Schulschlussgespräch

Welche Note haben Sie verdient, Frau Hammerschmid?

Österreich
01.07.2017 16:43

Sonja Hammerschmid hat ihr erstes Schuljahr hinter sich. Mit Conny Bischofberger spricht die SPÖ-Bildungsministerin über zähe Verhandlungen und ihr Wutpotenzial, Schätze der Pädagogik und die Sommerfrische ihrer Kindheit.

Der letzte Schultag. Die Ministerin hat den Freitagvormittag an der ganztägigen Volksschule am Wiener Monte Laa verbracht. Fotos zeigen sie mit "ihrem" Schulkind Elias. Den Siebenjährigen hat Sonja Hammerschmid an seinem ersten Schultag vor einem Jahr begleitet (ein Video davon gab es auf Facebook) und am Freitag wieder abgeholt.

"Er ist stolz auf sein Zeugnis, freut sich aber auch auf die Ferien", erzählt die Politikerin und ruft auch ihr eigenes Schulschluss-Gefühl ab. Auf dem Tisch ihres Büros steht ein Eiskaffee, in der Ecke liegt ein grüner Spielball - für die vier Hunde, die dort ein- und ausgehen.

"Krone": Frau Ministerin, für 470.000 Schülerinnen und Schüler haben am Freitag die Sommerferien begonnen. Welche persönliche Erinnerung haben Sie an letzte Schultage?
Sonja Hammerschmid: Ich war eigentlich immer traurig, wenn die Schule aus war. Ich bin wirklich, wirklich gerne in die Schule gegangen. Das war so ein zwiespältiges Gefühl: auf der einen Seite die Wehmut, auf der anderen Seite haben wir uns natürlich auf die Ferien gefreut. Da sind wir Kinder quer durch die Bauernhöfe unseres Mühlviertler Dorfs gezogen, haben Dachsbauten im Wald aufgespürt und Verstecken gespielt unter Bäumen. Mein Vater war Hobby-Bildhauer, deshalb hat er uns auch das Schnitzen beigebracht.

Haben Sie sich als Mädchen gleichberechtigt gefühlt?
Absolut. Meine Eltern haben zwischen mir und meinem vier Jahre jüngeren Bruder - er ist Informatiker und lebt mit seiner Familie auch in Wien - nie einen Unterschied gemacht. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Wir kommen aus einer Arbeiterfamilie und durften trotzdem studieren, was für unsere Eltern eine echte finanzielle Herausforderung war. Dieser Wert, den sie auf Bildung gelegt haben, war für mich eine große Motivation, als ich Bildungsministerin wurde. Chancengerechtigkeit für alle Kinder zu erreichen, darum geht's. Das will ich mit meiner Arbeit erreichen.

Ihr erstes Schuljahr war geprägt von nervenaufreibenden Verhandlungen um ein Autonomiepaket. Sie wirken immer so, als sei das ein wahres Vergnügen. Sind Sie nie genervt?
Nie wäre gelogen. Aber ich habe - schon an der Universität - gelernt, geduldig zu sein. Sehr geduldig. So kann ich meine Ziele nachhaltig verfolgen. Natürlich war es zäh und natürlich habe ich mir manchmal gedacht, das könnte eigentlich schneller gehen. Aber am Ende des Tages haben wir das Ziel erreicht: mehr Freiheit für die Pädagoginnen und Pädagogen.

Kritiker sagen, es sei ein reines Struktur- und Verwaltungspaket.
Was viele Leute nicht verstehen: Unser Schulsystem ist durch Gesetze und Verordnungen so festgezurrt, dass die Pädagogen eben nicht so unterrichten können, wie es ihre Kinder brauchen würden. Sie müssen sich an ganz viele Regeln und Bestimmungen halten. Das Paket hat 190 Seiten, und wir haben viele dieser Regeln und Bestimmungen aufgehoben. Die 50-Minuten-Einheit etwa, oder die Klassenschülerhöchstzahlen.

Aber was bringt es den Kindern?
Schlichtweg eine neue Pädagogik. Jedes Kind hat Talente, jedes Kind hat Potenzial. Das müssen wir sehen und fördern und Kinder dennoch auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten. Dazu braucht es andere Lehr- und Lernmethoden als wir es bisher hatten. Gefragt sind Fähigkeiten wie Problemlösungskompetenz, Teamfähigkeit, Selbstwirksamkeit, unternehmerisches Denken und Handeln. Kreativität und Neugier sowieso. Kinder sollen mit Lust und Leidenschaft lernen, denn sie werden es einfach ein Leben lang tun müssen. Gerade durch die Digitalisierung schwappen so viele neue Technologien in unsere Gesellschaft, dass Kinder später immer lernen werden müssen, um in der veränderten Berufswelt ein qualifiziertes, selbstbestimmtes Leben zu führen. Um die Individualisierung im Unterricht zu unterstützen, gibt es wirklich Schätze der Pädagogik. Apps, Spiele, neue Lernmaterialien, abgestimmt auf die Talente des Kindes.

