Der vorgelegte 344 Seiten umfassende Bericht, in dem auch Aussagen und Schilderungen von Zeugen und Betroffenen zu finden sind, zeigt die ungeschönte und schreckliche Wahrheit über die psychische und physische Folter, die die Heimkinder - viele von ihnen hatten das zehnte Lebensjahr noch nicht erreicht - lange Zeit ertragen mussten. Den Verantwortlichen der Stadt waren die schwerwiegenden Missstände im Kinderheim Wilhelminenberg laut Bericht "durchwegs bekannt". Der Heimleitung sei aber trotzdem nicht Einhalt geboten worden.
"Bin wie ein Koffer abgestellt worden"
Bereits die Schilderungen über die Ankunft der Zöglinge am Wilheminenberg zeugen von Kälte und Desinteresse seitens der Heimleitung und der Erzieher. So berichtet einer der Betroffenen: "Ich bin hingekommen, bin wie ein Koffer abgestellt worden, hab' mein Gewand gekriegt und sollte die Schnauze halten." Auf die persönlichen Befindlichkeiten der Kinder wurde keinerlei Rücksicht genommen. Vielmehr wurde mit der Angst der Zöglinge gespielt.
Strenge Disziplin, Prügel und Züchtigungen
Geschildert wird auch die strenge Disziplin im Heim und die damit zusammenhängenden Strafen: "Die Kinder waren nicht nur gezwungen, die Strafen wehrlos über sich ergehen zu lassen. Wurden die Kinder geschlagen, durften sie sich nicht wehren, es folgten sonst weitere Prügel", heißt es etwa in dem Bericht.
Auch die Verletzungen, die die Kinder davontrugen, lassen keinen Zweifel an der Brutalität, mit der gegen die Zöglinge bis zur Schließung des Heims im Jahr 1977 vorgegangen wurde. So wurden Kinder an den Haaren gerissen mit Gegenständen geschlagen, erhielten Ohrfeigen oder mussten lange knien. Dabei trugen sie teils schwere Verletzungen davon, u.a. Platzwunden, verrenkte Finger, Hämatome, Abschürfungen und Schnittwunden. Besonders kleine Buben seien laut Aussage einer Zeugin von den Erziehern misshandelt worden.
Brutale Vergewaltigungen
Neben Schlägen und Züchtigungen mussten die Heimkinder auch sexuelle Gewalt über sich ergehen lassen. So wird in der Expertise von einer Vielzahl von Vergewaltigungen berichtet, an denen Erzieher, aber möglicherweise auch andere Hausangestellte beteiligt gewesen sein sollen. Die Übergriffe, die oft sogar tagsüber stattfanden, betrafen sowohl Mädchen als auch Buben.
Als die Einrichtung 1962 zu einem reinen Mädchenheim umfunktioniert wurde und es keine männlichen Erzieher mehr gab, gingen die Vergewaltigungen weiter. So seien unbekannte Männer teils selbst in das Heim eingestiegen und hätten sich an den Mädchen vergangen, teils seien ihnen die Mädchen sogar zugeführt worden. Erzieherinnen sollen an den Übergriffen beteiligt gewesen sein.
Der Vorwurf, es hätten Massenvergewaltigungen in den Schlafsälen stattgefunden, habe sich laut Bericht allerdings nicht erhärtet. Auch habe es keine Hinweise gegeben, aus denen verlässlich geschlossen werden konnte, dass es organisierte Kinderprostitution gegeben hätte, heißt es in der Expertise.
217 Interviews mit Betroffenen und Erziehern geführt
Die Kommission hatte im Herbst 2011 ihre Arbeit aufgenommen. Im Zuge der Recherche wurden u.a. Akten des Jugendamts durchforstet sowie 217 Interviews geführt, davon 140 mit damaligen Heimkindern und 28 mit Erziehern. Diese Gespräche war die wichtigste Basis, denn: Nach Schließung des Heimes 1977 waren alle Akten vernichtet worden. Aufgrund dieser eingeschränkten Datenlage und teils unkonkreten Erinnerungen sei die zweifelsfreie Ermittlung der Identität von Personen, die den Missbrauch begehen hätten können, nur schwer möglich gewesen. Dennoch werden in dem Bericht rund 30 Tatverdächtige genannt.
"So etwas darf nie wieder passieren"
"Wir haben, glaube ich, das Heim Wilhelminenberg nach Strich und Faden - was heute möglich ist - untersucht", betonte Kommissionsvorsitzende Helige abschließend. Zudem forderte die Kommission die Stadt auf, sich öffentlich bei den Betroffenen zu entschuldigen. "So etwas darf nie wieder passieren."
"Wir haben immer gesagt, als Stadt Wien übernehmen wir die Verantwortung", erklärte dazu SP-Jugendstadtrat Christian Oxonitsch. Er verwies zudem auf die bereits erfolgte Entschuldigung von Bürgermeister Michael Häupl. Das ehemalige Kinderheim am Wilhelminenberg sei ein besonderes Beispiel, aber kein Einzelfall gewesen.
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