"Krone"-Interview

Sivert Høyem: “Musik muss immer ehrlich sein”

Musik
23.09.2016 08:34

Mit der Alternative-Rock-Band Madrugada hat Sivert Høyem rund um das Millennium die norwegischen Charts aufgerollt und sich mit seinem dunklen Stimmtimbre und der melancholischen Instrumentierung zum nationalen Superstar entwickelt. Seit acht Jahren ist er nun solo unterwegs und kaum minder erfolgreich. Nun kommt er endlich auch für ein Konzert nach Wien. Wir haben mit ihm im Vorfeld seine einzigartige Karriere aufgerollt, über die Vorzüge des Alleinseins geredet und ihm seine liebste Black-Metal-Band entlockt.

(Bild: kmm)

"Krone": Sivert, am 3. Oktober bist du in der Szene Wien zu Gast, um dich als Solokünstler, aber auch mit Songs deiner alten Band Madrugada vorzustellen. Was dürfen wir von dir erwarten und was erwartest du dir selbst?
Sivert Høyem: Die Tour in diesem Jahr, die im Februar begann, lief fantastisch. Bis wir in Wien sind, sind wir eine richtig eingespielte Band. Das Set besteht aus all meinen Soloalben und natürlich auch aus alten Madrugada-Songs. Ich war schon irgendwann einmal in Wien, damals noch mit Madrugada. Das muss so rund um das Millennium gewesen sein.

"Krone": Dein aktuelles Album "Lioness" ist ein sehr melancholisches und düsteres Werk geworden. Bist du denn selbst eine dunkle, sinistre Persönlichkeit?
Høyem:(lacht) Ich hoffe, dass ich nicht zu sinister bin. Ich bin einfach ein alter Melancholiker, das lässt sich wohl nicht leugnen. Meine Musik gibt genau meine Präferenzen in der Kunst wider. Ich bin nicht immer so finster, wie sich das jetzt vielleicht anhört. (lacht) Als ich in den 90er-Jahren begann in Bands zu spielen, gab es rundum diese emotional verpackte Musik, die mich stark beeinflusste. Ganz vorneweg etwa die Doors, die für viele Musiker die erste intensive Rockband war. Sie hatten einen sehr dunklen, expressiven Sound und haben bewiesen, dass es nicht nur um das Spielen von Songs geht, sondern das man auch sich selbst in die Musik einbauen kann. Außerdem waren sie Meister der theatralischen Seite des Rock und das haben wir auch bei Madrugada so gehandhabt. Als Teenager waren auch Nirvana extrem prägend, weil mich die Musik emotional mitgerissen hat.

"Krone": Die Einflüsse deiner Helden hört man sehr gut heraus. Etwa David Bowie oder The Cure bzw. allgemein sehr dunklen 80s-Pop. Bist du ein spezieller Fan der musikalischen 80er-Jahre?
Høyem: Für mich wurde in den 80er-Jahren mitunter die beste Musik überhaupt geschaffen. Der kommerzielle Pop und Rock war grandios und auch im Alternative-Bereich gab es damals unzählige Highlights. Die Leute haben heute die schlechte Angewohnheit, dieses Jahrzehnt der Lächerlichkeit preiszugeben, aber für mich waren die 80er die Spitze der popmusikalischen Kreativität.

"Krone": "Lioness" erinnert in seiner düsteren Verletzlichkeit auch ein bisschen an Nick Cave. Hast du sein neues Werk "Skeleton Tree" bereits gehört?
Høyem: Ich habe es mir noch nicht genau angehört, denn so ein Album muss ich mir in Ruhe geben, wenn ich vor einem Kamin sitze und mich total reinversetzen kann. Durch die persönliche Tragödie mit seinem Sohn hat er extrem viel Herzblut in das Album gesteckt. Es wäre also nur fair und recht, wenn man es als Hörer mit dem gleichen Respekt genießt. Bislang habe ich nur ein paar einzelne Songs so nebenbei gehört und es klang für mich nach dem intensivsten und wohl besten Cave aller Zeiten.

"Krone": Auf "Lioness" gehst du aber nicht immer dunkel und melancholisch vor. Ein Song wie "V.O.I.D." klingt durchaus mal fröhlich. Brauchst du dieses Wechselspiel zwischen Licht und Schatten?
Høyem: Das ist sogar dringend notwendig, denn ich hasse nichts mehr als nur eine Geschichte aus einer Perspektive zu erzählen. Das Leben ist ja auch vielseitig, warum dann nicht auch meine Musik? Das Negative und das Positive müssen sich ausgleichen und wenn man ehrlich ist, muss man beide Seiten betrachten. Am Wichtigsten ist in der Musik aber ohnehin die richtige Dosis Ehrlichkeit. Die ist aber auch nichts wert, ohne eine gewisse Theatralik, die man als Band oder Künstler einfach widergeben muss. Es ist schwer zu erklären, aber wenn sich etwas richtig anfühlt, dann ist es zu 90 Prozent auch richtig. Diesem Impuls folge ich schon immer und es wäre fad, nur die melancholische Seite zu präsentieren.

