Die niederländische Stadt Groningen gilt als Pionier in Sachen moderne Mobilität. 70 Prozent der Bewohner fahren hauptsächlich Rad oder gehen zu Fuß, womit man weltweit an der Spitze liegt. Eine Grazer Delegation holte sich jetzt vor Ort Anregungen – und manches möchte man sogar noch besser machen.
Sobald die Ampel auf Grün springt, treten alle in die Pedale – egal, auf welcher Seite der Kreuzung in Groningens Zentrum man steht. „Wir mussten uns irgendwann neue Verkehrsregeln einfallen lassen, um so für ein flüssiges und sicheres Weiterkommen zu sorgen“, erklärt Bert Popken, oberster Raumplaner der niederländischen Stadt, die mit ihren 244.000 Einwohnern ähnlich groß ist wie Graz.
Neue Verkehrsregeln
Helm trägt hier keiner, auf Handzeichen wird ebenso verzichtet, Unfälle gibt es dennoch kaum, nur wer bremst, verliert. „Bei der Menge an Rädern muss man im Fluss bleiben. Wir haben mittlerweile wohl so etwas wie einen sechsten Sinn beim Radfahren, ist es doch schon längst in unserer DNA“, schmunzelt Popken.
In Groningen fand bereits in den 1970er-Jahren ein politischer Linksruck statt – und mit ihm kam auch die Verkehrswende. „Die Wirtschaftstreibenden haben sich lautstark gewehrt und ihren Ruin befürchtet. Heute sind alle froh, dass die Stadt für ihre Bewohner und Gäste da ist – und nicht für die Autos“, sagt Bürgermeister Koen Schuiling.
Klimawandel und soziale Themen stellen alle Städte vor dieselben Herausforderungen. Mutige und innovative Lösungen sind jetzt gefordert.
Judith Schwentner, grüne Vizebürgermeisterin und Verkehrsstadträtin von Graz
Lokale Wirtschaft floriert
Die Bilanz knapp 50 Jahre nach der Initialzündung: 70 Prozent der Bewohner Groningens sind hauptsächlich zu Fuß und mit Öffis sowie dem Rad unterwegs, von den Jungen besitzt kaum jemand mehr ein Auto. Die lokale Wirtschaft floriert.
„Wir haben einen Autobahnring rund um die Stadt gebaut, an dem Park&Ride-Anlagen liegen. Diese können kostenlos genutzt werden“, nennt Popken einen zentralen Baustein des Erfolgsrezepts. Als Zubringer ins Zentrum fungieren Wasserstoffbusse. Lieferanten und Anrainer dürfen nach einem Regelwerk zufahren, deren Fahrzeuge verschwinden in unterirdischen Parkhäusern, Autos im öffentlichen Raum sieht man kaum.
Für Fußgänger wird’s mitunter gefährlich
Dass längst nicht alles ideal läuft, muss Schuiling im Austausch mit der Grazer Delegation rund um die grüne Vizebürgermeisterin Judith Schwentner dennoch einräumen: „Wir standen plötzlich vor dem Problem, dass unsere Plätze und Straßen voll mit den vielen Rädern waren. Zudem haben wir die Fußgänger zu wenig mitbedacht – sie werden heute oftmals von den Radfahrern verdrängt.“
Aber auch dafür fanden die visionären Niederländer erste Lösungen – Popken: „Wir haben unterirdische Radgaragen errichtet und ganze Etagen in bestehenden Großbauten zu Radabstellplätzen umgewandelt.“
Glückliche Bewohner
Die mutige Verkehrspolitik hat Groningen übrigens in internationalen Vergleichen zuletzt gleich zweimal an die Spitze katapultiert: Die Stadt hat nicht nur die „höchste Fahrraddichte“, sondern beheimatet auch die „glücklichsten Bewohner“.
Herr Werle, wird man als Grazer Stadtbaudirektor neidisch, wenn man eine Stadt wie Groningen besucht, die den Steirern in puncto Verkehrsplanung Jahrzehnte voraus ist?
Es ist sehr beeindruckend, zu sehen, wie konsequent die Niederländer ihre Idee von einer umweltfreundlichen Verkehrswende verfolgen. Hier waren viele mutige Entscheidungen notwendig. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass man niemanden ausschließen darf – daher forciert Graz auch einen gesunden Mix.
In Graz will man den Pkw-Anteil im Stadtverkehr von derzeit 40 auf 20 Prozent drosseln. Wie kann das gelingen, Herr Feigl?
Indem man eine konsequente Stadtentwicklung verfolgt, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht. Das Argument, die Nutzung von Öffis wäre zu teuer oder zu ineffizient, kann man heute nicht mehr gelten lassen. Jeder Pkw kommt teurer als ein Öffi-Ticket.
Neue Straßen- und Öffi-Infrastruktur sorgen in Graz vor allem in deren Bauphase immer wieder für Kritik. Zu Recht, Herr Werle?
Seit 2001 sind die Hauptwohnsitze in Graz um 80.000 gestiegen. Wir kommen nicht darum herum, den öffentlichen Raum neu zu verteilen. Wenn sich Anrainer über den Wegfall von Stellplätzen beschweren, muss man schon relativieren: Wieso sollen sie mehr Recht auf öffentliches Gut haben als Fußgänger oder Radfahrer? In den 1970-ern gab es in Österreich enormen Widerstand gegen erste Fuzos – heute sind alle froh darüber.
Die Teilnahme an der Pressereise erfolgte auf Einladung der Stadt Graz.
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