können den hohen Gesamtqualitätslevel der Songs nicht ganz halten. Cooper, meist im edlen Frack gekleidet und mit Zylinder bedeckt, zeigt immer wieder humorige Selbstironie, indem er sich gestenreich über sein Alter lustig macht und fast im Minutentakt Jacken und Jacketts wechselt. Vor seinem Bühnentod zu den Klängen vom leider nur kurz angespielten "I Love The Dead" wird er traditionell von Frau Sheryl in Gestalt einer lasziven Krankenschwester um den Verstand gebracht.

Wenn ganz am Ende aber Seifenblasen und Konfetti sprühen und überdimensionale, bunte Ballons durch die Halle federn, ist die Rocky Horror Picture Show doch wieder viel zu früh zu Ende. Auch wenn sich Cooper seit vielen Jahren auf eine gleichförmige und nur in feinen Nuancen adaptierte Show verlässt, ist das kunterbunte Gruselspektakel jedes Mal aufs Neue ein Erlebnis der besonderen Art. Einen Nachfolger für den vielleicht ersten aller Horrorclowns gibt es weit und breit nicht, somit ist diese besondere Form der Bühnentheatralik auch mit einem Ablaufdatum versehen. Dieses ist aber noch nicht in Sichtweite, denn von der Fitness des Herrn Cooper können sich viele jüngere Rocker eine kräftige Scheibe abschneiden.

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