"Krone": Du hast "Lioness" hauptsächlich in der Nacht geschrieben. Was macht dich dort so kreativ? Warum ist die Nacht so viel besser als der Tag?
Høyem: Ich war schon immer ein Nachtvogel. Ich kann dort klarer denken, schreibe und komponiere viel besser. Außerdem bin ich manchmal auch einfach gerne allein. (lacht) Ich habe drei kleine Kinder und die Nacht ist die einzige Phase, wo ich wirklich meine Ruhe habe und arbeiten kann. Das letzte Jahr war nicht einfach, das kann ich dir sagen. (lacht)

"Krone": Den Song "Sleepwalking Man" hast du an deine Frau und deine Kinder adressiert. Was wolltest du ihnen damit sagen?
Høyem: Ich weiß gar nicht so genau. Der Song ist mehr wie ein Traum als eine Realität. Für mich hat die Nummer einen sehr poetischen Vibe, ich erzähle damit keine besondere Geschichte. Ich bin sowieso kein Geschichtenerzähler wie andere Musiker. Ich versuchte wohl eher etwas über mich zu erklären und nichts an meine Familie zu adressieren. Es heißt so viel wie "gib mir etwas Zeit und lass mich alleine, das macht mich besser". (lacht) Ich weiß eigentlich gar nicht mehr so genau, was ich wirklich sagen wollte.

"Krone": Wenn du gerne so ein Einzelgänger bist - machen dir Livekonzerte überhaupt Spaß? Wenn du deine Emotionen auf der Bühne mit anderen Menschen teilen musst.
Høyem: Ich mag das Touren eigentlich mit jedem Mal lieber. Ich fühle mich selbstsicher auf der Bühne. Obwohl wir früher mit Madrugada viele Hits hatten, bin ich heute einfach mit mehr Selbstvertrauen ausgestattet und weiß, was ich kann. Ich versuche, nicht länger als zwei oder drei Wochen am Stück weg zu sein, denn meine Kinder sollen mich schon kennenlernen während ihres Aufwachsens. Das Touren ist nicht nur Teil meines Jobs, ich liebe es wirklich. Vor Leuten aufzutreten und Songs zu spielen ist zudem meine Form von Kommunikation. Abseits der Bühne bin ich sehr zurückgezogen und sogar Freunde von mir sagen, dass man schwer einen Zugang zu mir findet. (lacht) Ich kann also durch die Musik eine Art von Kommunikation mit den Leuten aufbauen. Für mich ist das ganz natürlich und Entertainment ist ein essenzieller Part von Kunst.

"Krone": "Lioness" ist das vierte Soloalbum nach dem Ende von Madrugada. Ärgert es dich manchmal, dass du immer mit den Songs und dem Erfolg der Band verglichen werden wirst?
Høyem: Ich bin damit total im Reinen. Ich bin sehr stolz auf alles, was wir erreicht haben und heute spiele ich die Songs immer noch gerne, aber halt nicht unendlich viele. Vieles von dem Songmaterial mag ich immer noch so gerne, dass ich es unbedingt spielen will. Ohne diese Band könnte ich jetzt nicht als Solokünstler durch Europa touren.

"Krone": In Norwegen bist du seit vielen Jahren eine sehr große Nummer und auch im Rest Europas hast du eine vielleicht etwas kleine, aber feine Anhängerschaft. Suchst du immer noch den großen Durchbruch?
Høyem: Ich denke schon. Ich wäre nicht enttäuscht, wenn ich jetzt an meiner Spitze angelangt wäre und sich die Popularität nicht steigern ließe. Ich habe vielleicht nicht überall Megapublikum, aber es geht mir europaweit gesehen sehr gut. Es gibt viele Menschen, die meine Musik lieben und bin bescheiden genug, um das absolut schätzen zu können. Man kann nicht immer mehr wollen, sondern muss schon auch realistisch bleiben. Als wir Madrugada ins Leben riefen war unser Hauptziel tatsächlich, groß und berühmt zu werden. Das war ein definitiver Plan. Wir hatten nicht Ideale, eine respektierte Indie-Band zu sein. Wir haben in unserer Jugend Nirvana, U2, Bruce Springsteen und Elvis Presley gehört und wollten ähnlich groß sein. (lacht) Ich war niemals ein großer Freund von Musik, die sich mit einem großen Selbstbewusstsein als elitär betrachtet. Ich mag viele Arten von Musik, aber wenn du Pop- oder Rockmusik elitär gestalten willst, hast du irgendwie missvp>"Krone": Zu deinen Lieblingskünstlern zählen neben Nirvana oder David Bowie auch die Cocteau Twins und Kurt Vile. Vielseitigkeit ist bei dir wirklich Trumpf. Aber was muss Musik ausstrahlen oder besitzen, damit du sie so schätzen kannst?
Høyem: Die Emotionen müssen stimmen, ich muss beim Hören etwas fühlen und es muss mich berühren. Ich liebe es, wenn sich Künstler in ihren Songs öffnen und mit mir kommunizieren. So versuche ich das auch zu machen. Außerdem müssen die Texte passen. Ich habe eine Zeit lang Künstler wie Bob Dylan und Leonard Cohen gehört und dabei viel vom Geschichtenerzählen gelernt, aber primär geht es um die Musik. Diese Schönheit in einem Song kann ich in jedem Genre hören, das ist total losgelöst von jedweder Vorgabe.