Auf einer Skala von 1 bis 10, wie zufrieden sind Sie mit dem Paket?
Es war ein Dreiparteienkompromiss, und natürlich hätte ich mir manche Dinge noch anders gewünscht. Trotzdem: 8. Weil ich wirklich glücklich bin mit dem Erreichten. Die gemeinsame Schule ist erstmals in Österreich Thema.

Trotzdem bleibt es nahezu unmöglich, ungeeignete Lehrer loszuwerden. Macht Sie sowas nicht wütend?
Was mir so wehtut bei dieser Diskussion: Wir reden da von einer absoluten Minderheit. Das sind ganz wenige und darüber vergessen wir die vielen wirklich hervorragenden, motivierten, leidenschaftlichen Pädagoginnen und Pädagogen, die für ihre Kinder brennen, die das wirklich gerne machen und sich tagtäglich wirklich bemühen.

Sollte man nicht gerade deshalb schlechte Lehrer auch kündigen können?
Ich bin schon davon überzeugt, dass es für jeden Menschen eine zweite Chance geben muss. Gerade durch die Schulzusammenschlüsse ergeben sich in Zukunft leichter Möglichkeiten, Lehrer anders einzusetzen.

Wie ist das jetzt mit Ihrem Wutpotenzial?
Ich werde wirklich ganz, ganz selten wütend. - Hammerschmids Pressesprecherin Patrizia Pappacena nickt. - Es hat mich keiner im Bildungsministerium je wütend gesehen.

Für Freundlichkeit würden Sie also ein "Sehr gut" bekommen. Welche Note haben Sie insgesamt für Ihre bisherige Arbeit verdient?
Das ist wirklich eine schwierige Frage. Ich glaube, dass ich sehr gekämpft habe. Für den Ausbau von ganztägigen Schulen, für die 750 Millionen aus der Bankenabgabe, die wir für die Schulen gesichert haben, für eine Digitalisierungsstrategie, für den Integrationstopf mit 80 Millionen Euro. Kinder mit Migrationshintergrund, vor allem Flüchtlingskinder, müssen in unserer Gesellschaft ankommen und Schule ist ein ganz starker Anker für diese Kinder. Zusätzliche Mittel aus dem Integrationstopf ermöglichen zusätzliche Sprachpädagoginnen und -pädagogen, Sozialarbeiter und Psychologen. Ich glaube, diese Bilanz kann sich sehen lassen und ich bin auch ein bisschen stolz drauf.

Also welche Note?
Wir haben jetzt eine alternative Leistungsbeschreibung in der Schule, wir machen keine Noten mehr. - Lacht und hofft auf die nächste Frage. Dann sagt sie: - Verbessern kann man sich natürlich immer. Aber einigen wir uns auf "Gut".

Gesetzlich kommt die Gesamtschule 2020. Werden Sie da noch Unterrichtsministerin sein?
Das hoffe ich doch sehr. Ich würde mich sehr freuen. Gesetze zu schaffen ist das eine, aber ich möchte diesen Prozess der Umsetzung des Autonomiepaketes auch begleiten können.

Sind neun Wochen Ferien für Lehrer zu viel?
Lehrer haben eh nicht neun Wochen Ferien. Die müssen sich weiterbilden in der Zeit.

Sie sollten.
Und viele tun das auch. Die Zahl steigt.

Dann stelle ich die Frage anders. Wenn sich ein Lehrer nicht fortbildet im Sommer, sind dann neun Wochen Ferien zu viel?
Diese Diskussion ist nicht mein Prioritätsthema Nummer eins. Da haben wir echt andere Probleme im Schulsystem. Ich lade aber ein, eine gemeinsame Lösung zu entwickeln, wie man mit dem Thema Ferien umgeht. Das sehen die Eltern anders als die Pädagogen, und die Pädagogen anders als die Kinder. Ich bin aber überzeugt, dass Kinder und junge Menschen durchschnaufen müssen, einfach nur Kinder sein sollen im Sommer. Und die Lehrer müssen das auch.

Wie werden Sie die Ferien verbringen?
Wir haben ein kleines Ferienhäuschen im Seewinkel, da sind wir in einer Stunde dort, falls sich ein Zeitfenster ergeben sollte. Aber das ist dieses Jahr schwierig. Der Wahlkampf verlangt viel Planung und Vorbereitung. Ich habe deshalb heuer leider keine Schulferien.

In Deutschland hat der Bundestag am Freitag die "Ehe für alle" beschlossen. Sollte das im österreichischen Parlament auch zu einer Gewissensfrage gemacht werden?
Ja, das haben wir vorgeschlagen.

Also Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare?
Natürlich. Ehe für alle. Uneingeschränkt.

Ihre Karriere
Geboren am 24. Juni 1968 als Sonja Maria Theresia Mörwald in Steyr. Die Mutter ist Assistentin in einem Sanitärbetrieb, der Vater Kraftwerkzeugmechaniker. Studium der Biologie, Wissenschaftskarriere. 2010 wird Hammerschmid Rektorin der Veterinärmedizinischen Universität Wien, 2015 - als erste Frau - Präsidentin der Österreichischen Universitätenkonferenz. Im Mai 2016 holt sie Christian Kern als Unterrichtsministerin in sein Kabinett. Verheiratet seit 1998 mit dem Biotechnologen Michael, zwei Katzen-Findelkinder (Conrad und Polly).

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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