Moskau vs. die USA
Adoptionsverbot: Russische Waisen als Opfer der Politik
Der US-Botschafter in Moskau, Michael McFaul, zeigte sich am Mittwoch "sehr besorgt" über das Verbot. Seinen Angaben zufolge hätten seit 1990 Familien aus den USA etwa 60.000 russische Kinder adoptiert. Auch der Menschenrechtsrat des Kremls und sogar einige Kabinettsmitglieder wie etwa Außenminister Sergej Lawrow hatten sich zuvor – zum großen Ärger von Putins Partei Geeintes Russland – vehement gegen das Gesetz ausgesprochen. Der prominente russische Bürgerrechtler Lew Ponomarjow kritisierte, die Annahme des Verbots sei ein "gewaltiger Fehler", Kinder würden damit zum "Spielball der Politik".
"Ein Racheakt wie zu Zeiten des Kalten Krieges"
Der Oligarch und frühere Präsidentschaftskandidat Michail Prochorow bezeichnete das Gesetz am Mittwoch in Moskau als "unverhältnismäßige Dummheit", als "einen Racheakt wie zu Zeiten des Kalten Krieges" - und vor allem als eine Gefahr für Tausende Kinder, die Waisen seien oder von ihren Eltern verlassen wurden. Bei Protesten von Kreml-Kritikern vor dem Gebäude des Oberhauses während der Abstimmung nahm die Polizei im Zentrum der Hauptstadt mehrere Demonstranten fest.
Das neue Gesetz ist inoffiziell nach Dima Jakowlew benannt, einem adoptierten Kleinkind aus Russland, das 2008 im Alter von 21 Monaten in den USA starb, nachdem es sein Adoptivvater bei brütend heißem Wetter in einem Auto zurückgelassen hatte. Dass der Vater freigesprochen wurde, sorgte in Russland für enorme Empörung. Deshalb sah Putin das Recht auf seiner Seite, als er die nunmehrige russische Regelung kürzlich verteidigte: Die Reaktion sei "angemessen" - Misshandlungen würden in den USA nicht verfolgt, deshalb sei das Gesetz richtig.
US-Gesetz "Magnitsky Act" als Auslöser des Streits
Das Adoptionsverbot gilt als Antwort auf das kürzlich in Washington beschlossene US-Gesetz "Magnitsky Act", das Sanktionen gegen russische Beamte bei Menschenrechtsverstößen vorsieht. Der Anwalt Sergej Magnitski war 2008 in Moskau festgenommen worden, nachdem er Beamten des russischen Innenministeriums die Verwicklung in einen Betrugsfall in der Größenordnung von umgerechnet 130 Millionen Euro vorgeworfen hatte.
Der 37-Jährige, der für das Investmentunternehmen Hermitage Capital arbeitete und die Moskauer Führung in eine beispiellose "Verschwörung" verstrickt sah, starb laut Menschenrechtlern nach Folter und unterlassener Hilfeleistung 2009 in der U-Haft. Sein Tod wurde von den Behörden nie aufgeklärt. In den USA werden nun russische Staatsbürger, die in das Ableben Magnitskis verwickelt waren, mit Sanktionen wie Einreiseverboten und Vermögenssperren belegt.
Kritiker: Sorge um das Kindeswohl nur vorgeschoben
In Russland sind sich Kritiker bezüglich des Adoptionsverbots sicher, dass die Sorge Putins sowie der Parlamentarier um das Kindeswohl nur vorgeschoben ist. "Das Absurde liegt darin, dass der 'Magnitsky Act' auf unsere Beamten zielt, unser Gesetz aber auf kranke Waisen", sagte etwa Galina Michaljowa von der liberalen Partei Jabloko am Mittwoch der Zeitung "Nowyje Iswestija". Sie betonte, dass die etwa 650.000 Kinder, die derzeit in Russland ohne Eltern aufwachsen, kaum Aussichten auf eine glückliche Zukunft hätten. Immer wieder kämen Kinder in Pflegefamilien oder Heimen zu Tode - oft durch brutale Gewalt. Die Opfer zähle in dem Riesenreich kaum jemand.
Viele der 100.000 Waisen, die im größten Land der Erde in Kinderheimen untergebracht sind, leben dort unter besorgniserregenden Zuständen. Pflege und Ausbildung sind mangelhaft, oft ist eine kriminelle Laufbahn vorprogrammiert, legale Alternativen sind rar. Experten weisen auch darauf hin, dass US-Familien überdurchschnittlich häufig behinderte Kinder aufnehmen, die in Russland noch immer oft von der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Gerade solche Waisen würden nun Geiseln eines politischen Streits. Von dem Verbot seien aktuell 46 Kinder betroffen, deren Adoption in die USA kurz bevorstand.
Russland – USA: Prinzip "Auge um Auge" statt "Neustart"
In Russland soll die nunmehr vom Parlament beschlossene gesetzliche Neuregelung übrigens in einem umfassenderen Sinne Einwirkungen aller Ausländer abwenden, die den Rechten russischer Bürger entgegenstehen. So dürfen etwa Menschenrechtsorganisationen künftig nicht mehr von Inhabern von US-Pässen geleitet werden. Dies zielt nach Ansicht von beobachtern vor allem auf Ljudmila Alexejewa von der Moskauer Helsinki Gruppe sowie auf Tatjana Lokschina, die Chefin des Moskauer Büros von Human Rights Watch, ab.
Das Gesetz, und hier vor allem das Adoptionsverbot, gilt als weiterer Tiefschlag für die Beziehungen zwischen Russland und den USA. Von dem einst verkündeten "Neustart" ist kaum etwas übrig, das Misstrauen vor allem in Moskau groß. Vorsorglich kündigte Alexej Puschkow, Chef des außenpolitischen Ausschusses der Staatsduma, an, in Zukunft auf jede US-Sanktion gegen Russland zu reagieren. Das Prinzip "Auge um Auge" ist also wieder in Kraft.
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