Briten im Abseits
Juncker nominiert – Cameron verliert EU-Poker
Juncker soll am 16. Juli im EU-Parlament als Kommissionspräsident bestätigt werden. Er braucht 376 der insgesamt 751 Stimmen, vorher muss er sich einer Anhörung stellen. Die beiden großen Parteienfamilien Konservative und Sozialdemokraten sowie die Liberalen hatten bereits im Vorfeld die Unterstützung des früheren luxemburgischen Ministerpräsidenten und langjährigen Euro-Gruppen-Chefs angekündigt, seine Wahl gilt als sicher.
Wendepunkt der EU
Die Nominierung Junckers ist ein Wendepunkt in der Geschichte der Europäischen Union. Erstmals wurden mit Großbritannien und Ungarn zwei Mitgliedsländer in einer so wichtigen Personalfrage überstimmt. Das Prinzip, dass die EU-Wahl über ihre Spitzenkandidaten den Kommissionspräsidenten entscheidet, dürfte damit unumkehrbar - wenn auch ungeschrieben - als Praxis verankert sein.
Das wechselhafte Verhältnis Großbritanniens zum Rest der EU dürfte durch das Votum einmal mehr verändert werden. Juncker war von britischen Politikern und Medien zum Feind stilisiert worden, der immer mehr Kompetenzen nach Brüssel holen wolle. Dass Cameron Juncker als Person ("ein Gesicht der 80er Jahre") und weniger mit inhaltlichen Begründungen ablehnte, betrachten EU-Insider als eine Fehleinschätzung der britischen Regierung in ihrer letztlich erfolglosen Kampagne gegen den Luxemburger.
Cameron: "Schlacht verloren, um Krieg zu gewinnen"
Auch wenn er Junckers Nominierung auch nach der Abstimmung noch als "schweren Fehler" bezeichnete, sagte Cameron nach seiner Niederlage, man müsse "bereit sein, eine Schlacht zu verlieren, um einen Krieg zu gewinnen". Die EU-Staaten hätten Großbritannien zugesichert, an weiteren Integrationsschritten nicht teilnehmen zu müssen.
Von einem zuletzt mehrfach ins Spiel gebrachten EU-Austritt der Briten wollte Cameron am Freitag nichts wissen. Er wolle an der EU-Mitgliedschaft festhalten und dafür auch bei seinem geplanten Referendum im eigenen Land werben. Sein Land müsse in einer reformierten EU gehalten werden, er werde "absolut alles tun, um das zu erreichen", so Cameron. Diese Aufgabe sei jedoch mit den Geschehnissen rund um die Nominierung Junckers "schwieriger geworden".
Faymann und Spindelegger verteidigen Juncker-Entscheidung
Bundeskanzler Faymann zeigte sich unterdessen erfreut über die Nominierung Junckers. Die erstmalige Abstimmung "war keine Katastrophe". Vielmehr hätte eine fehlende Entscheidung zu einer "schweren Glaubwürdigkeitskrise" der EU geführt, sagte Faymann. Juncker sei eine "respektvolle erfahrene Persönlichkeit", die "durch pointiertes Auftreten und kantige Meinungen" aufgefallen sei. Außerdem vertrete er eine Linie, die den Leuten das Gefühl vermittle, dass er sich um die Sorgen der Menschen in Europa kümmere.
Und auch Vizekanzler Michael Spindelegger sieht in der Nominierung Junckers "ein deutliches Zeichen für die Demokratie in Europa". Es sei "sehr wichtig, dass nach der Wahl gehalten wird, was vor der Wahl versprochen wurde", so Spindelegger. Juncker habe die Durchsetzungskraft, um Europa in Zukunft noch besser zu machen und er habe sich in den vergangenen Jahren als "großer Freund Österreichs, der immer ein offenes Ohr für unsere Anliegen hat" bewährt.
Sondergipfel um weitere Topposten im Juli
Die Besetzung der weiteren EU-Topposten, etwa des neuen Ratspräsidenten, soll auf einem Sondergipfel am 16. Juli geklärt werden, kündigte der derzeitige Amtsinhaber Herman Van Rompuy an. Bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs soll sich auch Juncker in seiner neuen Funktion der Diskussion stellen - unmittelbar nach der geplanten endgültigen Abstimmung über die Personalie im EU-Parlament.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.