"Krone": Vor drei Jahren hast du mit der norwegischen Black-Metal-Band Satyricon den Song "Phoenix" eingespielt bzw. eingesungen. Eine sehr interessante, weil total stilfremde Kooperation. Wie kam es dazu?
Høyem: Meine Band und ich haben für mein Album "Long Slow Distance" selbst die Magie des Black Metal erforscht und uns dafür etwas tiefer in diese Materie begeben. Wir haben versucht, die modernen Produktionsideen mit der melancholischen Stimmung des Früh-90er-Black-Metals aus Norwegen zu verbinden. Satyricon-Sänger Sigurd hat uns im norwegischen Fernsehen gesehen, wie wir einen solchen Song performt haben, außerdem waren Madrugada und Satyricon rund um 2001 auf demselben Label, wir kannten uns also schon zuvor. Norwegen ist außerdem kein besonders weites Land und du lernst die Menschen schnell kennen. Er hat mich dann angerufen und ich war sofort interessiert. Ich glaube nicht, dass ich so etwas wie unseren Song jemals zuvor gehört hatte. (lacht) Die Mischung aus meiner Auffassung von dunkler Musik und seinem Black Metal hat gut funktioniert. Er hatte dieselben Ziele wie ich und wollte eben eine konventionellere Rock-Stimme in seinen Sound einbauen.

"Krone": Ist es in Norwegen auch außerhalb des Black-Metal-Genres üblich, diese Musik zu hören, weil sie bei euch eben ein Exportschlager ist?
Høyem: Absolut. Die ganze Szene ist einfach ein Riesenteil der norwegischen Musik und wenn du etwas musikinteressiert bist, dann kennst du alte Mayhem- und Darkthrone-Alben. Der Black Metal an sich ist einfach etwas, was Norwegen international bekannt machte und einen wirklich eigenständigen Sound hat, den man weltweit kennt. Darauf darf man wirklich stolz sein. Meine Lieblingsband ist wohl Burzum, obwohl der Typ etwas verrückt ist und es heutzutage nicht mehr so populär ist, ihn offiziell zu mögen. (lacht) Seine Musik ist aber zeitlos grandios und die Alben sind für mich sehr speziell, weil er extrem melancholisch war.

"Krone": Hast du dir jemals überlegt, vielleicht ein Black-Metal-Nebenprojekt zu starten?
Høyem: Nicht wirklich. Die Vocals sind wahrscheinlich der Teil im Black Metal, den ich am wenigsten mag. (lacht) Zudem bin ich ein Sänger. Ich glaube nicht, dass ich diese spitzen Schreie überhaupt rausbringe. Sigurd von Satyricon ist einer der besten in diesem Bereich, seine Stimme ist einzigartig, aber für mich wäre das wohl nichts. Als ich mit Satyricon gearbeitet habe wurde mir erst bewusst, dass diese Black-Metal-Welt in allen Bereichen total anders funktioniert als der Pop- und Rock-Bereich. Es steckt so viel Technik dahinter und es ist physisch richtiggehend anstrengend. Den kleinsten gemeinsamen Nenner hatte ich nur anfangs mit Madrugada. Wir waren eine DIY-Band, niemand von uns wusste, wie man die Instrumente richtig bedient. Es ging uns echt nur darum, berühmt zu werden und daran haben wir lange geschraubt. (lacht) Wir haben ohne technisches Know-How gearbeitet und das wäre im Black Metal unmöglich. Wir waren mehr Punk als alles andere, auch wenn die Musik an sich überhaupt nichts damit zu tun hatte.

"Krone": Was hast du eigentlich nach der Herbsttour vor?
Høyem: Das ist noch offen, aber natürlich weiter an meinem Projekt basteln. Nach meinem Kurzurlaub hier in Nordnorwegen spielen wir aber zweimal auf der Akropolis in Athen. Das wird ein absolutes Highlight und wir werden versuchen, dort eine Live-CD heraus zu stampfen. Drückt mir die Daumen, dass es auch klappt.

Am 3. Oktober kommt der melancholische Künstler für eine garantiert unvergessliche Show in die Szene Wien. Alle Infos und Tickets erhalten Sie auf der HOMEPAGE des Künstlers.

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