Inklusion im Alltag

Autismus: Mehr Bewusstsein in der Bevölkerung

Steiermark
02.04.2024 08:30

Am 2. April ist der Welt-Autismus-Tag. Die Grazer Psychologin Bernadette Schinnerl ist seit dreizehn Jahren auf die neurologische Entwicklungsstörung spezialisiert. Sie erzählt im Gespräch mit der „Steirerkrone“ mit welchen Herausforderungen ihre Patienten im alltäglichen Leben konfrontiert sind. 

Bei der Autismus-Spektrum-Störung handelt es sich um eine neurologische Entwicklungsstörung. Rund ein Prozent der Bevölkerung ist davon betroffen. Speziell in den letzten Jahren wurde eine immense Zunahme an Neudiagnosen verzeichnet. Diesen sprunghaften Anstieg erklärt sich die Psychologin Bernadette Schinnerl von dem Grazer Autismuszentrum Libelle so: „Es gibt nicht plötzlich viel mehr Autisten als früher. Aber das Bewusstsein, dass es die Autismus-Spektrum-Störung gibt, ist viel größer geworden. Zudem hat sich die Früherkennung deutlich verbessert, und es wird viel genauer hingeschaut.“

Darüber hinaus sind in den vergangenen 20 Jahren die Leistungsanforderungen in der Gesellschaft enorm angestiegen. Kinder und auch Erwachsene, die mit der schnelllebigen Zeit und der Forderung nach einem hohen Maß an Spontanität nicht zurechtkommen, fallen dadurch auch schneller auf. 

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Es gibt nicht diesen einen Menschen im Autismus-Spektrum. Jeder autistische Mensch und dessen Bedürfnisse sind einzigartig.

Bernadette Schinnerl, Psychologin im Autismuszentrum Libelle

„Stille Stunde“ für mehr Inklusion im Alltag
Bereits alltägliche Dinge, wie der Lebensmitteleinkauf, stellen viele Betroffene aufgrund der enormen Reizüberflutung vor eine große Herausforderung. Aufgrund dessen wurde die „Stille Stunde“ in einigen ausgewählten Supermärkten eingeführt. So auch in der Billa-Filiale in der Theodor-Körner Straße in Graz in Kooperation mit dem Autismuszentrum Libelle. Von 14 bis 15 Uhr werden täglich 60 Minuten die Lichter gedimmt, auf Musik und Ansagen über die Lautsprecher wird verzichtet und auch die Mitarbeiter bemühen sich um eine größtmögliche Reizreduktion. 

Ein buntes Spektrum 
„Es gibt keine klassische Symptomatik. Aber es gibt bestimmte Kernmerkmale, die alle Autisten in unterschiedlichen Ausprägungen aufweisen“, betont die Psychologin. Deshalb spricht man auch von einer Autismus-Spektrum-Störung und möchte bei neuen Diagnosen weggehen von den früheren Begriffen und Kategorisierungen wie „atypischer“  „frühkindlicher“ oder „Asperger“-Autismus.

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Wichtig ist das Bewusstsein, dass es ok ist anders zu sein! Das nimmt den Druck für Betroffene und auch Angehörige raus. 

Bernadette Schinnerl 

Für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen stellt der Umgang und die Kommunikation mit anderen Menschen eine große Hürde dar. Sie weisen eine mangelnde Flexibilität und Auffälligkeiten bei der Sensorik auf. Viele Betroffene sind besonders geräusch- und lichtempfindlich, denn ihre Reizverarbeitung funktioniert nicht so gut. Der natürliche Filter, der wichtige von unwichtigen Reizen unterscheidet, fehlt oftmals. Daher ist alles gleich laut und hell und führt auch bei alltäglichen Situationen zur Überforderung. Autistische Personen haben ein großes Bedürfnis danach, in ihren Alltag immer gleichbleibende Rituale zu implementieren und eine gewisse Gleichförmigkeit in ihrer Umwelt zu haben. 

Der Alltag als Herausforderung
Je früher die Diagnose gestellt werden kann und die Betroffenen eine therapeutische Unterstützung erhalten, desto besser ist es. Autismus ist jedoch eine lebenslange Einschränkung, die nicht weg therapiert werden kann. Die Psychologin weiß, dass es daher auch für Eltern keine einfache Diagnose ist und sie Zeit brauchen, um sich damit abzufinden, dass das eigene Kind Einschränkungen hat. Oftmals erweist es sich aber auch als eine Art Erleichterung und das Wissen darüber, worum es sich handelt, gibt Hoffnung, dass mit dem richtigen Hilfsnetzwerk Hindernisse künftig besser gemeistert werden können. „Es ist bei den Eltern mit vielen Belastungen im Alltag und einem gewissen Umdenken im Zugang zum eigenen Kind verbunden. Die meisten Eltern erlebe ich aber dann auch sehr engagiert und motiviert“, betont Schinnerl.

Laut der Psychologin ist das Ziel, dass Menschen im Autismus-Spektrum auch ein weitestgehend selbstständiges Leben führen können. Es hängt jedoch von der jeweiligen Ausprägung ab, ob das möglich ist oder nicht. „Personen im hochfunktionalen Autismus-Bereich haben oft spezielle Fähigkeiten und sind Experten auf bestimmten Gebieten. Wenn die Rahmenbedingungen für sie in Betrieben angepasst werden, dann sind sie sehr wertvolle Mitarbeiter. Und da gibt es derzeit auch sehr positive Entwicklungen. Immer mehr Firmen erkennen das Potenzial“, erklärt die Psychologin.

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